Ausschaffungshaft: «Irgendwann explodiert die Flasche»

Nr. 24 –

Nach Todesfällen und Suizidversuchen organisieren sich im Ausschaffungsgefängnis in Kloten Häftlinge, um für ihre Freilassung zu kämpfen.

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Aussenbereich des Zentrum für ausländerrecht­liche Administrativhaft in Kloten
Warum werden hier Leute eingesperrt, die gar nicht ausgeschafft werden dürfen? Das Zentrum für ausländerrecht­liche Administrativhaft in Kloten. Foto: Christian Beutler, Keystone

Es gibt in der Schweizer Asylpolitik diese ewigen Skandale. Missstände, die kaum je zum Gegenstand politischer Debatten werden, die seit Jahren völlig inakzeptabel, aber unhinterfragt bleiben. Zum Beispiel die «ausländerrechtliche Administrativhaft»: die Inhaftierung weggewiesener Personen, ohne dass diese eine Straftat begangen haben.

«Wir wissen, dass wir recht haben», sagt Khalil Filali in eine Laptopkamera. Der Dreissigjährige sitzt in seiner Zelle im Zentrum für ausländerrechtliche Administrativhaft (ZAA) in Kloten am Fenster, raucht eine Zigarette, und auf die Frage, wie es ihm gerade gehe, antwortet er bloss: «Wie soll es mir schon gehen? Ich bin im Gefängnis.» Derzeit sei die Stimmung unter den Inhaftierten wieder ruhiger, so Filali. «Aber das muss nichts heissen, die Wut bricht immer wieder aus, jeder Tag ist anders. Plötzlich versucht sich wieder jemand umzubringen.»

In den letzten Wochen ist diese Wut laut diversen Insassen mehrmals ausgebrochen. So heftig wie schon lange nicht mehr im ZAA. Seit Ende April habe es Todesfälle, Suizidversuche, Brandvorfälle und Hungerstreiks gegeben. «Wir kämpfen gegen dieses System, nicht gegen die Wärter:innen, sondern dagegen, dass wir hier überhaupt eingesperrt werden», so Filali.

«Das ist wie Pingpong»

Administrativhaft tötet. Und immer, wenn wieder Häftlinge in den Zellen des Klotener Gefängnisses sterben, muss die zuständige Zürcher Justizdirektion (JI) eine Medienmitteilung dazu veröffentlichen. So auch am 2. Mai. Ein Mann sei leblos in seiner Zelle aufgefunden worden: «Der aufgebotene Arzt konnte nur noch den Tod des 62-Jährigen feststellen.» Gemäss einer Mitteilung des Aktivist:innenbündnisses «Wo Unrecht zu Recht wird …» soll es sich beim Toten um einen ukrainischen Staatsangehörigen gehandelt haben.

In der Folge sei die Stimmung laut Filali besonders angespannt gewesen. Drei Mal sei Feuer gelegt worden, zwei weitere Häftlinge hätten einen Suizidversuch unternommen, bevor die JI Ende Mai schliesslich den zweiten Todesfall innerhalb eines Monats vermeldete. Gestorben ist ein junger Algerier. Filali hat den 22-jährigen Mann nach eigenen Angaben gekannt: Ein ruhiger Junge sei er gewesen, depressiv, und er habe seit seiner Einweisung kaum mit jemandem geredet. Jetzt ist er tot.

Eine Haft, mehrere Formen

Unter der Bezeichnung «Administrativhaft» werden mehrere Haftformen zusammengefasst. Die eigentliche Ausschaffungshaft soll die betreffenden Personen zur Verfügung halten und etwa ein Untertauchen verhindern.

Wenn die Wegweisung in ein anderes Schengen-Land erfolgen soll, ist die Rede von Dublin-Haft. Auf diese beiden Formen entfallen rund 95 Prozent aller Administrativhaftanordnungen.

Hinzu kommt die Durchsetzungshaft. Sie richtet sich gegen Personen, bei denen diese Wegweisung «aufgrund ihres Verhaltens» nicht vollzogen werden könne. 2023 wurde sie schweizweit nur 22 Mal angeordnet.

«Wir Häftlinge sind wie eine Flasche», sagt Mahdaoui Masoud (29), seit zwei Monaten in Kloten inhaftiert. «Eine Flasche, in die man immer mehr Wasser einfüllt: Wir brauchen Geduld, Geduld, Geduld. Aber irgendwann explodiert die Flasche.» Vor seiner Einweisung in das Ausschaffungsgefängnis hat er wegen Diebstahl eine Haftstrafe im Strafvollzug absolviert, danach sei er direkt nach Kloten verlegt worden. Aber wieso überhaupt? «Das ist wie Pingpong», so Masoud. «Wenn ihr mich wirklich ausschaffen wollt, wieso habt ihr das nicht schon organisiert, als ich noch im anderen Gefängnis war?»

Widersprüche prägen das ZAA schon seit seiner Inbetriebnahme 1996. Eröffnet wurde es im Kontext der offenen Drogenszene, angeblich, um sich einfacher jener «ausländischen Dealer» entledigen zu können, die man für das Elend verantwortlich machte. Heute hat das ZAA Verträge mit siebzehn Kantonen, es bietet ihnen 130 Haftplätze. Bis zu achtzehn Monate kann die Administrativhaft insgesamt dauern (vgl. «Eine Haft, mehrere Formen»).

In den letzten Jahren veranlasste das Bundesgericht in mehreren Urteilen Anpassungen des Systems. Die Nationale Kommission zur Verhütung von Folter (NKVF) spricht 2024 in einem Bericht über ihren Besuch in Kloten von einer «Umbruchphase». Laut dem Bundesgericht müsse klar sein, «dass die Inhaftierung rein administrativer Natur ist». Sie soll bloss dazu dienen, eine Wegweisung durchzusetzen, nicht als Strafe. Wobei die NKVF im Bericht festhält, dass das ZAA nun einmal in einem «ehemaligen» Gefängnis untergebracht ist und diese Vorgaben deshalb gar nicht erfüllen kann.

Immerhin seien die Haftbedingungen zuletzt erleichtert worden, sagt Hanna Gerig, Kogeschäftsleiterin beim Zürcher Solinetz, das seit sechzehn Jahren Besuche im Gefängnis organisiert. «Die Besuchszeiten wurden angepasst, der Zugang zum Internet erlaubt», sagt Gerig. «Aber es ist ohnehin die Angst vor der Ausschaffung, die Tatsache, dass die Leute überhaupt inhaftiert sind, ohne etwas verbrochen zu haben, was diese Haft so brutal macht.» Oder in den Worten von Filali: «Diese Verbesserungen sind uns egal, wir wollen einfach hier raus.»

Sowohl ihm als auch Mahdaoui Masoud droht kaum tatsächlich eine Ausschaffung, was den «administrativen» Charakter der Haft sowieso hinfällig macht. Dass Leute inhaftiert werden, obwohl sie schliesslich gar nicht ausgeschafft werden können, komme vor, sagt auch Hanna Gerig. Masoud hält seine verwundeten Beine in die Kamera, mehr als zehn Mal sei er schon operiert worden; das algerische Konsulat habe seine Ausschaffung deshalb abgelehnt. «Wieso muss ich dann trotzdem hier sein?» Filali ist libyscher Staatsangehöriger, eine Ausschaffung dahin ist undenkbar.

Alles egal

Als die Insassen vom Tod des 22-Jährigen erfahren, treten gemäss eigenen Aussagen rund fünfzig von ihnen in den Hungerstreik. «Um gegen dieses System zu protestieren», so Masoud. In den sozialen Medien zeigen sich mehrere von ihnen mit Transparenten mit Aufschriften wie «Das ist ein Grab, kein Gefängnis». Das Zürcher Amt für Justizvollzug und Wiedereingliederung (JuWe) schreibt auf Anfrage der WOZ, nichts von einem Hungerstreik dieses Ausmasses zu wissen, aber auch: «Mehrere eingewiesene Personen haben einzelne Mahlzeiten verweigert.»

Filalis und Masouds wichtigste Forderung betrifft nicht das JuWe, sondern die Migrationsämter, die ihre Inhaftierung veranlassen. «Wir fordern ein Gespräch mit dem Zürcher Migrationsamt», sagt Filali. Angeboten worden sei ihnen bloss ein Videotelefonat – nicht genug. «Wir wollen, dass sie hierherkommen und mit uns reden, damit wir eine Lösung für diese Situation finden können.» Das Migrationsamt hat auf die Anfrage der WOZ innerhalb der gesetzten Frist nicht reagiert.

Ihren Hungerstreik hätten sie nach einigen Tagen wieder beendet, sagt Masoud. Ohne Aussicht auf Erfolg lohne sich das nicht. Vorbei ist der Protest damit nicht. Zuletzt veröffentlichten die Insassen einen Forderungskatalog, der sich, gemessen am Ausmass des ewigen Skandals, den sie erfahren, eigentlich zurückhaltend liest.

Sie fordern etwa eine Begrenzung der Haftdauer auf ein «humanes Mass», eine professionelle Behandlung psychiatrischer Fälle und die Abschaffung der Isolationszelle, die die Insassen bloss «Bunker» nennen. Ausserdem soll das Staatssekretariat für Migration (SEM) die «freiwillige Rückkehr» zügig organisieren – und von Zwangsausschaffungen absehen. «Dieser Brief enthält Lösungen», sagt Filali. Er betreffe die Gesetze, die sich ändern müssten, die Praktiken des SEM und der Migrationsämter.

«Unsere Verantwortung liegt in der Umsetzung des rechtlichen Auftrags», schreibt das JuWe. Die Frage nach dem «Wegweisungsvollzug» sei eine politische und gesellschaftliche. «Wir sind Menschen, das müssen die Leute lernen», sagt Filali. «Warum haben wir keine Chance verdient?»