Sozialpolitik: Ihre Angst, unsere Arbeit

Nr. 17 –

Vor Angst klappern ihnen die Zähne. «Sind Sie wahnsinnig, Frau Alleva?», fragte gleich zu Beginn der Coronakrise der «Tages-Anzeiger» die Gewerkschaftschefin, bloss weil sie auch für Bauarbeiter Hygienemassnahmen forderte. «Bitte keinen Seuchen-Sozialismus», warnte nun der Chefredaktor der NZZ, die selbst Gelder für Kurzarbeit bezieht, derweil den eigenen AktionärInnen Dividenden ausgeschüttet werden. Und ausgerechnet die Partei des reichsten Politikers malt in ihrer neusten Inseratekampagne die «Massenarmut» an die Wand.

Die VerkäuferInnen, so die Botschaft, sollen so schnell wie möglich wieder in die Läden, die DienstleisterInnen in die Büros, die ArbeiterInnen in die Fabriken. Alle zurück auf den Posten, damit sich der Mehrwert wieder abschöpfen lässt! «Die Wirtschaft», von der die Vermögenden gerne sprechen, sie ist halt doch immer zuerst die Arbeit, die von den Beschäftigten geleistet wird.

Die Angst der Besitzenden ist verständlich. Was schon die Bankenrettung während der Finanzkrise 2008 bewies, haben nun die Massnahmen während der Coronapandemie doppelt unterstrichen: Das Gegenteil der neoliberalen Lehre ist wahr. Ohne staatliche Stützung in Milliardenhöhe wäre der freie Markt sofort zusammengekracht.

Vor allem zeigt sich während der Pandemie, wie überlegen die kollektive Absicherung gegenüber der individuellen Vorsorge ist. Besser durch die Krise kommen jene Staaten, die ihr Gesundheitssystem nicht kaputtgespart oder privatisiert haben, was meist auf dasselbe hinausläuft, und die über einen Sozialstaat verfügen, der die Existenzsicherung garantiert. Dessen Wirksamkeit erlebt derzeit gerade ein Viertel der Schweizer Beschäftigten, das eine Entschädigung für Kurzarbeit erhält.

Gleichzeitig werden aber auch die Lücken im Sozialsystem sichtbar. In diesem Land, das als eines der letzten der Welt das Frauenstimmrecht einführte, sind die Geschlechter bis heute ungleich gut abgesichert. Der grösste Teil der Pflegearbeit, die jetzt nach den Grossbanken auch als systemrelevant gilt, wird von Frauen geleistet, zu vergleichsweise tiefen Löhnen und später tieferen Renten. Die Kinderbetreuung, die derzeit ausserfamiliär nicht mehr garantiert ist, kann schnell wieder auf die Frauen mit ihren häufig kleineren Arbeitspensen zurückfallen.

Dass der Bundesrat die Kitas in der Krise nicht unterstützen will, zeugt einmal mehr von Ignoranz gegenüber gleichberechtigter Arbeitsteilung im 21. Jahrhundert. «Deshalb braucht es ein feministisches Konjunkturprogramm, das die bezahlte und die unbezahlte Care-Arbeit ins Zentrum stellt», heisst es treffend im SP-Strategiepapier zur Coronakrise.

Ansonsten ist von links bisher leider wenig Offensives zu hören. Zwar wurde in den Jahren nach der Finanzkrise selbst in den Parteien erfreulich oft über die kapitalistische Produktionsweise diskutiert. Die Basisbewegungen des Frauenstreiks und der Klimaproteste schärften den Blick weiter. Zwischen der gesellschaftlichen Utopie und dem konkreten Projekt geht aber gerne die mittlere Ebene vergessen: die der öffentlichen Institutionen.

Dabei zeigt gerade die Coronapandemie, dass diese ein entscheidender politischer Schauplatz sind. Institutionen wie die Spitäler, aber auch die Schulen oder die Verkehrsbetriebe können auf den Profit ausgerichtet werden oder das Gemeinwohl. Zu den Institutionen können auch die Sozialversicherungen und die Krankenkassen gezählt werden: Man kann deren steigende Kosten auf jeden Einzelnen abwälzen. Oder man deckt sie gerecht: nach wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit.

In der Coronapandemie haben sich der Sozialstaat und der Service public bewährt. Nie war deshalb die Gelegenheit so gut, eine Offensive in öffentlicher Sache zu starten: Bauen wir die Institutionen aus, bauen wir sie ökologisch um, und beschaffen wir ihnen die nötigen finanziellen Mittel! Dabei wird sich schliesslich entscheiden, wer die Krise bezahlt: die Vermögenden und die Konzerne mit höheren Abgaben oder wir alle mittels Sparmassnahmen.