Messestadt Basel: Wie ein kaputtes Raumschiff

Nr. 27 –

Gemeinsam mit dem Messekonzern MCH Group wollte die Stadt Basel zum globalen Standort aufsteigen. Jetzt ringt die Firma um ihre Existenz – und die Politik mit ihrer Verantwortung.

Halle 1 der Messe Basel: Die Uhrenhändler mit den schwarzen Limousinen sind weg. Geblieben ist das Monument eines Missverständnisses. Foto: Hufton and Crow, Keystone

Basel kennt nicht viele Denkmäler, aber ein besonders imposantes steht mitten in der Stadt. Sein Name ist schlicht, seine Erschaffer berühmt. Das Denkmal heisst «Halle 1», konzipiert haben es die Architekten Herzog und de Meuron. Diese Halle ist der vielleicht massloseste Erinnerungsort der Schweiz, 220 Meter lang, 90 Meter breit, 32 Meter hoch. Sie sollte dem Basler Messekonzern MCH Group eine goldene Zukunft eröffnen – jetzt ist sie ein Mahnmal für eine Zeit des Exzesses und der Selbstüberschätzung.

Die Halle liegt wie ein gestrandetes Raumschiff im Stadtteil Kleinbasel. Silbern glänzend, mit unzähligen Lamellen verkleidet, einer alten Fassadentechnik, die Grosses kleiner scheinen lassen soll, aber Gigantisches auch nicht zum Verschwinden bringen kann. So überspannt sie den Messeplatz und unterbricht die Sichtachse vom Claraplatz zum Badischen Bahnhof. Ein Lichtschacht immerhin sorgt dafür, dass ein wenig Sonnenlicht auf den verdunkelten Platz fällt. Die kreisförmige Auslassung trägt viele Kosenamen, die meisten davon erinnern an eine bestimmte Körperöffnung.

Ein Tempel für die Uhrenkonzerne

Ein «architektonisches Statement» nannte der damalige Messe-CEO René Kamm bei der Eröffnung im Jahr 2013 die Halle. Eines, das quer zum Quartier und doch voll auf der Linie mit der Basler Messe liegt, die ihre Interessen immer schon brachial durchgesetzt hat. Manager Kamm, stets braun gebrannt, stets grossspurig, wurde im letzten Jahr nach einer Oldtimermesse, die sich als Millionengrab entpuppte, aus der Stadt gejagt. Die Halle 1 ist aber noch da – und mit ihr die Fragen nach ihrer Zukunft.

Vorerst steht sie leer, und gefüllt werden wird sie wohl nie mehr. 430 Millionen Franken hat sie gekostet, davon kamen 90 von den SteuerzahlerInnen. Gebaut wurde sie einzig für die Baselworld, die einst bedeutendste Uhren- und Schmuckmesse der Welt. Und das aus dem einzigen Grund, dass die Uhrenkonzerne – so erzählt das der verantwortliche Basler SP-Regierungsrat Christoph Brutschin heute tatsächlich – zweistöckige Stände errichten wollten, wofür sie mehr Höhe gebraucht hätten.

Als das Raumschiff 2013 seine Pforten erstmals öffnete, sagte derselbe Brutschin, damals wie heute Verwaltungsrat des halbstaatlichen Messekonzerns MCH Group: «Basel ohne die Baselworld, das ist ein Szenario, das ich mir nicht mehr vorstellen kann.» Jetzt muss er sich das vorstellen, die Uhrenhersteller haben sich von Basel abgewendet und sind ins elegante Genf gezogen. Und mit ihnen all die schwarzen Limousinen, die leicht bekleideten Hostessen, der ganze Pomp.

Vor dem Umzug hiess es seitens der Firmen: Unverschämt teuer und zu wenig anpassungsfähig sei die Baselworld. Nach ein paar guten Jahren setzte rasch der Niedergang ein, von ursprünglich 1500 AusstellerInnen waren es 2019 nur noch 500. Man habe die Digitalisierung unterschätzt, sagt Brutschin heute. Sein ehemaliger CEO Kamm behauptete allerdings 2013, auf diese Risiken angesprochen: «Wir können durch die Digitalisierung nur noch mehr Menschen an unsere Anlässe bringen.»

Eva Herzogs Vermächtnis

So vieles wirkt heute wie ein einziges, teures Missverständnis. Da lohnt sich eine Einordnung der politischen Realität in Basel-Stadt im vergangenen Jahrzehnt: Nach jahrelanger bürgerlicher Schuldenwirtschaft gelang Eva Herzog 2005 der Einzug in die Regierung und damit der Machtwechsel für Rot-Grün. Herzog wurde Finanzdirektorin, sie stieg bald zur allmächtigen Figur in der Basler Regierung auf. Ihr Credo: So lange der Kanton schwarze Zahlen schreibt, bleiben wir an der Macht. Im Wohnbereich öffnete die linksdominierte Regierung Investoren alle Türen. Den beiden Pharmariesen Roche und Novartis wurde jeder Wunsch erfüllt, die Universität nach deren Interessen umgebaut. Die Steuern sanken, die Mieten stiegen – und die Wachstumsrate überstieg selbst die der notorischen Gaunerkantone in der Innerschweiz. An Medienkonferenzen der MCH Group wurde gerne die wachsende Zahl der akkreditierten chinesischen JournalistInnen genannt, ein scheinbar untrüglicher Indikator für den Welterfolg.

Basel war nicht mehr die kauzige Stadt am äussersten Rand der Schweiz und ausserhalb des Sichtfelds des restlichen Landes. Basel war endlich ein globaler Standort. Jetzt ging man keine Städtepartnerschaft mehr mit dem benachbarten Freiburg im Breisgau ein, sondern mit Boston, Moskau und Schanghai. Und wenn Messe-CEO René Kamm nach Miami oder Hongkong jettete, um einen Ableger der Kunstmesse Art Basel zu eröffnen, flog ihm immer ein Regierungsrat oder eine Regierungsrätin samt LebenspartnerIn nach.

All das bricht nun in einer Geschwindigkeit weg, die selbst der Politik die Sprache verschlägt. Im Herbst sind Wahlen in Basel-Stadt, doch die Misere der Messe ist kein Wahlkampfthema, sie findet in der politischen Debatte schlicht nicht statt. Die linke Hoffnungsträgerin Tanja Soland (SP), die Anfang des Jahres die in den Ständerat abgewanderte Eva Herzog als Finanzdirektorin abgelöst hat, sagt: «Ich äussere mich nicht dazu.» Dabei sitzt Soland seit April im Verwaltungsrat des angeschlagenen Messekonzerns. Auch Kaspar Sutter, SP-Regierungsratskandidat und viele Jahre Herzogs rechte Hand, meint: «Ich äussere mich nicht dazu.» Das Fiasko wird dem abtretenden Wirtschaftsdirektor Brutschin angeklebt, der es Ende 2020 mit in die Pension nehmen soll.

Schon als die MCH Group vor ein paar Jahren in die Schlagzeilen geriet, weil sie das lokale Gewerbe aus allen lukrativen Geschäften hinausgedrängt hatte, zuckte die Basler Linke bloss mit den Schultern. Die Resonanz blieb auch aus, als das Unternehmen in Basel die Mustermesse und in Zürich die Züspa einstellte, weil diese zu wenig abwarfen. Selbst als sich das Debakel mit der Baselworld abzeichnete – der mit Abstand grössten Umsatzbringerin –, warb man noch um Vertrauen.

Eine seltene kritische Position innerhalb der SP nimmt Beat Jans ein. Auch der Nationalrat will im Herbst in die rot-grüne baselstädtische Regierung: «Die sehr starke Renditeorientierung hat dem Unternehmen nicht gutgetan», sagt er. Er vermisst einen Leistungsauftrag an die Messe, die sich beinahe zur Hälfte in öffentlichem Besitz befindet: Anteile halten die Kantone Basel-Stadt, Baselland und Zürich sowie die Stadt Zürich. Jans sagt, er habe die Baselworld manchmal als Fremdkörper empfunden: «Gewisse Schickimickianlässe passten nach Basel wie die Faust aufs Auge.»

Die Faust hat gesessen, und das Auge ist jetzt blau. Einen Plan, wie alles besser wird, gibt es nicht. Brutschin spricht von mehreren kleineren Messen, die parallel zu Kongressen stattfinden und die gigantische Halle füllen könnten: «An und für sich geht es ja nur darum, dass in Basel und Zürich immer etwas läuft und das Unternehmen Leute in unsere Hotels und Restaurants bringt.» Es klingt nicht besonders durchdacht. Tonja Zürcher, Grossrätin der kleinen Linkspartei BastA!, sagt, genau das sei immer das Problem gewesen: «Es gab nie einen Plan, nie klare Verantwortlichkeiten, nie Transparenz. Es gab keine echte Steuerung.» Sie fordert eine öffentliche Debatte darüber, was die Messe eigentlich für Basel leisten soll und was nicht.

Augen zu und durch

Kommen wird diese Debatte nicht. Dafür sorgen politische Entscheide, die jetzt im Eilverfahren durchgedrückt werden. Weil die MCH Group neues Kapital braucht und die Basler Regierung eine gewünschte Kapitalerhöhung aus politischen Gründen nicht mittragen will, verhandelt die Konzernspitze nun mit Investoren. Die Zeit drängt: Die Liquidität sank schon vor der Coronakrise, die die Aktivitäten der Messe zum Stillstand gebracht hat, von 230 auf 140 Millionen Franken. Bis Ende des Jahres würde das Geld noch reichen, sagt Brutschin, danach wirds schnell düster.

Das kantonale Parlament hat deshalb gerade beschlossen, den Weg für einen Investor freizumachen. Die Trägerkantone verkleinern ihre Beteiligung bis auf eine Sperrminorität, mit der sich nicht mehr viel gestalten, aber ein endgültiger Wegzug des Messebetriebs verhindern lässt. Die Abstimmung ging locker bei einer Gegenstimme durch. Auch Zürchers BastA! stellte sich nicht quer. Die eigentlich oppositionelle SVP stellte fest, dass eine Aufarbeitung zwar nötig sei, es jetzt aber vor allem darum gehe, «den Fortbestand der MCH Group zu sichern». Nur die Grünliberalen murrten auf. Ein Referendum gegen den Entscheid kann es aber ohnehin nicht geben, selbst wenn es jemand würde ergreifen wollen. Das hat der Grosse Rat mit einem Trick verhindert.

Augen zu und durch. Wieder ist von einer zweiten Chance, von nötigem Vertrauen die Rede. Dabei wissen weder das Parlament noch die Öffentlichkeit, wer der geheimnisvolle Investor ist. Einzige Bedingung: Er darf keine «Heuschrecke» sein, die das verbliebene Kapital aus dem Konzern saugt. Zwei Private-Equity-Firmen habe man deshalb abgesagt, erzählt Verwaltungsrat Brutschin. Gerüchte über die Identität des Investors gibt es gleichwohl. Die Zeitschrift «Finanz und Wirtschaft» nennt den rechten Medienmogul Rupert Murdoch und beruft sich dabei auf zwei anonyme Quellen. Das ist der Mann, dem in den USA der TV-Sender Fox News gehört. Mit Murdoch an Bord würde Basel immerhin weiter im globalen Rampenlicht stehen.