Corona Und Mieten: MieterInnen müssen um Gnade betteln
Die einschneidenden Massnahmen, die in der aktuellen Coronakrise greifen, belasten praktisch alle, gerade auch finanziell. Nur die VermieterInnen kommen bisher ungeschoren davon. Das ist kein Zufall, sondern politisch so gewollt.
«Ich muss derzeit meine Ersparnisse anzapfen», sagt Sabrina Linhart. Die Physiotherapeutin, die ihren richtigen Namen nicht in der Zeitung lesen will, steckt in einer verzweifelten Lage. Drei Mieten müssen sie und ihr Partner jeden Monat zahlen: Insgesamt rund 5000 Franken für die gemeinsame Wohnung, für ihre Praxis und für die kleine Boutique des Partners, die zurzeit geschlossen bleiben muss.
Linhart darf zwar dringliche Therapien weiterführen, doch die PatientInnen blieben grösstenteils zu Hause. «Letzte Woche habe ich gerade einmal zwei Therapiestunden machen können. Dafür erhalte ich etwa 200 Franken. Meine Einnahmen sind seit Mitte März komplett weggebrochen», sagt Linhart.
Sie habe deshalb rasch und per Einschreiben bei ihrer Praxisvermieterin – einer Stiftung – nachgefragt, was für Möglichkeiten bezüglich Mietreduktion oder -erlass bestünden. Bisher blieb eine Reaktion aus. Ihr Partner hatte mehr Glück. Der Vermieter des Ladenlokals, ein älterer Herr, gewährte ihm einen kompletten Mieterlass – «ein grosses Geschenk», so Linhart. Die Erbengemeinschaft wiederum, die ihre gemeinsame private Wohnung vermietet, wollte nichts von einer Mietreduktion oder einem -erlass wissen. Auch ein Aufschub komme nicht infrage. «Die Mieten sind unser mit Abstand grösster Ausgabenposten. Es zehrt an den Kräften, völlig der Willkür der Vermieter ausgesetzt zu sein», sagt Linhart.
Illegale Bereicherung
Viele MieterInnen in diesem Land, ob nun gewerblich oder privat, sind unvermittelt in eine schwierige Lage geraten. Ihre Einnahmen sind aufgrund der Coronabeschlüsse des Bundesrats weggebrochen. Doch ihre Miete müssen sie dennoch vollumfänglich bezahlen. Die VermieterInnen werden schadlos gehalten. Ein beträchtlicher Teil der mittlerweile vom Bund gewährten Überbrückungskredite für Unternehmen fliesst zurzeit in ihre Taschen.
35 Milliarden Franken stecken die VermieterInnen jedes Jahr ein. Mehrheitlich handelt es sich um vermögende Familien und Investoren wie Pensionskassen, Versicherungen, Banken und börsenkotierte Immobilien-AGs. Dabei haben sie bereits in den letzten Jahren von überdurchschnittlich hohen und sogar illegalen Gewinnen profitiert. Die Rendite auf Wohnimmobilien ist laut einer Studie der Raiffeisen-Bank oft weit höher als die erlaubten 0,5 Prozentpunkte, die diese über dem Referenzzinssatz liegen darf. Rund vierzehn Milliarden Franken werden den MieterInnen so jedes Jahr illegal aus der Tasche gezogen (siehe WOZ Nr. 3/2020 ).
Dass die VermieterInnen bisher ungeschoren durch die gegenwärtige Krise kommen, ist politisch so gewollt und Ausdruck der grossen Macht der Schweizer Immobilienbranche und -lobby. Gemäss der Datenbank des Vereins Lobbywatch vertreten rund sechzig BundesparlamentarierInnen die Interessen der profitgetriebenen Immobilienbranche; gut die Hälfte von ihnen stehen dem Hauseigentümerverband (HEV) nahe, allein sechzehn von ihnen gehören zur SVP. Erst Mitte letzter Woche verkündete der Bundesrat, er sehe davon ab, in die privatrechtlichen Beziehungen zwischen Mieterinnen und Vermietern einzugreifen. Vielmehr ruft er die betroffenen Mietparteien «eindringlich» dazu auf, «im Dialog konstruktive und pragmatische Lösungen zu finden».
Am 24. März setzte Wirtschaftsminister Guy Parmelin (SVP) die Taskforce «Mietrecht und Corona-Krise» unter der Leitung des Bundesamts für Wohnungswesen (BWO) ein. Rund 25 Organisationen, Verbände, Bundesbehörden und KantonsvertreterInnen sind Teil dieser Taskforce, die sich bisher viermal ausgetauscht hat und als einzige relevante Massnahme eine Fristverlängerung bei fälligen Wohn- und Geschäftsmieten von dreissig auf neunzig Tage angeordnet hat. Die nächste Sitzung wird erst Ende April stattfinden. Der WOZ liegt die detaillierte TeilnehmerInnenliste vor. Sie offenbart ein Ungleichgewicht: Fünf Mitglieder vertreten direkt die profitorientierten Immobilienbesitzenden, nur drei die MieterInnen.
Eine Umfrage der WOZ beim Hauseigentümerverband (HEV), beim Verband Immobilien Schweiz (VIS) sowie bei den grossen Playern der Immobilienbranche wie Swiss Re, PSP Property, Mobimo, Zurich Versicherung, ASGA Pensionskasse, Migros, Swiss Life und UBS zeigt allerdings, was diese unter «Dialog» verstehen: Das zentrale Angebot ist eine Stundung der Miete. In «Einzelfällen» und auf «individueller Basis» seien auch Mietreduktionen möglich, bei Kleinstbetrieben auch ein Mieterlass.
Keine Spur von Solidarität
Alles hängt also vom Goodwill der VermieterInnen ab – und dieser ist offenbar begrenzt. «Kulanz und Solidarität ist gerade bei den grossen Playern in der Branche nur wenig vorhanden, wie uns unsere Mitglieder berichten», sagt etwa Fabian Gloor, Leiter der Rechtsberatungshotline des Schweizerischen Mieterinnen- und Mieterverbands (MV).
Für Gloor ist die aktuelle Situation nur politisch zu lösen. Denn die Rechtslage ist ungeklärt, und sie wird es in absehbarer Zeit auch bleiben, da es schlichtweg noch keine Rechtsprechung zu den Folgen der gestützt auf das Epidemiengesetz angeordneten Betriebsschliessungen gibt. Der MV vertritt den rechtlichen Standpunkt, dass für die Zeit der vom Bundesrat angeordneten Betriebsschliessungen und -beschränkungen bei der Geschäftsraummiete ein Mangel an der Mietsache vorliegt, der zu einem Mietzinserlass oder zumindest einer -reduktion berechtige. Die Gegenseite ficht diese Auffassung vehement an und verlangt eine Fortzahlung der Mietzinse.
Ob eine politische Lösung kommt, hängt nun vom Parlament ab. Es kann den Bundesrat zum Handeln zwingen, etwa mit einer dringlichen Motion. Eine erste Gelegenheit, politisch Druck aufzubauen, blieb erst mal ungenutzt. Am Dienstag tagte die Kommission für Wirtschaft und Abgaben (WAK) des Nationalrats, Ende letzter Woche jene des Ständerats. Mehr als ein höflicher Brief an den Bundesrat kam in beiden Fällen nicht zustande. Die Regierung wurde aufgefordert, nicht nur auf Dialog zu setzen, sondern weiter gehende Lösungen zu finden, ohne diese jedoch konkret zu benennen. Der rechtsbürgerliche Schutzwall für die VermieterInnen hielt offensichtlich stand. Man nimmt lieber Massenkonkurse in Kauf, statt der mächtigen Immobilienbranche – auch nur für einen kurzen Zeitraum – finanzielle Einbussen zuzumuten.
Entscheidend wird sein, wie sich die bürgerlichen Parteien verhalten. VertreterInnen der FDP, CVP und GLP anerkennen gegenüber der WOZ dringenden Handlungsbedarf. «Es kann nicht sein, dass Mieterinnen und Mieter, die infolge behördlicher Massnahmen ihre Geschäfte schliessen mussten und den gewerblichen Raum nicht nutzen können, die ganze Miete alleine bezahlen müssen», sagt etwa der Bündner CVP-Nationalrat Martin Candinas. Und FDP-Präsidentin Petra Gössi zeigt sich auf nau.ch sogar offen für Mieterlasse für kleine Unternehmen. Allerdings favorisieren bislang alle drei bürgerlichen Parteien in offiziellen Stellungnahmen eine rein freiwillige Einigung zwischen Vermieterinnen und Mietern.
Das will auch die SVP. Ansonsten sieht die Partei, die sich sonst bei jeder Gelegenheit als Sprachrohr der KMUs inszeniert, auf Anfrage keinerlei Handlungsbedarf – genauso übrigens wie das zweite selbstinszenierte KMU-Sprachrohr: der Gewerbeverband.
Und was ist mit den Banken?
«Die Banken sollten auf Hypothekarzinsen verzichten, wenn die Vermieter einen Mieterlass gewähren», findet Lukas Hofstetter und wundert sich, dass diese Diskussion noch nicht aufgekommen ist, da die Banken doch dank der Überbrückungskredite des Bundes sogar noch Gewinne erzielen werden.
Hofstetter, der nebenbei auch das Non-Profit-Musiklabel Red Fyah führt, betreibt im Zürcher Oberdorf das Oldtown Hostel Otter, zu dem auch die Wüste-Bar gehört. Er zahlt monatlich eine Miete von über 20 000 Franken. Hofstetters Einnahmen liegen derzeit bei null. «Meine Vermieterin ist zu einer Mietreduktion nicht bereit, sie kommt mir nur mit einer Stundung entgegen. Ihre Begründung ist, dass sie auch die Hypotheken bedienen müsse. Das kann ich bis zu einem gewissen Grad nachvollziehen», sagt Hofstetter. Für ihn bedeute das aber, dass er – falls eine politische Massnahme ausbleibt – bis im Sommer seine in den letzten Jahren zurückgelegte Reserve von rund 100 000 Franken komplett verlieren wird.