Haftbedingungen: Das Ende eines fatalen Kreislaufs

Nr. 10 –

Der Tod des 36-jährigen Saleh T. im Basler Gefängnis Bässlergut wühlt die algerische Diaspora auf. Das Ausschaffungsgefängnis gilt als vorbildlich im Umgang mit psychisch Kranken – und trotzdem berichten Inhaftierte davon, dass sie meist mit Medikamenten abgespeist würden.

Am 30. Dezember um 8.30 Uhr wird Saleh T.* in einer Zelle im Basler Gefängnis Bässlergut erhängt aufgefunden. Sehr wahrscheinlich handelt es sich um einen Suizid. Das Bässlergut ist einerseits Ausschaffungsgefängnis, andererseits sitzen hier Inhaftierte kurze Haftstrafen ab. Saleh T. war im Strafvollzug. Seine Strafe hätte noch etwa zwanzig Tage gedauert.

Sein Tod wirft in der algerischen Community Fragen auf: Warum wollte Saleh T. so kurz vor seiner Entlassung nicht mehr leben? Und wurde der vermutlich psychisch kranke Mann im Gefängnis falsch betreut? Dass die Behörden aus Datenschutzgründen kaum über den Fall informieren, nährt die Wut der Community – und von MenschenrechtsaktivistInnen.

Neven Pascha*, der wie Saleh T. aus Algerien stammt, hat T.s Familie in Algier ausfindig gemacht. Über Wochen war er mit ihr in intensivem Kontakt. «Es bedeutet der Familie viel, dass der Leichnam in Algerien ist und dort nach islamischem Ritus bestattet werden konnte», sagt er. Pascha, ein Oppositioneller, will anonym bleiben. Er hat mittlerweile eine Aufenthaltsbewilligung, aber das repressive Asylsystem hat sein Vertrauen in die Schweizer Behörden zunichtegemacht. «Selbstmord», sagt er. Das heisse es doch immer, wenn jemand im Gefängnis sterbe. Nicht nur bei ihm löst Saleh T.s Tod Spekulationen aus. In der algerischen Community kursieren Gerüchte über andere Todesursachen, Verschwörungstheorien.

Djafar Mohammed kannte Saleh T. so gut, dass er ihn «einen Freund» nennt. Bei einem Gefängnisbesuch Mitte Januar sagt er: «Saleh war eine herzliche Person.» Saleh T. und Mohammed teilten sich im vergangenen Jahr eine Zelle im Basler Gefängnis Waaghof. Sie hätten damals jeden Tag Karten gespielt, erzählt er. T. habe aber auch oft still dagesessen, manchmal habe er im Koran gelesen, manchmal geweint. «Er war überzeugt, dass ihn jemand verflucht hatte.»

«Erst bei akuter Gefahr»

Bevor T. die Tat beging, die ihn in der Schweiz ins Gefängnis brachte, hatte er in Deutschland einen Asylantrag gestellt, lebte dort viele Jahre. «Wenn jemand in die Schweiz fährt, in einen Laden einbricht, dort raucht und ein Nickerchen macht – was bedeutet das?», fragt Mohammed. «Es bedeutet, dass mein Freund Hilfe gebraucht hätte.» Einmal habe T. seine Matratze angezündet. Schon das ein Suizidversuch, glaubt Mohammed. T. sei deswegen in eine Einzelzelle gekommen. Für Mohammed ist klar, dass er stattdessen in eine psychiatrische Klinik gehört hätte.

Vom Gefängnis Waaghof wurden Mohammed und Saleh T. letzten Herbst ins Bässlergut verlegt, wo sie in verschiedenen Zellen untergebracht waren. T. sei fast nie auf dem Hof gewesen. «Ein paarmal habe ich durchs Fenster in seine Zelle gerufen: ‹Hey Bruder, wie gehts?› Aber Saleh hat nie geantwortet.»

Djafar Mohammed wurde mittlerweile nach Spanien ausgeschafft, seine Aussagen lassen sich nicht überprüfen. Toprak Yerguz vom Justiz- und Sicherheitsdepartement Basel-Stadt äussert sich aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes nicht zum Einzelfall Saleh T. Er beschreibt aber die Massnahmen bei psychischen Erkrankungen: «Bei Hinweisen auf psychische Beschwerden überweist das Pflegepersonal den Betroffenen an die wöchentliche Arztsprechstunde.» Bei Selbstgefährdung verlege man den Inhaftierten in eine videoüberwachte Sicherheitszelle. Zweimal pro Woche überprüfe der medizinische Dienst die Massnahme. Eine Überweisung in eine Klinik durch einen Arzt erfolge erst, wenn die Situation als «akut» eingeschätzt werde.

Regierungsrat Baschi Dürr (FDP) schreibt auf Anfragen der Menschenrechtsorganisation Augenauf, Suizidprävention sei in allen Gefängnissen ein Dauerthema. Doch liessen sich Suizide nicht vollumfänglich verhindern. «Das wäre allenfalls mit einer totalen und permanenten Überwachung möglich.» Das sei aber weder menschenrechtskonform noch leistbar.

Knappe Klinikplätze

Die Nationale Kommission zur Verhütung von Folter (NKVF) besuchte das Bässlergut 2017 und lobte dessen Kriseninterventionskonzept. Sie kritisierte jedoch, dass es oft gar keine freien Plätze in einer psychiatrischen Klinik gebe. Yerguz kontert, man habe inzwischen Alternativen geschaffen: Im Gefängnis Waaghof sei eine Station zur besonderen Betreuung eingerichtet worden, und ein «Isolierzimmer» in den Universitären Psychiatrischen Kliniken (UPK) stehe ständig bereit. Zudem gebe es mehr psychiatrisches Pflegepersonal und häufigere Arztbesuche.

Mehrere Inhaftierte sagen im Gespräch jedoch, bei Problemen würden vor allem Medikamente angeboten. Oft verstehe man gar nicht, was man bekomme. Manche trauten den Angaben nicht, weil sie ihre Medikamente nie verpackt sähen. Yerguz bestätigt, dass Medikamente «grundsätzlich in gemörserter Form unter Beigabe von Wasser» ausgegeben werden. Die Inhaftierten seien aber «im Rahmen der ärztlichen Aufklärungspflicht jederzeit» über ihre Medikamente informiert.

Anni Lanz besucht seit vierzehn Jahren Inhaftierte in der Ausschaffungshaft des Bässlerguts. Das Personal sei teilweise engagiert und agiere menschlich, sagt sie. Die medizinische Betreuung jedoch sei schlecht. «Es gibt zwei Gesundheitspfleger, einer davon ist immerhin schon lange dabei.» Die Ärzte hingegen wechselten häufig. Es fehle eine ansprechbare Vertrauensperson. «Wer Probleme hat, kann Medikamente schlucken oder kommt in Isolationshaft», sagt auch Lanz.

Algerier hätten aufgrund ihrer aussichtslosen Situation oft psychische Probleme, sagt Lanz. «Sie stecken in einem fatalen Kreislauf.» Lanz kennt Algerier, die über Jahre zwischen Ausschaffungshaft und Nothilferegime pendelten. Es sei nur eine Frage der Zeit, bis die Betroffenen schliesslich wegen kleiner Delikte im Strafvollzug landeten. «Und nach abgesessener Strafe trifft man sie in der Ausschaffungshaft wieder.»

36 «Helvetzide»

Saleh T.s Freund Djafar Mohammed erhebt Vorwürfe, weil T. nicht die psychologische Betreuung bekommen habe, die er gebraucht hätte. Andere glauben weiterhin nicht an einen Suizid. «Saleh gestorben – Wir wollen Wahrheit!» war am 8. Februar die Parole in Kleinbasel. Etwa 200 Menschen gedachten des Toten mit einer Demonstration vom Claraplatz bis zum Bässlergut. Der Bibliothekar und Aktivist Mohamed Wa Baile las die Namen aller Menschen ohne Schweizer Pass vor, die in den letzten zwanzig Jahren im Gefängnis oder während der Ausschaffung gestorben sind. Wa Baile sprach von 36 «Helvetziden», er sieht auch in T. eines von vielen Opfern von institutionellem Rassismus.

Vor dem Gefängnis steht noch Ende Februar ein von AktivistInnen angebrachtes Holzschild mit Saleh T.s Porträt. Rund drei Wochen Gefängnis hätten T. noch bevorgestanden, als er erhängt in seiner Zelle gefunden wurde. Die Untersuchung sei abgeschlossen, schreibt die Basler Staatsanwaltschaft der WOZ. Hinweise auf Fremdeinwirkung gebe es keine.

*Name der Redaktion bekannt.