Krisenverluste: Die Profiteure müssen zahlen
Wie viel darf ein Leben kosten?, fragen nun immer mehr Ökonomen und Wirtschaftsvertreterinnen. Hintergrund ist der Lockdown, der eine Überlastung der Spitäler mit Coronainfizierten verhindern und damit Leben retten will: Der Lockdown kostet in der Schweiz laut Schätzungen monatlich 16 Milliarden Franken. Hinter der Frage steht implizit die Forderung, ihn schnellstmöglich aufzuheben – auch wenn dafür ein paar Tausend schwächere Menschen zusätzlich sterben müssen.
Abgesehen davon, dass es jene Stimmen sind, die mit ihrer Sparobsession die drohenden Engpässe mitverantworten, und es etwas einfach ist, vom sicheren Homeoffice aus die Schuhverkäuferin zurück an die Coronafront zu schicken – mit dem Kosteneinwand wird den Menschen Sand in die Augen geworfen: Es wird suggeriert, dass alle gleichermassen für die Kosten aufkommen müssten. Also auch jene, die gerade ihre Existenzgrundlage verlieren. Damit soll von der relevanten Frage abgelenkt werden: Wer soll bezahlen?
In den letzten Jahrzehnten haben sich Konzerne, deren Aktionärinnen und Spitzenverdiener ein immer grösseres Stück des wirtschaftlichen Kuchens gesichert. Zehn Prozent der Bevölkerung streichen knapp ein Drittel des Volkseinkommens ein. Wird der Kuchen nun kleiner, verlieren sie ihrem Anteil entsprechend fast 5 der 16 Milliarden. Nicht besonders gravierend, sie könnten locker noch mehr schultern: 16 Milliarden sind ein Dreizehntel von dem, was sie jährlich als Lohn und vor allem als Dividenden einkassieren – oder ein Achtundachtzigstel der 1,4 Billionen, die das reichste Zehntel besitzt. Die Kosten des Lockdowns, für die der Bund nun einspringt, wären mit etwas höheren Steuern einfach wieder reinzuholen.
Wenn nun also Wirtschaftsvertreterinnen und Professoren, deren Lehrstühle von Grosskonzernen wie der UBS mitfinanziert werden, die Kostenfrage stellen, dann sollten sie sie ehrlich stellen: Wie viel darf ein Leben die Reichen in der Schweiz kosten? So wird auch der menschenverachtende Sozialdarwinismus, der dahintersteckt, ersichtlicher.
Die Lancierung dieser Debatte ist nur der Höhepunkt eines leise tobenden Verteilungskampfs, in dem grosse Firmen auch grosszügig nach den Steuergeldern greifen, die der Bund bereitstellt. Ausser an Kleinstbetriebe wie etwa Coiffeursalons gehen diese auch an die Swiss oder Tamedia, die über Jahre Hunderte Millionen an Dividenden ausgeschüttet haben und sich nun bei den Geldern für Kurzarbeit bedienen.
Anders als vielerorts behauptet, werden mit Finanzminister Ueli Maurers Kreditprogramm für Firmen gleichzeitig auch die Banken gerettet: Sie haben in den letzten Jahren immer mehr Geld auch an kaum rentable Firmen verliehen sowie eine weltweit rekordhohe Summe an unsicheren Hypotheken vergeben.
Nun, da der Ausfall dieser Kredite erneut eine Finanzkrise auszulösen droht, erhalten die Banken von der Nationalbank Geld, um drohende Ausfälle mit neuen Krediten zu verhindern. Falls die Firmen den Kredit nicht zurückzahlen, übernehmen die SteuerzahlerInnen den Verlust für die Banken. Zudem wird ein Grossteil der Kurzarbeitsgelder über die Zahlung von Hypothekarzinsen am Ende in der Tasche der Banken landen oder der Immobilienkonzerne, die auf ihren Mieten beharren. Der Verteilungskampf zeigt sich auch im Bundesratsbeschluss, die Ruhezeiten für das Pflegepersonal in Spitälern zu kürzen, obwohl bereits seit Jahren auf dessen Buckel gespart wird. Genauso wie am Beschluss, dass Leute, die zu Risikogruppen gehören, wieder zur Arbeit müssen – womit der Bundesrat dem Druck der Wirtschaftsverbände nachgegeben hat.
Es heisst, man müsse schnell handeln, habe keine Zeit für lange Debatten. Das stimmt. Doch der Einwand dient mächtigen Interessen auch als Vorwand, um in der Krise Fakten zu schaffen, die sich nur schwer wieder rückgängig machen lassen. Das hat die Finanzkrise 2008 gelehrt. Die Kosten der Krise sollten dieses Mal jene tragen, die in den letzten Jahrzehnten am meisten profitiert haben, die wie die Banken eine Mitschuld an der Krise tragen und die jetzt von den Steuermilliarden am meisten profitieren.