Corona-App: Wie freiwillig ist freiwillig?

Nr. 18 –

Manchen Zwangsmassnahmen weht zum Glück noch ein rauer Wind entgegen. Das musste jüngst CVP-Ständerätin Andrea Gmür erleben, als sie ein Obligatorium für sogenannte Contact-Tracing-Apps forderte. Damit sollen enge Kontakte zu anderen Menschen auf dem Smartphone via Bluetooth nachverfolgt und diese im Fall einer Corona-Ansteckung darüber informiert werden. Offenbar ging den meisten – von SP-Wermuth bis FDP-Wasserfallen – ein staatlicher Zwang zur Selbstüberwachung dann doch zu weit. Stattdessen sollen es Freiwilligkeit und Eigenverantwortung richten. Zum gleichen, fast einstimmigen Ergebnis kam denn auch die Staatspolitische Kommission des Nationalrats: Jede Anwendung der bald fertig programmierten Corona-App müsse freiwillig bleiben.

Aber wie würde denn diese ominöse Freiwilligkeit in einem gesamtgesellschaftlichen Kontext aussehen? Können wir tatsächlich frei entscheiden, ob wir die App auf unserem Smartphone installieren, wenn wir sonst beim Grillfest wieder ausgeladen werden? Ist eine Nutzung noch freiwillig, wenn wir am Arbeitsplatz mit Benachteiligungen rechnen müssen? Und was ist mit dem schlechten Gewissen, das uns plagt, weil wir wieder die eigenen Eltern, Onkel und Grosstanten besuchen wollen, ohne sie anzustecken? So nagt die Angst, sich und andere einer Gefahr auszusetzen, an unserer Skepsis und an unserem Widerstand.

Wir Menschen sind keine Inseln; wir sind den unterschiedlichsten inneren und äusseren Zwängen ausgesetzt. Entsprechend wird der lapidare Verweis auf die Freiwilligkeit der Nutzung der Komplexität unserer sozialen Beziehungen und Emotionen schlicht nicht gerecht. Auch der gesetzliche Rahmen, der vom Parlament beschlossen werden soll, weil bisher keine rechtliche Grundlage existiert, steckt bloss den Bereich des Erlaubten ab – nicht aber den des Erwünschten.

Es darf natürlich nicht sein, dass die Beteiligung am öffentlichen Leben von der Nutzung einer App abhängig gemacht wird, zumal viele Menschen kein entsprechend ausgerüstetes Smartphone besitzen. Und die Vorstellung, dass PolizistInnen unsere Handys vor dem Waldspaziergang inspizieren, ist haarsträubend. Letztlich will wohl auch kaum jemand, dass beim Wocheneinkauf neben dem Desinfektionsmittel auch ein Kontrollterminal steht.

Es ist also höchste Zeit für eine gesamtgesellschaftliche Debatte über den Umgang mit Corona-Apps. Dass das Parlament über den Einsatz debattieren will, ist ein erster Schritt, um zukünftigen Massnahmen die nötige demokratische Legitimation zu verleihen. Gleichzeitig sollten wir uns darüber austauschen, was wir uns wünschen und wovor wir Angst haben. Dazu gehören natürlich auch Fragen zu Datenschutz und Privatsphäre – aber eben nicht nur. Am Ende können wir bloss gemeinsam aushandeln, wie wir die uns gütig in die Hände gelegte Freiwilligkeit ausleben können und wollen.

Dabei gibt es durchaus gute Argumente, die App-Nutzung als Akt der Solidarität zu sehen. So wie wir beim Impfen unsere körperliche Integrität gegen den Schutz der anderen abwägen, könnten wir ein bisschen digitale Integrität opfern, um der Gesellschaft einen Dienst zu erweisen. Doch der Bundesrat muss höllisch aufpassen, den Bogen nicht zu überspannen. Sobald die Lockerung von Massnahmen nämlich von Nutzungsquoten oder genügend freiwilliger Partizipation abhängig gemacht wird, landen wir in der emotionalen Geiselhaft – dort wächst keine Solidarität, sondern nur Angst.

Von der vermeintlichen Sicherheit der Corona-Apps dürfen wir uns bei dieser Debatte nicht einlullen lassen. Wir wissen kaum etwas über die tatsächliche Effektivität der digitalen Kontaktverfolgung. Und es steht auch in den Sternen, wie wir mit der technisch bedingten Ungenauigkeit umgehen. Immerhin geht es um eine App, die in einem Bruchteil der üblichen Entwicklungszeit programmiert und getestet wurde und unser gesellschaftliches Leben einschneidend verändern kann.

Solche Unsicherheiten müssen wir uns immer wieder vor Augen führen, bevor wir unsere Nächsten ächten, falls sie die App nicht verwenden wollen.