Corona-App: Wenig Vertrauen in die Technologie

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Über die Einführung der Schweizer Contact-Tracing-App wurde viel diskutiert. Dabei standen Datenschutz und Privatsphäre im Zentrum. Aber nützt sie auch? Und welchen Einfluss hatte sie in der zweiten Welle?

Mit viel Brimborium wurde die Bevölkerung immer wieder zur Nutzung der Contact-Tracing-App «SwissCovid» aufgefordert. So etwa flimmerte zwischenzeitlich über die Bildschirme in den grossen Bahnhöfen Werbung mit dem Motto: «SwissCovid stoppt Infektionsketten.»

Doch ob die App das wirklich tut, ist noch immer nicht restlos geklärt. Und das, obwohl bei der Entwicklung und Gesetzgebung vieles richtig lief – im Frühling gab es noch grosse Bedenken hinsichtlich des Eingriffs in die Grundrechte und die Privatsphäre (siehe WOZ Nr. 18/2020 ). Daraufhin wurde wie in vielen anderen Ländern auf einen starken, technisch implementierten Datenschutz mit einem dezentralen Modell geachtet. Auf gesetzlicher Ebene wurde zudem die Freiwilligkeit verankert. Trotzdem hat sich die Hoffnung, das epidemiologische Problem mit einer technischen Lösung in den Griff zu kriegen, nicht erfüllt. Warum nicht?

Knackpunkt Nutzungszahlen

«Der rasche Einsatz von digitalen Contact-Tracing-Apps stellt eines der grössten Experimente in der öffentlichen Gesundheitsüberwachung dar, das je unternommen wurde», schrieben die ETH-ForscherInnen Effy Vayena und Alessandro Blasimme im November in der Zeitschrift «Science». «Und es ist sicherlich das erste, das sich so stark auf digitale Plattformen stützt.»

Für Vayena und Blasimme befinden wir uns in einer Phase mit unsicherem Ausgang. Denn der Umgang mit Contact-Tracing-Apps sei stark von sozialem Lernen sowie dem Vertrauen in die Technik und die Verantwortlichen geprägt. «Wir schlagen vor, dass politische Entscheidungsträger Mechanismen aufbauen, um die Wirksamkeit zu testen, den Einsatz von Contact-Tracing-Apps zu überwachen und die Haltung der Öffentlichkeit zu beobachten.» Insbesondere müsse die Effektivität der Apps beim Durchbrechen der Infektionsketten den gesteckten Zielen gegenübergestellt werden: «Werden diese nicht erreicht, sollten technische Aspekte der bestehenden App-Strategien überdacht werden.»

Gerade bei den Nutzungszahlen hinken die Apps in fast allen Ländern hinter den Erwartungen her. So waren in der Schweiz Anfang Januar nur 1,8 Millionen «SwissCovid»-Apps aktiv, das heisst bei rund 21 Prozent der Bevölkerung. Einzig in Singapur, wo die Daten von der Polizei eingesehen werden können, wird die App von fast vier Fünfteln genutzt.

Woran liegt es, dass nicht mehr Menschen die App verwenden? «Zu viele Menschen halten es wie Ueli Maurer und sagen: ‹Chume nöd drus›», sagt Hannes Gassert von der neutralen Plattform SwissCovid App Facts. Dagegen helfe nur Aufklärung. So müsste allen erklärt werden, dass die App die Privatsphäre schütze, niemand zur Nutzung gezwungen werde und durch die Nutzung rechtlich kein Schaden entstehe – auch dann nicht, wenn Warnungen und Hinweise der App ignoriert würden. Ein weiteres Hindernis ist die ungenügende Verfügbarkeit kompatibler Smartphones. Längst nicht alle haben ein Gerät, auf dem die Contact-Tracing-Apps laufen, insbesondere bei den besonders vulnerablen Menschen. So sind in der Schweiz etwa ein Fünftel der Smartphone-NutzerInnen ausgeschlossen. Hinzu kommen all jene, die gar kein Smartphone besitzen.

Dennoch sind die aktuellen Nutzungszahlen für das BAG «zufriedenstellend», erklärt Mediensprecher Marco Stücheli. Allerdings sieht er keine Anzeichen dafür, dass die Zahlen signifikant steigen würden. Zudem würden längst nicht alle, die «SwissCovid» installiert haben, bei einem positiven Test den entsprechenden Code eingeben – auch weil die Codes oft viel zu spät ausgestellt würden.

Obwohl immer wieder gefordert wird, dass der Nutzen solcher Apps evaluiert werden solle, gibt es erst wenige aussagekräftige Studien. Im April berechnete ein Team der Universität Oxford, dass der Effekt erst bei einer Nutzungsquote von 60 Prozent einer Herdenimmunität entspricht. Davon ist man in der Schweiz weit entfernt. In einer Folgestudie kam man zur Schätzung, dass immerhin ab einer Quote von 15 Prozent Infektionen und Todesfälle verhindert werden könnten. In der Praxis sieht es jedoch eher düster aus. In einer im August veröffentlichten Übersichtsstudie des Londoner University College wurden «keine empirischen Belege für die Wirksamkeit der automatisierten Ermittlung von Kontaktpersonen» gefunden.

Genauigkeit unsicher

Sind also die Apps für die Katz? Als Verteidigung wird gerne das «Schweizer-Käse-Modell» herangezogen. Keine Massnahme sei allein perfekt. Je mehr Massnahmen jedoch kombiniert würden, desto sicherer werde das Gesamtsystem. Dabei spiele auch «SwissCovid» eine wichtige Rolle. Laut einer weltweit bisher einzigartigen Studie aus Zürich sollen dank der App fünf Prozent mehr Menschen in Quarantäne gegangen sein. Obwohl weitere Belege nötig seien, lasse dies «auf einen positiven Beitrag zur Pandemiebewältigung schliessen», resümieren die AutorInnen.

Auch das Bundesamt für Gesundheit wollte wissen, welchen Beitrag die App konkret leistet. Doch aufgrund der Anonymität und der dezentralen technischen Struktur fehlen die nötigen Daten. «Deshalb hat das BAG zwischen Ende August und September klinische Meldeformulare ausgewertet», erklärt Stücheli. «Darin haben über 300 Personen als Grund für den Test nicht Symptome genannt, sondern dass die App sie gewarnt habe, worauf sie sich testen liessen.»

Doch auch die Genauigkeit ist nicht gesichert. Gerade in Trams, wo das klassische Contact Tracing an seine Grenzen stösst, funktioniert die App überhaupt nicht, wie eine Studie aus der Schweiz, Deutschland und Italien herausfand. «Unsere Messungen zeigen, dass es im Tram nur eine geringe Korrelation zwischen der empfangenen Bluetooth-Signalstärke und dem Abstand zwischen den Geräten gibt», schreiben die Autoren.

Mehr Daten sind nötig

Nicht einmal die KantonsärztInnen können wirklich beurteilen, welchen Einfluss «SwissCovid» hat – und verlassen sich offenbar auf ihr Bauchgefühl. «Die Covid-App ist grundsätzlich eine sinnvolle Unterstützung für das Contact Tracing», sagt die St. Galler Kantonsärztin Danuta Zemp. «Eine Übersicht darüber, wie viele Personen durch die App benachrichtigt wurden und wie viele davon dann wirklich in Quarantäne gehen müssen, existiert aber nicht.»

Auch in Luzern findet man, die App sei hilfreich. «Vor allem für Personen, die gar nicht wissen, dass sie mit einer infizierten Person Kontakt hatten, ist sie sehr nützlich», sagte Kantonsarzt Roger Harstall gegenüber «Pilatus Today». Das BAG antwortet auf die Frage, welchen Einfluss «SwissCovid» in der zweiten Welle hatte: «Das ist sehr schwer zu beantworten, da es ein ‹Was wäre, wenn›-Szenario ist.» Hannes Gassert sieht ein Problem darin, dass das manuelle Contact Tracing zu wenig verwertbare Daten liefere – das zeige auch den Digitalisierungsrückstand im Gesundheitswesen.

Die Geschichte der «SwissCovid»-App zeigt aber auch, dass die soziale Einbettung einer technischen Lösung zentral ist. Gerade weil die App anonym funktioniert, erhält die Nutzerin keine Hinweise darauf, wo sie sich angesteckt haben könnte und wie ernst sie die Warnung nehmen soll. Trotz Datenschutz und Freiwilligkeit: Es fehlt das Vertrauen in die Technologie.