Swiss Music Awards: Preisverleihung in der Echokammer

Nr. 8 –

Am 28. Februar werden im KKL Luzern wieder die Swiss Music Awards verliehen. Warum er nicht hingeht, erläutert Rapper Tommy Vercetti in einer Polemik.

An den Swiss Music Awards wird das Musikschaffen nicht gefördert, sondern ausgebeutet – dafür darf man wie ein Pfau über den roten Teppich schreiten. Foto: Urs Flüeler, Keystone

Dieser Text ist kein Angriff gegen die KünstlerInnen, die an den Swiss Music Awards (SMA) teilnehmen. Ich hoffe im Gegenteil klarzumachen, dass es hier vielmehr um ein gemeinsames Anliegen geht, das alle betrifft. Ich schreibe diesen Text auch nicht mit dem Frust der Abweisung – nach 2016 (zusammen mit Eldorado FM) wurde ich dieses Jahr zum zweiten Mal für eine Nomination angefragt und habe freundlich abgelehnt. Schliesslich möchte ich klarstellen, dass wir hier nicht darüber sprechen, ein «Hobby zu finanzieren», sondern über professionelle Musik, die erstens viel qualifizierte Arbeit erfordert und zweitens eine sehr grosse Nachfrage geniesst (fragen Sie Ihre Kinder).

Es gibt zahlreiche offensichtliche Gründe, weshalb man den SMA fernbleiben möchte. Klar ist es sehr oberflächlich, peinlich, geradezu lächerlich, wie man sich da in C&A-Schale wirft, wie da gewöhnliche Büroangestellte den roten Teppich behaupten, wie da Star spielt, was noch nicht korrekt ein Mikrofon halten kann – und trotzdem: in dieser Lächerlichkeit auch verzeihlich, vielleicht sogar liebenswürdig. An diesem Anlass beweihräuchern sich fleissig selbst: brotlose ausgelaugte Musikschaffende; eine völlig inkompetente Musikbranche, die ihre Krise mit ihrer Ratlosigkeit gegenüber dem technologischen Wandel selbst hervorgebracht hat; und schliesslich ein bunter Strauss an Produktionsfirmen, Techunternehmen, Agenturen, Sponsoren, Caterings und Medien, die die Brotlosen mithilfe der Ratlosen ausbeuten.

Instrumentalisiert und ausgebeutet

Hier wären wir am springenden Punkt angelangt: Ich verweigere mich den SMA nicht, weil ich sie für peinlich halte, sondern schlicht und einfach, weil sie das Musikschaffen nicht fördern – obwohl sie gerade das behaupten. Sie sind dem Musikschaffen vielmehr geradezu schädlich, und zwar aus folgenden Gründen.

Erstens werden meist KünstlerInnen ausgezeichnet, die sowieso schon Erfolg haben: Nomination und Wahl basieren hauptsächlich auf Verkaufszahlen, Streams und Voting. Die SMA funktionieren also nicht als qualitätsorientierte Auswahl und Förderung, sondern reihen sich lediglich in die ohnehin problematischen kommerziellen Echokammern ein. Leider vermag das gar niemanden mehr zu überraschen – die denkfaule Präzision der Zahl wird selbst im Kulturbereich als Offenbarung von Qualität begrüsst. Weshalb sich also um Urteilskraft bemühen?

Delikater wird es bei der Frage, wer hier tatsächlich von wem profitiert. Seit den 1970er Jahren versuchen Grossunternehmen, Steuern immer proaktiver zu vermeiden, gleichzeitig wurde das Image einer Marke immer wichtiger – wie Naomi Klein in «No Logo» aufzeigt: Nike erzählt nicht mehr, sie hätten einen robusten Schuh, sondern sie böten Lifestyle, man sei cool, man lebe das Leben, wenn man Nike trage. Die Unternehmen sind also in hohem Mass abhängig von trendigen WerbeträgerInnen, von coolen Inhalten, an denen sie ihre endlos kopierten Logos aufhängen, mit denen sie ihre leeren Slogans auffüllen können. Die korrekte Reaktion auf die gebotene «Plattform» wäre also nicht ein demütiges «Danke schön», sondern: «Wie viel zahlt ihr für die unlimitierte und breit gestreute Verwendung meines Namens, meiner Bilder und meiner urheberrechtlich geschützten Musik?» Die KünstlerInnen werden nicht «gefördert», sondern in erster Linie als Werbecontent instrumentalisiert und ausgebeutet.

Aber damit nicht genug: Die KünstlerInnen stemmen einen Grossteil der Promoarbeit selbst. Für die Swiss Music Awards kann man nämlich «täglich voten». Und so sieht man die Nominierten täglich ihre Fans nerven, um eine Stimme betteln, sich demütigen, mit repetitiven Posts lächerlich machen – und unausgesprochen natürlich: werben, Daten sammeln, alle Kanäle, Fans, Verwandten und ihre Zeit mobilisieren für den Event und dessen Sponsoren und diesen damit eine viel grössere Plattform bieten, als sie es umgekehrt je könnten. Das ist Ausbeutung in der Aufmerksamkeitsökonomie – ja, in dieser rückt die kreative Arbeit geradezu ins Zentrum der Ausbeutung.

«Privileg» – von wegen!

Dies mündet in ein Paradox, das an den SMA zu prototypischer Form findet, das man als KünstlerIn aber zuerst einmal als unbehagliches Gefühl wahrnimmt: Da tritt man etwa an einem Festival auf, und jeder, der da arbeitet, verdient letzten Endes mehr als man selbst – von der Marketingchefin bis zum Wurstverkäufer. Um die Musik als Kern floriert eine bunte Industrie von Smartphones und Kopfhörern über die Medienplattformen, Getränke- und Kleidermarken, Labels, PR- und Eventagenturen bis zum Fastfood. Eine Industrie, die massiv Geld macht und dabei die Risiken, den Innovationsdruck, die Gratisarbeit an die KünstlerInnen auslagert – das heisst schlicht: die Musik nicht pflegt, sondern ausbeutet. Und dies auch noch rechtfertigt mit dem zweifelhaften Privileg, ein paar Stunden wie ein Pfau durchs Gelände stolzieren zu dürfen, mit der «Leidenschaft» (die Künstlerin machts ja gern) und dem Imperativ, «mit der Zeit zu gehen» (als wäre die Entschädigung pro Stream eine Frage der technologischen Entwicklung und nicht eine ökonomisch-politische).

Dies alles gilt auch für die SMA: Der Event frisst zehnmal mehr Geld, als er den KünstlerInnen je bieten könnte – die Logoanimation allein kostet mehr als eine durchschnittliche Schweizer Albumproduktion. Anstatt den schädlichen Logiken etwas entgegenzuhalten, mit denen der digitale Kapitalismus die Musik konfrontiert, bieten die SMA den KünstlerInnen nur die Möglichkeit, sich diesen Logiken effizienter zu unterwerfen.

Das Rat Race um Social-Media-Klicks, die pausenlose Selbstinszenierung, der Zwang zur Ich-AG, der jedem konzentrierten Kunstschaffen im Weg steht, die wenigen GewinnerInnen, die aus den Vielfalt vernichtenden Echokammern hervorgehen, die buchhalterische Orientierung an nichtssagenden Zahlen, schlicht die fehlende Entlohnung: All dies befördern die SMA und tragen damit zur laufenden Erosion der lokalen Musikkultur bei. Und das meine ich nicht kulturpessimistisch, sondern weil ich trotz eines Platz-1-Albums nicht weiss, wie ich das nächste Album finanzieren soll. Die SMA machen keine Musikförderung, sie inszenieren sie bloss.

Die Aufmerksamkeitslogik als Falle

Was tun? Naheliegend, möchte man denken: Die Labels könnten endlich damit aufhören, unterwürfig jede Vorgabe der Technologieriesen wie ein Naturgesetz hinzunehmen und die daraus entstehenden Probleme auf ihre Protégés abzuwälzen. Das SRF könnte schlicht für angemessene Radioplays und Musikformate sorgen, um die «kulturelle Vielfalt zu präsentieren». Die KünstlerInnen könnten einsehen, dass ihre Kunst zwar von ihrer Individualität lebt, dass die prekäre Situation aber ein gemeinsames und daher politisches Problem ist.

Klar mag eine SMA-Teilnahme einzelnen MusikerInnen etwas nützen, kollektiv und langfristig aber ist das Gegenteil der Fall. Da bringt es auch nichts, eine kritische Dankesrede zu halten oder peinlich den Bad Boy zu spielen – damit würde man nur auf die Aufmerksamkeitslogik eines solchen Events hereinfallen: Je mehr Skandal, desto besser.

Deshalb gehe ich nicht an die Swiss Music Awards.

Tommy Vercetti Foto: Ursula Häne

Simon Küffer alias Tommy Vercetti ist Rapper und lebt in Bern.