Coronasession: Zögern, zaudern, zuwarten

Nr. 19 –

Fast zwei Monate hat es gedauert, bis sich das Parlament aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit zurückmeldete. Diesen Montag war es so weit: In den Berner Expohallen traf sich die Legislative zu ihrer ausserordentlichen Coronasession. Im Vergleich zum pompösen Bundeshaus wirkten die Räumlichkeiten zwar steril, aber auch gegenwärtiger.

Für ersten Gesprächsstoff sorgten nicht Inhalte, sondern ein fragwürdiger Entscheid. Der Ständerat machte seinem Ruf als Dunkelkammer alle Ehre, als dessen Büro geheim abstimmen lassen wollte. Nach breitem Protest wurde etwas Transparenz geschaffen. Abstimmen heisst jetzt Aufstehen.

Abgesehen davon standen gewichtige Entscheide an. Soll der Bund die Kinderbetreuung subventionieren? Wer zahlt die Mieten jener, die in den letzten Wochen ohne Einnahmen blieben? Und dürfen Firmen Geld vom Staat beziehen, wenn sie auf Dividenden nicht verzichten wollen? Kurzum: In den Messehallen wurde darum gefeilscht, ob die Krisenhilfe gerechter ausgestaltet wird. Die Mehrheiten kippten hin und her.

Eine Sensation am späten Dienstagabend: Der Nationalrat stimmte knapp einem Dividendenverbot für Firmen zu, wenn sie Kurzarbeitsentschädigung beziehen. Lanciert hatte den Vorstoss SP-Politikerin Mattea Meyer. Dann am Mittwoch die Enttäuschung: Im Ständerat stand die Mehrheit gegen die Motion auf. Handlungsbedarf erkannte das Parlament zunächst auch bei den Mieten der Beizen und Läden. Sie sollten für die vom Lockdown betroffenen Betriebe teilweise erlassen werden. Dann aber verschob die bürgerliche Mehrheit das Geschäft auf den Juni. Unverantwortlich.

Gesichert ist auf jeden Fall die Unterstützung der Kitas, die der Bundesrat verweigert hatte. Stattdessen boten die Kantone Lösungen, die meistens unzureichend blieben. Mit dem Beitrag über 65 Millionen Franken, der nun beschlossen wurde, ist immerhin ein erster – wenn auch zögerlicher – Schritt getan.

Wie hoch die benötigten finanziellen Mittel tatsächlich sind, lässt sich noch nicht abschätzen. Doch auch symbolische Entscheide können Wirkung entfalten. Während sich der Staat in den meisten OECD-Ländern an den Kosten ausserfamiliärer Kinderbetreuung beteiligt, tragen in der Schweiz die Eltern den grössten Teil. Zu hoffen bleibt, dass Kitas zunehmend als Service public verstanden werden.

In der Coronakrise hat sich bei der Kinderbetreuung beispielhaft gezeigt, wie stark das männlich geprägte feste Anstellungsverhältnis noch immer den Fixpunkt des Sozialstaats bildet – und wer eine mächtige Lobby hinter sich weiss. Dabei schafft die Arbeitswelt durch ihre Flexibilisierung immer mehr prekäre Verhältnisse – sei es durch Teilzeitjobs oder jene in der Gig Economy (Uber und Co.).

Dass die Selbstständigen auf Druck der Gewerkschaften bei der Kurzarbeit vom Bundesrat ebenfalls berücksichtigt wurden, ist ein erster Schritt, die soziale Sicherung auszubauen. Vergessen gingen allerdings jene, die auch sonst durch alle Raster fallen: Oft sind es MigrantInnen, die durch ihre Arbeit in der Pflege, der Gastronomie oder der Reinigung dem Schweizer Mittelstand ein bequemes Leben sichern. Durch die Verknüpfung der Fürsorge mit dem Aufenthaltsstatus müssen sie sich ständig vor einer Ausweisung fürchten, auch die Einbürgerung kann ihnen verwehrt werden. Gerade in der Krise müsste der Staat für Sicherheit sorgen – und den Aufenthalt nicht länger vom Wohlgefallen abhängig machen.

Über eine Million Menschen, darunter viele Alleinerziehende mit Kindern, leben in der Schweiz in Armut oder sind davon bedroht. Die Zahlen stammen vom Januar, dürften inzwischen also höher sein. Die beschämenden Bilder aus Genf, wo Menschen am Wochenende stundenlang für Essen anstanden, sollten ein Alarmsignal sein. Unterstützungswürdig sind deshalb die Forderungen der Caritas: kostenlose Krippenplätze und tiefere Krankenkassenprämien, höhere Kurzarbeitsentschädigungen und tausend Franken Einmalhilfe.

Entsprechende Vorstösse haben den Weg ins Parlament bisher nicht gefunden. Dabei wird sich gerade am Wohlergehen dieser Menschen zeigen, wie gut die Schweiz die Krise bewältigt. Gegenwärtigkeit bleibt gefragt.