Tanz: Zuckerwatte mit Rasierklingen darunter

Nr. 16 –

Woher dieser Hass auf Frauen, die uns die Augen öffnen? Teresa Vittucci setzt in ihren feministischen Tanzstücken auf die ejakulative Kraft des Humors.

«Das Jungfernhäutchen – ein Mythos, der gestürzt werden muss»: Teresa Vittucci in «Hate Me, Tender». Foto: Yoshiko Kusano

Unten ohne, mit schaurig zweideutigen Popsongs, einer Livecam und Tiefkühllasagne: So widmete sie sich in ihrem letzten Stück, «All Eyes On», dem Voyeurismus. Sich in Pose werfen und punktgenaue Pointen fabrizieren, das sind die Werkzeuge, mit denen Teresa Vittucci die Frau als schwaches Geschlecht, als Opfer und als Objekt der Begierde dekonstruiert. Als Performerin ist die gebürtige Wienerin dabei jederzeit absolut Herr der Lage. Und schon hat sie uns dort, wo sie uns haben will: bei der Frage, warum es keine «Frau der Lage» gibt, sondern nur Frauen, die sich hinlegen müssen.

Humor ist ein zentrales künstlerisches Element in ihren Stücken. Auf die Frage, ob sie diesen als feministisch bezeichnen würde, bleibt sie, die sonst schnell antwortet, aber erst einmal still. Feministischer Humor? Sie wisse nicht genau, was das sein sollte: «Meine Art von Humor würde ich beschreiben als Zuckerwatte – und drunter sind Rasierklingen. Es ist immer ein Spiel mit Erwartungen.»

Verführerisch verschleiert

So auch ihr neustes Stück, «Hate Me, Tender», für das sie 2019 den Schweizer Tanzpreis erhalten hat. «Solo for Future Feminism» heisst es im Untertitel, aktuell hätte Teresa Vittucci damit durch Europa touren sollen. Wie Jungfrau Maria zeigt sie im Stück demütige Augenaufschläge. Als verführerische Sphinx blickt sie durch einen Sehschlitz (oder ist es eine Burka?). Als verletzliche Muse windet sie sich anmutig aus dem Schleier der Unschuld. Der Schleier wird zusehends zur Metapher für das Jungfernhäutchen, das Beweisblut und die religiös-patriarchale Hegemonie über den weiblichen Körper. Dazu singt Vittucci nackt und mit bestem Poptimbre eine Art Choral. Von der Pietà zum Harem zum schwachen Geschlecht, vom Disney-Gassenhauer zum Kirchenchor in fünf Minuten: Furcht- und mühelos bündelt sie das Unvereinbare zu einem Haufen lächerlicher Ideale, die eine Frau wortwörtlich verkörpern sollte. Es geht ihr dabei um «diesen ernsten Moment, in dem einem das Lachen im Hals stecken bleibt», wie sie sagt.

Sie selbst lacht laut und angenehm befreit. Lachen vergleicht Teresa Vittucci mit einem Begriff aus dem zeitgenössischen Tanz: Release, Loslassen. «Lachen ist ein erlaubter Release, eine eigenwillige Reaktion des Körpers. Genauso wie Ekel ist es ein somatischer Prozess mit eruptiver, ja ejakulativer Kraft.» Humor sei für sie ein wichtiges Mittel, um Tabus aufzubrechen. Vorbilder? Am Anfang war da die Dragqueen Divine, «partner in crime» des US-Filmemachers John Waters. Heute steht die australische Komikerin Hannah Gadsby vorne, die in ihrem Programm «Nanette» absolut ernst wird und verkündet, wieso ihr weibliche Selbstironie geschadet habe: Selbsterniedrigung für eine Pointe, auf Kosten ihrer selbst.

Das Thema Selbsthass hat auch Vittucci stets begleitet. Sie hat eine klassische Tanzausbildung hinter sich: «Jahrelang habe ich angekämpft gegen die körperlichen Normvorstellungen der Tanzwelt. Lehrpersonen, Ärzte, Physiotherapeutinnen oder Kolleginnen geben einem zu spüren, dass dicke Tänzerinnen schlechte Tänzerinnen seien.» Nach Abschluss an der Salzburg Experimental Academy of Dance nannte sie sich eine Weile nicht mehr Tänzerin. Heute sagt sie: «Ich bin Tänzerin, mit diesem Körper und diesen Praxen, und mache Choreografie.»

Ein Körper, kein Projekt

Ein Schlüsselerlebnis hatte sie vor zehn Jahren in einem Stück der österreichischen Performancekünstlerin Doris Uhlich, die nackt ihr Fett puderte und damit wackelte. Da habe sie verstanden: Auch «solche» Frauen können Tanz machen. Vittucci schrieb sich an der Berner Hochschule der Künste für den transdisziplinären Master «Expanded Theatre» ein und entdeckte den Humor als Ausdrucksmittel. Auch wurde ihr die politische Dimension ihres Schaffens bewusst: «Ich habe begriffen, dass mein Kampf systembedingt ist. Wir werden dazu erzogen, unsere Körper als Projekt zu sehen, sie zu hassen. Immer muss etwas repariert, verbessert werden, und das betrifft nicht nur die Tänzerinnen.»

In ihrer «stark religiösen Familie» war Hass des Teufels, ein Tabu. Und darum umso spannender. Den Ausschlag für «Hate Me, Tender» gab Carolin Emckes Buch «Gegen den Hass». Immer habe sie sich gefragt, was man dem Hass entgegensetzen könne, und immer kam sie dabei auf Eigenschaften, die dem Weiblichen zugeschrieben würden: Verletzlichkeit, Mitgefühl, Güte. «Eigenschaften, die von Jungfrau Maria verkörpert und oft als Schwäche ausgelegt werden», sagt Vittucci. Sie sieht Maria, die zu ihrer Verletzlichkeit steht, als Heldin, macht sie zur Hauptfigur im Stück. «Und was ist am verletzlichsten an ihr? Das Jungfernhäutchen – ein Konstrukt, ein Mythos, der gestürzt werden muss.»

Auch in ihrem nächsten Stück münzt sie Zuschreibungen um: diesmal zu Eva. «Die dumme, verführbare Eva, die den Apfel isst – da liegt der Ursprung der Misogynie», sagt sie. «Dabei ist es wie bei Greta Thunberg: Sie öffnet uns die Augen.» Die Reaktion darauf seien Trotz und Aggression: «Wegen dir kann ich nicht mehr im Paradies leben, sondern muss an die schmelzende Arktis denken.» Dabei, so Vittucci, könnte man auch ihre Neugierde feiern, ihren Mut. Und genau das tut sie mit ihrer eigenen Arbeit: Sie hinterfragt Zuschreibungen – ohne Mahnfinger, ohne Mission, sondern mit klugem Humor. Und ohne sich dabei selbst zu zerfleischen.

Nächste Termine siehe www.teresavittucci.com.