Weltwirtschaft: Willkommener Sündenbock

Nr. 13 –

Das Coronavirus ist nicht der einzige Grund, warum Staaten die Wirtschaft derzeit mit Billionenbeträgen zu retten versuchen. Bedeutender ist der in den letzten Jahren angehäufte globale Schuldenberg. Entscheidend ist nun, dass die Rettung unter klaren Bedingungen geschieht.

Auftakt zum Absturz: Ende Februar beginnen die Kurse von Nikkei, Dow Jones und Nasdaq zu fallen. Foto: Getty

Wer schuld an den krachenden Börsen und der anlaufenden Wirtschaftskrise ist, die laut Prognosen die schwerste seit dem letzten Weltkrieg werden könnte, ist klar: das Coronavirus und die staatlichen Massnahmen, um es zu stoppen. Das ist die Botschaft, die WirtschaftsvertreterInnen zurzeit auch hierzulande verbreiten. So können sie nach dem Staat rufen, ohne den Vorwurf um die Ohren gehauen zu bekommen, dass ein Jahrzehnt nach der grossen Finanzkrise schon wieder Grosskonzerne mit Milliarden gerettet und weltweit Millionen Menschen ihren Job verlieren werden.

Ja, das Virus ist einer der Gründe für die aktuelle Situation: Wegen der verordneten Massnahmen können viele Firmen nicht mehr produzieren. Zudem bleiben ihre KundInnen weg, wodurch die Einnahmen wegbrechen. Doch das Virus ist nicht der einzige Grund: Es ist gleichzeitig der Auslöser einer Wirtschaftskrise, die sich über Jahre anbahnte und die die Welt ohnehin irgendwann heimgesucht hätte.

Dies zeigt sich am Anstieg des globalen Schuldenbergs, in dem sich auch die soziale Ungleichheit spiegelt – die Schuld des einen ist zugleich immer das Vermögen eines anderen. Seit die Schulden die Welt 2008 in eine Wirtschaftskrise stürzten, sind sie gemäss der Bank für internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) weiter von 180 auf 221 Prozent des globalen Bruttoinlandsprodukts (BIP) geklettert. Es sind Schulden von einfachen Leuten, Firmen und Staaten. Mit Schulden wurden auch Aktien gekauft und die Börsen angeheizt. Der Kurs globaler Aktien, die der MSCI-Index nachzeichnet, ist von 750 auf über 2400 Punkte geschossen. Ein Irrsinn. Der Internationale Währungsfonds (IWF) warnt seit Jahren, dass der Schuldenberg irgendwann einstürzen könnte, wobei er die ganze Weltwirtschaft unter sich begraben würde.

Die Fabrikation der Krise

Wie es dazu kam, ist schnell zusammengefasst: Als 2008 Leute in den USA oder Spanien die Zinsen ihrer Hypothek nicht mehr zahlen konnten, übernahmen die Staaten die Schulden. Denn die Schuld war gleichzeitig das Vermögen von Banken, Pensionskassen und Vermögensverwaltern. Die Staaten verschuldeten sich dafür wiederum selbst bei den Banken. Als Länder wie Irland ihre Schulden selber nicht mehr stemmen konnten, nahmen solventere Staaten Schulden an ihrer Stelle auf. Kurz: Die Regierungen stützten die Schulden, um die entsprechenden Vermögen zu schützen.

Sie entschieden sich damit gegen eine Abschreibung von Schulden – was Milliarden von oben nach unten umverteilt hätte. Stattdessen wurden unter dem Druck von Steueroasen wie der Schweiz weltweit die Unternehmenssteuern weiter gesenkt, die Sozialausgaben gekürzt und die Arbeitsmärkte dereguliert. Das würde Dynamik in die Wirtschaft bringen, so die Wette. Mit dem Ziel, dass die Leute und die Staaten ihre Zinsen wieder schultern und einen Teil ihrer Schulden zurückzahlen können.

Eine zehnjährige Irrfahrt. Die Sparpolitik drohte zum Einbruch der Wirtschaftsnachfrage zu führen. Und so pumpen die Zentralbanken seit Jahren immer und immer mehr Geld in die Weltwirtschaft, damit sich einfache Leute und Staaten weiter billig verschulden und damit die Wirtschaft am Brummen halten. Zum Geld gegriffen haben aber auch Firmen, die damit eigene Aktien kauften, um den Kurs in die Höhe zu jagen. Die Summe sogenannter Leveraged Loans ist rasant gestiegen – riskante Kredite an wackelige Unternehmen. 2018 stellte die BIZ fest, dass in vierzehn untersuchten Ländern (darunter die Schweiz) zwölf Prozent der Firmen «Zombies» sind: unrentable Unternehmen, die ihre Zinsen nur mit immer neuen Schulden begleichen können.

Die Sparpolitik hat zudem den Weg für Populisten wie US-Präsident Donald Trump bereitet, die den sozialen Unmut in Wirtschaftskriegen zu ersticken versuchen und damit die Globalisierung ins Stocken bringen. Schon Monate vor dem Ausbruch der Coronapandemie ertönten überall Warnungen vor einer bevorstehenden Rezession.

Corona in Zeiten der Schuld

Diese Schulden sind mit der Grund dafür, weshalb die Staaten so massiv einschreiten, um die Wirtschaft erneut vor dem Kollaps zu retten. Verantwortlich für diese Schulden sind jene WirtschaftspolitikerInnen, die mit ihrer Sparpolitik den Schuldenberg weiter zum Wachsen gebracht haben. Nun werden Billionen lockergemacht, um dessen Einsturz zu verhindern. Das Virus dient ihnen als Sündenbock.

Nachdem die Börsen weltweit um ein Drittel eingebrochen sind, starrt die Finanzwelt nun nervös auf die Unternehmen, ob sie ihre Schulden stemmen können: Falls nicht, wird es zu einer neuen globalen Finanzkrise kommen. Der IWF hatte letzten Herbst gewarnt, dass in einer Wirtschaftskrise vierzig Prozent der Unternehmenskredite in den wichtigsten Volkswirtschaften zu Ramschpapieren verkommen könnten. Entsprechend sind die Zinsen, die Firmen für Kredite bezahlen müssen, in den letzten Tagen weltweit in die Höhe geschossen.

Auch die privaten Haushalte werden Mühe bekommen, die Schuldzinsen zu bezahlen. Erneut drohen weltweit Immobilienblasen zu platzen. Schuld daran ist auch die Deregulierung der Arbeitsmärkte, die Jobs auf Abruf, befristete Verträge und Scheinselbstständigkeiten gefördert hat: Statt nun weiterhin ihren Lohn zu erhalten, verlieren die Leute über Nacht ihre Existenzgrundlage und damit die Mittel, um Miete oder Hypothek zu bezahlen.

Während die Credit Suisse kräftig bei den Leveraged Loans mitgemischt hat, haben andere Schweizer Banken wie die Raiffeisen internationale Rekordsummen an Hypotheken vergeben. Vor beidem hat die Nationalbank gewarnt.

Die Billionen, die die Regierungen nun bereitstellen, werden zusammen mit dem Wirtschaftseinbruch auch die Staatsschulden weiter in die Höhe treiben. Bereits debattiert die EU, wie man sich etwa anstelle von Italien verschulden könnte, falls das Land seine Zinsen nicht mehr tragen kann.

Die Gefahr ist gross, dass die Regierungen mit ihren Notfallmassnahmen wie bereits 2008 lediglich die Schulden weiter stützen und die Ungleichheit weiter befeuern. Das Geld, das die Zentralbanken derzeit aus allen Rohren feuern, dient dazu, die Zinsen für Menschen, Firmen und Staaten tief zu halten. Mit den Milliarden, die die Regierungen der USA, Deutschlands oder der Schweiz bereitstellen, sollen die Schulden tatsächlich bezahlt werden: Falls Unternehmen ihre Kredite der Bank nicht mehr zurückbezahlen können, sollen die SteuerzahlerInnen den Verlust übernehmen. Dafür werden sich die Staaten wiederum bei den Banken verschulden müssen.

Zudem übernehmen die Staaten für die Firmen die Bezahlung von Löhnen, damit die Leute ihre Miete an ImmobilienbesitzerInnen und die Hypothek an die Banken bezahlen können. Kurz: Ein Jahrzehnt nach der globalen Finanzkrise sind die Staaten erneut daran, Banken und andere Gläubiger mit Milliarden zu retten.

Zeit, die Regeln festzulegen

Bereits gibt es Stimmen, die die Lockerung der Eigenkapitalvorschriften für Banken und Steuersenkungen fordern. Und wenn die Staatsschulden weiter wachsen, wird es nicht lange gehen, bis der Ruf nach weiteren Kürzungen der Sozialausgaben und einer Arbeitsmarktderegulierung laut wird.

Natürlich, der unkontrollierte Einsturz des Schuldenbergs muss unbedingt verhindert werden. Zudem brauchen vor allem kleinere Betriebe, Selbstständige und jene Arbeitskräfte, die nun unverschuldet in die Krise schlittern, Hilfe. Doch wenn die Staaten nun mit Billionen eingreifen, dann sollten sie das nur unter klaren Bedingungen tun: Erstens müssen diesmal die Banken, Vermögensverwalter, Immobilieninvestorinnen und Grosskonzerne, die in den letzten Jahren Milliarden an Gewinnen ausgeschüttet haben, ihre Verluste selber tragen – durch eine geordnete Abschreibung der Schulden oder eine drastische Erhöhung der weltweiten Steuern für Konzerne und Vermögende.

Zweitens: Wenn CO2-Schleudern wie Energiekonzerne, Autohersteller oder Airlines wie die Swiss Geld erhalten, dann unter der Bedingung, dass sie sich neu erfinden oder auf mittlere Frist verschwinden. Zudem muss das Geld von Konjunkturpaketen an Firmen fliessen, die helfen, den CO2-Ausstoss zu senken.

In der Krise eröffne sich die Möglichkeit, dass sich neue Ideen durchsetzen, schrieb der rechtslibertäre Ökonom Milton Friedman, dessen Ideen die Welt bis heute beherrschen. Die Krise ist jetzt.