Rechtspopulismus: Darwin auf dem Marktplatz

Nr. 29 –

Warum versagen die rechten starken Männer bei der Virusbekämpfung so kläglich? Weil der alte Trick des Faschismus in der Pandemie nicht funktioniert.

Die Zahlen sprechen eine eindeutige Sprache: Fünf Millionen der insgesamt zwölf Millionen registrierten Coronaerkrankungen weltweit betreffen allein die USA und Brasilien. 200 000 Menschen sind in den beiden Ländern schon gestorben, und die Ansteckungskurve zeigt weiter nach oben.

Dabei waren die Voraussetzungen zur Pandemiebekämpfung besser als anderswo. Nach dem ersten Coronaausbruch im Dezember in Asien hatte man drei Monate Zeit zur Vorbereitung, und in den USA standen zudem auch gewaltige medizinische Ressourcen zur Verfügung. Dem Global Health Security Index zufolge, der unter Leitung der Johns-Hopkins-Universität regelmässig ermittelt wird, galten die USA als besonders gut vor einer Pandemie geschützt.

Ein fatales Gemisch

Es kann kein Zweifel daran bestehen, dass die Präsidenten Donald Trump und Jair Bolsonaro bei der rasanten Ausbreitung der Pandemie in den USA und Brasilien eine wesentliche Rolle spielen. Die ultra-sozialdarwinistische Ideologie, laut der die Gesellschaft durch Selektion und Überlebenskampf veredelt wird, das ökonomische Mantra, «die Wirtschaft» – sprich: der kapitalistische Wertschöpfungsprozess – sei das Mass aller Dinge, und der antiaufklärerische Gedankenbrei der Rechten haben sich als fatales Gemisch erwiesen. Die Strategie von Trump, Bolsonaro und ihren europäischen Pendants von AfD bis FPÖ beschränkte sich darauf, wissenschaftliche Erkenntnisse zu leugnen, VirologInnen zu attackieren und Verschwörungstheorien zu verbreiten. Der Machogestus der beiden, die das Tragen einer Atemschutzmaske offenbar als Zeichen von Schwäche und Weiblichkeit interpretierten, war nur das i-Tüpfelchen. Er werde die «kleine Grippe» wie «ein Mann» durchstehen, erklärte Bolsonaro, nachdem er letzte Woche positiv auf Covid-19 getestet worden war.

Allerdings wäre es auch falsch, die Ausbreitung der Pandemie in den USA und Brasilien allein mit dem Rechtspopulismus ihrer Staatsoberhäupter erklären zu wollen. Betrachtet man nämlich das Verhältnis von Erkrankungen und Bevölkerungszahlen, ist die Lage in einigen anderen Ländern nicht minder dramatisch. Von einigen Kleinstaaten einmal abgesehen, hat heute Chile mit 16 000 Fällen pro Million EinwohnerInnen die weltweit höchste Ansteckungsrate; knapp dahinter liegt Peru, das mit fast 10 000 Fällen pro Million, bei einer vermutlich höheren Dunkelziffer, ähnlich stark betroffen ist wie die USA.

Der entscheidende Faktor bei der Pandemiebekämpfung ist eben nicht die Rhetorik von PräsidentInnen und auch nicht unbedingt der Umfang eines Lockdowns, sondern die Existenz oder das Fehlen kollektiver Infrastrukturen. Das Fehlen öffentlicher Sozialsysteme sorgt nicht nur dafür, dass Kranke nicht versorgt werden und sterben, sondern es zwingt Infizierte auch dazu, trotz Krankheit weiter zu arbeiten und damit das Virus zu verbreiten.

Dass Lateinamerika heute am stärksten unter der Pandemie leidet, ist vor diesem Hintergrund kein Zufall. Vor allem die Militärdiktatur Chiles diente den sogenannten Chicago-Boys um den Ökonomen Milton Friedman bereits in den 1970er Jahren als Laboratorium für eine Politik, die politischen Autoritarismus und ökonomischen Liberalismus auf aggressive Weise miteinander verknüpfte. Glaubt man den Studien der OECD, dann war diese neoliberale Politik sehr erfolgreich: Nirgendwo sonst auf dem lateinamerikanischen Subkontinent ist das Bildungsniveau angeblich so hoch, das Gesundheitssystem so professionalisiert und die Armut so stark zurückgedrängt wie in Chile. Die Coronapandemie führt nun aber vor Augen, wie aussagekräftig diese Zahlen tatsächlich sind: Dort, wo der Markt das gesellschaftliche Leben besonders konsequent «in Wert gesetzt» hat, breitet sich die Pandemie besonders erfolgreich aus.

Der Wunsch der Unternehmer

In diesem Zusammenhang lohnt es sich auch, die Politik von Trump und Bolsonaro noch einmal genauer zu betrachten. In den tonangebenden politischen Debatten gilt heute als allgemein akzeptiert, dass sich ihr extrem rechtes Projekt in erster Linie gegen den Liberalismus und die «offene Gesellschaft» richtet. Und tatsächlich haben sowohl der historische Faschismus wie die neuen rechtspopulistischen Bewegungen den politischen Liberalismus und seine pluralistischen Überzeugungen immer scharf attackiert. Ebenfalls suggeriert wird jedoch, dass es sich bei der extremen Rechten um eine kollektivistische Bewegung handle, die ähnlich wie der Kommunismus den Staat ermächtigen wolle und damit auch ökonomisch dem Liberalismus widerspreche.

Der israelische Historiker Ishay Landa hat bereits vor einigen Jahren in einer sehr überzeugenden Untersuchung nachgezeichnet, dass diese These schon für die faschistischen Bewegungen des 20. Jahrhunderts nicht stimmt. Zwar machten sowohl die Nazis als auch der italienische Faschismus rhetorische Anleihen bei der ArbeiterInnenbewegung, doch anders als diese verfolgten sie nie das Ziel, den Markt zugunsten eines wie auch immer gearteten Kollektivismus zurückzudrängen. Vielmehr sei es der extremen Rechten darum gegangen, das Unternehmertum und die Marktgesellschaft durch die Niederschlagung der ArbeiterInnenbewegung zu stärken. Dass der Staat auch als Instrument betrachtet wurde, um die Interessen der einheimischen Industrie zu verteidigen, habe – so Ishay Landa – nichts mit Kollektivismus zu tun gehabt, sondern den Wünschen der Unternehmerschaft entsprochen, die den Staat regelrecht anflehte, sie mit Konjunkturprogrammen vor den Folgen der Weltwirtschaftskrise zu retten.

Der neue Rechtsextremismus à la Trump und Bolsonaro ist wie eine Bestätigung dieser These. Auf der einen Seite beschwört er den Nationalstaat und adressiert die männlichen und weissen Teile der ärmeren Klasse mit einer scharfen Anti-Eliten-Rhetorik (die einigermassen skurril ist, wenn man weiss, dass Trump Multimilliardär ist und Bolsonaro seit über dreissig Jahren zu Brasiliens politisch-ökonomischer Elite gehört). Doch das zentrale Anliegen des rechtsextremen Projekts besteht darin, die Geschäfte der Banken, der Ölkonzerne und der Sojaindustriellen vor Gewerkschaften, UmweltschützerInnen, Indigenen – oder jetzt eben VirologInnen – zu schützen. Sein ökonomischer Ultraliberalismus drückt sich darin aus, dass man Lockdowns als staatliche Zwangsmassnahme ablehnt und die Maskenpflicht als Beschränkung individueller Freiheit bekämpft.

In überraschender Deutlichkeit führt die Coronapandemie vor Augen, worin die innere Verbindung von Wirtschaftsliberalismus und Rechtsextremismus besteht: Es ist das sozialdarwinistische Credo des «survival of the fittest», also die Überzeugung, dass sich gesellschaftliche Strukturen am vermeintlich dominanten Naturprinzip des individuellen Überlebenskampfs zu orientieren haben. Das war auch im Faschismus des 20. Jahrhunderts ein Kerngedanke – auch wenn die nationale Solidarität beschworen wurde, kannte die extreme Rechte kein Mitgefühl für Schwache und Kranke. Die Euthanasieprogramme der Nationalsozialisten waren der offenkundige Beweis. Aus faschistischer Sicht findet die natürliche Selektion immer auf nationaler und individueller Ebene gleichzeitig statt: Die Leistungsfähigsten sollen sich durchsetzen, und der Markt ist Bestandteil dieses Mechanismus.

Der Mob und die Eliten

Der Trick des Faschismus besteht darin, dass sich die Interessen von oben und unten gegen einen äusseren Feind, der besiegt und unterworfen werden will, vorübergehend in Übereinstimmung bringen lassen. Das ist die Grundlage des berühmten Paktes von «Mob und Eliten», den die Philosophin Hannah Arendt als grundlegendes Merkmal von Faschismus und Rassismus ausmachte. In der Pandemie allerdings versagt das rechtsextreme Projekt. Die Unfähigkeit, den solidarischen Umgang mit Kranken zu gewährleisten, wirkt sich fatal aus. Vermutlich werden selbst die rein ökonomischen Schäden am Ende höher sein als bei einer «kollektivistischeren» Strategie, denn die massenhafte Erkrankung der Bevölkerung wirkt sich zerstörerischer aus als staatlich verordnete, aber zeitlich begrenzte Lockdowns.

Was sowohl der Marktliberalismus als auch der Rechtsextremismus verkennen: Nicht das «survival of the fittest», sondern die Fähigkeit zur Kooperation erweist sich in Krisenmomenten als entscheidende menschliche Eigenschaft. Eine Kooperation, die immer auch auf Solidarität beruht.