EU-Hilfsprogramm: Siechtum oder Wachstum?

Nr. 18 –

Gute Nachrichten aus Brüssel: Einen «stärkeren politischen Willen, um einen Kompromiss zu erreichen», stellte EU-Ratspräsident Charles Michel letzte Woche fest. Die RegierungschefInnen der Mitgliedstaaten hatten soeben per Videokonferenz ein europäisches Hilfsprogramm über 540 Milliarden Euro beschlossen, das ab Juni für schwer coronageschädigte Staaten und Unternehmen bereitsteht.

Hinter Michels Optimismus verschwindet, dass die insgesamt benötigten Beträge um einiges höher liegen. Die Europäische Zentralbank beziffert die Summe für den angestrebten Wiederaufbaufonds auf 1,5 Billionen Euro. Wie die finanziert und verteilt werden sollen, ob und zu welchen Konditionen sie zurückgezahlt werden müssen, dazu will die EU-Kommission Anfang Mai einen Vorschlag präsentieren.

Sicher kann man im Beschluss einen kleinen Fortschritt für den EU-Zusammenhalt erkennen, zumindest im Vergleich zum erschreckend zerstrittenen Bild, das die RegierungschefInnen auf dem Höhepunkt des Coronaausbruchs in Spanien und Italien abgaben. Und doch hat die EU damit vor allem Zeit gekauft, um am genannten Kompromiss zu zimmern.

Kommt hinzu, dass der Haushalt für die Periode 2021 bis 2027 noch immer nicht steht; der Gipfel dazu war im Februar gescheitert. Die damalige Konfrontation zwischen den nördlichen und den südlichen Ländern gleicht jener während der Coronakrise frappierend. Wer sich das vor Augen führt, begreift: Der Streit um Coronabonds ist ein massives Symptom, aber lange nicht das ganze Ausmass der Krise.

Die EU, die sich in den kommenden Wochen und Monaten aus dem Lockdown heraustasten wird, steht vor gigantischen Herausforderungen. Deutlich ist: Soll es weiterhin ein gemeinsames Europa geben, muss es auf eine breite und solidarische Basis gestellt werden – erst finanziell und dann auch institutionell und inhaltlich. Die Zeit, diesem Europa einen sicheren Boden zu bereiten, ist jetzt. Auf dass sich eines Tages sagen lässt, dass die Konfrontationen dieses Frühjahrs nicht von Siechtum zeugten, sondern von Wachstumsschmerzen.