Netto Null in den Städten: Zürich ringt mit der Klimakrise

Nr. 17 –

Der Zürcher Stadtrat will die Treibhausgasemissionen der Stadt bis 2040 auf netto null bringen. Das ist ein ambitioniertes Ziel. Dennoch ist es ungenügend. Die grösste Stadt der Schweiz stösst an die Systemgrenze.

Der Frust ist gross, doch der Handlungsspielraum der Stadt ist begrenzt: Protest des Klimastreiks am Mittwoch letzter Woche vor dem Zürcher Stadthaus.

«Realitätsfern» und ein «Affront»: Der Klimastreik hat wütend auf die Klimaziele der Zürcher Stadtregierung reagiert. Diese hatte vergangene Woche eine Vorlage präsentiert, die die Treibhausgase der Stadt bis 2040, und nicht wie vom Stadtparlament gefordert bis 2030, auf netto null bringen soll. «Nur das Ziel von 2030 bietet uns noch eine Chance, das 1,5-Grad-Ziel einzuhalten und schlimmere Auswirkungen der Klimakrise abzuwehren», schreibt der Klimastreik. Zürich müsse sich seiner historischen Schuld bewusst sein. Die Stadt habe global gesehen bereits überproportional viel der ihr zustehenden Emissionen verursacht. «Weder mutig noch enkeltauglich», kommentiert auch der Verein Klimastadt Zürich den stadträtlichen Entscheid. Zürich wäre dank seines Reichtums und seiner Hochschulen prädestiniert, sich als «Klimastadt mit Leuchtturmcharakter» zu positionieren.

Sanieren statt abreissen

Die Diskussion über netto null in Zürich hat viel mit der Klimabewegung zu tun, die just vor dem Sitz der Stadtregierung ihren Anfang nahm. Am 14. Dezember 2018 versammelten sich einige Hundert Jugendliche beim Stadthaus. Auf einem mitgebrachten Transparent stand «Unsere Zukunft steht auf dem Spiel». Zwischendurch wurde etwa «system change not climate change» skandiert. Was die Jugendlichen damals mobilisierte, war die Empörung über ein politisches System, das als unfähig wahrgenommen wurde, die Klimakrise zu lösen. In den darauffolgenden Wochen und Monaten gingen Zehntausende in Zürich und vielen anderen Städten der Schweiz auf die Strasse. Die Politik zeigte sich beeindruckt. Der Zürcher Gemeinderat verabschiedete bereits am 20. März 2019 seine Motion zu netto null bis 2030.

Trotz des Frusts der Klimabewegung: Die Vorlage des Stadtrats ist ein grosser Schritt nach vorn, auch wenn er zum Erreichen der Klimagerechtigkeit immer noch viel zu klein ist. Der Stadtrat setzt dort an, wo es realpolitisch machbar ist: bei den städtischen Verkehrsbetrieben etwa, deren Busse bis 2030 alle auf elektrischen Betrieb umgestellt sein sollen; der Verkehrsverlagerung vom Auto aufs Velo; den Gebäuden der städtischen Verwaltung, die bis 2035 klimaneutral sein sollen; und schliesslich mit Angeboten und Fördermassnahmen für Private. So soll das Fernwärmenetz massiv ausgebaut werden, und bis 2040 sollen rund 60 Prozent der Häuser auf Stadtgebiet nachhaltig produzierte Wärme liefern können. HauseigentümerInnen sollen bei energetischen Sanierungen ihrer Liegenschaften finanziell unterstützt werden wie auch bei der Installation von Solaranlagen an Fassaden und auf Hausdächern.

Eine Stadt voll mit bestens isolierten Häusern, die allesamt mit nachhaltigen Systemen beheizt werden: Das ist das Ziel und die grösste Herausforderung. Besonders wichtig: Dabei muss auch die soziale Dimension beachtet werden. Sanieren private HauseigentümerInnen ihre Liegenschaften im Sinne des Klimaschutzes, droht den MieterInnen, dass die Kosten dafür auf sie überwälzt werden. Noch verheerender wäre der grossflächige Abriss alter, energetisch schlecht ausgestalteter Liegenschaften, die bislang günstigen Wohnraum boten. Die Stadtregierung ist sich des Problems bewusst: «In allen Szenarien ist zu rechnen, dass der Druck auf die Mietpreise steigt. Der Stadtrat sieht deshalb flankierende Massnahmen vor», heisst es in der entsprechenden Weisung an den Gemeinderat. «Vom jetzigen Wohnungsbestand soll so viel erhalten bleiben wie möglich», ergänzte Baustadtrat André Odermatt bei der Vorstellung der Klimaziele. Dies ist nicht nur aus sozialen, sondern auch aus Klimaschutzgründen angezeigt: Denn der Bau neuer Häuser ist mit hohen direkten wie indirekten CO2-Emissionen verbunden.

Grenzen von Bund und Kanton

Im Vergleich mit anderen Städten Europas steht die Stadt mit ihrem Ziel 2040 zwar gut da, ragt jedoch auch nicht heraus. Leuchtturmfunktion hat Kopenhagen. Die Stadt arbeitet bereits seit 2012 am Plan der Klimaneutralität. Bis 2025 will sie es geschafft haben. Weil sich bis dann aber in Dänemark kein Verbot von Benzin- und Dieselautos durchsetzen lässt, will die Stadt deren CO2-Ausstoss auf Stadtgebiet durch die Überproduktion von erneuerbarer Energie (Windkraft) kompensieren.

Auch Zürichs Handlungsspielraum ist durch nationale und kantonale Gesetze begrenzt. So kann die Stadt aufgrund der kantonalen Verfassung nicht einfach Durchgangsstrassen sperren. Nicht mal ein Spurabbau auf wichtigen Strassen ist möglich. Auch Benzin- und Dieselfahrzeuge können nicht auf Stadtgebiet verboten werden. Lausanne strebt zwar genau das für 2030 an, was der Stadt Anfang Jahr einige mediale Beachtung einbrachte. Sie kann das jedoch nur durchziehen, wenn ihr angekündigtes Engagement für eine entsprechende Gesetzesänderung auf Bundesebene erfolgreich ist.

Noch weniger Einfluss hat die Stadt, wenn es um die indirekten Emissionen der Stadtbevölkerung geht: wenn Fleisch gegessen, viele neue Kleider gekauft oder zum Bau von Häusern mit viel CO2-Ausstoss produzierter Zement und Beton benützt wird. Sie kann der Bevölkerung auch nicht einfach verbieten, etwa nach Bali in die Ferien zu fliegen. All die damit verursachten CO2-Emissionen machen laut Berechnungen der Stadt 75 Prozent des Klimafussabdrucks aus, derzeit fast zehn Tonnen pro Kopf. Der Stadtrat setzt sich zum Ziel, diese Zahl bis 2040 auf sieben Tonnen pro Kopf zu reduzieren.

Technokratischer Ansatz

Die Weisung des Stadtrats ist realpolitisch gesehen schlüssig. Sie zeigt auf, was im politischen Rahmen der Stadt möglich ist. Darüber hinaus geht der Stadtrat aber nicht. Die existenzielle Bedrohung und das Grundproblem der auf Wachstum und Überkonsum basierenden Wirtschaftsstruktur thematisiert er nicht. Der Stadtrat erwähnt denn auch mit keinem Wort den kürzlich vorgestellten Klima-Aktionsplan der Klimabewegung. In diesem finden sich viele Vorschläge, wie eine suffiziente Wirtschaft aufgebaut werden kann, wie also der «system change» demokratisch abgestützt möglich ist.

Die Vorlage des Stadtrats geht jetzt an das Stadtparlament, das weiter darüber diskutieren wird. Es kann das Netto-null-Ziel auch wieder verschärfen. Doch die Vorlage muss auch noch in einer Volksabstimmung bestehen. Denkbar wäre deshalb, der Gemeinderat würde zwar am Ziel 2030 festhalten, jedoch einen Passus anfügen, der besagt, dass ähnlich wie in Kopenhagen Klimakompensationszahlungen (in welcher Form müsste diskutiert werden) geleistet werden dürften, damit zum Beispiel die Liegenschaften in einem etwas gemächlicheren Takt saniert werden können.

Zürich stehen spannende Monate bevor. Denn im kommenden Frühling sind Wahlen. Das verleiht der Diskussion um die Emissionsziele zusätzliche Dynamik. Die Parteien und PolitikerInnen müssen sich in der Klimafrage nun klar positionieren. Für die Klimabewegung ist das eine Chance, Druck auszuüben, damit ihre Vorschläge doch noch in die Gesetzgebung einfliessen.