Rap: Anliker und die anderen
Baze sei Spezisound, sagt der Berner Rapper über sich selber, aber eigentlich stimmt das nicht. Seit bald zwanzig Jahren klingt Baze immer wieder neu. Ein Treffen mit einem Grossen, der nie gross geworden ist.
Wenn zum Beispiel um drei Uhr morgens in der Bar auf einmal Poesie passiert, kann man ein Mikrofon hinhalten. Daraus Skits machen, sie über eine Handvoll Songs streuen. Die beiden neusten Veröffentlichungen des Berner Rappers Baze, die EPs «Aus i üs» (2019) und «Aus wo fägt» (2020), leben unter anderem von solchen Aufnahmen als atmosphärische Untermalung: zweimal vier Skits auf drei Tracks, zweimal zehn Minuten, zweimal eine kleine Welt zwischen Kapstadt, Bern und Tirana. «Alles eine Art Heimat», sagt Basil Anliker. Anliker, wie Baze mit bürgerlichem Namen heisst, sitzt im Innenhof des Berner Progr, raucht viel, grüsst viel. Erzählt auch viel und gerne: über Baze, der sich nun schon seit fast zwanzig Jahren in der Berner Rapszene bewegt und auch ein wenig darüber hinausgewachsen ist. Ein Grosser, der nie gross geworden ist, so richtig.
«Aus i üs» und «Aus wo fägt» erschienen im Stillen, fast ohne Promo. Es gab kaum Resonanz, obwohl Baze in diesen Miniaturen mehr macht und mehr erzählt als andere auf ganzen Alben. «Das Einzige, worüber ich Bescheid weiss, ist meine Gefühlswelt», sagt Anliker. Das ist wahrscheinlich nicht wahr, aber er weiss sie eindringlich vorzutragen.
Mit verzerrter Stimme schwimmt Baze über den Bass, und obschon das alles sehr weit von seinen früheren Tracks im Boom-bap-Stil der nuller Jahre weg ist, klingt es doch irgendwie, wie Baze immer geklungen hat. Keine Zeit für Nostalgie, schon gar nicht für Grabenkämpfe: Autotune ist Werk- und Spielzeug, wenn man damit umgehen kann. Und die Schwermut, die auf «Aus i üs» noch allgegenwärtig war, löst sich in «Aus wo fägt» sogar ein wenig, wenn Baze singt: «Aus wo fägt macht fett ussert vögle.» Wohl wahr. Einen dritten Teil «Aus» hat Anliker auf Herbst geplant.
Die A1 auf und ab
Baze sei Spezisound, sagt Anliker, aber eigentlich stimmt das nicht. Richtig berühmt ist er trotzdem nie geworden; reich sowieso nicht. Der Brotjob ist immer noch sein Grafikbüro. «Grosse Auslandtouren machst du mit einem solchen Projekt nicht. Wir rattern halt die A1 auf und ab.»
Und Chlyklass? Vor zwanzig Jahren das erste grosse Berner Rap-Ding, angefangen Ende der Neunziger mit ein paar losen Aufnahmen und «Bärn Jams» im Bierhübeli, an denen sich die gerade entstehende Szene traf. Ein Konglomerat aus Jungs um die zwanzig, inhaltlich und qualitativ unterschiedlich, PVP, Wurzel 5, DJ Link, DJ Skoob und eben Baze. Anfang 2020 hat Chlyklass, bestehend nun aus Jungs um die vierzig, ein neues Album herausgegeben, «Deitinge Nord». Ein Nostalgiealbum, nicht unbedingt ein grosser Wurf – aber gleich in der Erscheinungswoche auf dem ersten Platz der Hitparade gelandet, immerhin. «Es fägt haut», antwortet Anliker auf die Frage, warum er das immer noch mache, die Tour sei wie eine Schulreise. «Und an die Konzerte kommen drei Generationen, gemeinsam.» Das muss reichen.
Alleine ist er leiser
In dieser Chlyklass ist Baze wahrscheinlich Klassenbester. Hat immer sein eigenes Ding gemacht, aber auch in unterschiedlichen Konstellationen gearbeitet: Temple of Speed, Boys on Pills, Tequila Boys – viele Partytunes, viel Alkohol. Draufhauen. Alleine ist er leiser und düsterer, schon seit dem ersten Soloalbum 2004, «Item». Und immer hat Baze ein feines Gespür für die Sprache und den Sound, der sie trägt – einen eigenen Ton, der sich durch sein Werk zieht. Seine Verse sind behäbig, das Taktgefühl so sauber, dass auch mal einer ausreissen darf oder hinten die Zeile runterfallen. Themen: Selbstzweifel, auch, und eher die kleinen Geschichten als die grossen. Beziehungskisten, Alltagsängste, Herbst in der Stadt.
Seine Stadt. In Bern aufgewachsen und geblieben. Hat ers nie bereut? «Doch, natürlich. Immer noch.» Ist halt Provinz, immer gleich und immer dieselben Köpfe. Andererseits: «Bern ist gut für die Kreativität. Und Provinz, die schaffst du dir sowieso überall.» Dieselben Köpfe, das heisst auch, dass man nach all den Jahren weiss, mit wem man gut zusammenarbeiten kann. Und Heimat heisst auch, sich darüber aufregen zu können. Jetzt, mit Familie, meint Anliker, werde er wohl bleiben. Aus «irgendwann später» wird nie: So ergeht es hier vielen.
«Ich kann nur eine Sprache wirklich gut, und das ist Berndeutsch», sagt Anliker, und dass das sowieso egal sei, wenn nur der Vibe stimme: lieber Atmosphäre als Message. «Musik lebt extrem von Umgangssprache», meint er und verweist auf Chlöisu Friedli, auf Endo Anaconda und Kuno Lauener, ebenfalls Berner Geschichtenerzähler, Vorbilder aus der Generation davor: «Die arbeiten mit einer unglaublichen Präzision.»
Die Liebe gilt auch umgekehrt. Der alte Hase Anaconda hielt letzten März auf Baze die Laudatio, als dieser an den Swiss Music Awards den Artist Award für herausragendes Musikschaffen gewann. Als «überragenden Mundartsprecher, Wahrheitsdichter, poetischen Tumult» bezeichnete er Anliker, der wiederum dem alten Idol auf der Bühne einen Kuss auf die Wange drückte. Er halte nichts von solchen Anlässen, sagte Anliker in seiner Dankesrede, aber «druf gschisse, es freut mi u huere».
Der Zweifel ist nie weit
Sich immer ein wenig abzugrenzen, ist auch ein Spiel. Baze spielt die Rolle gern. Das eigene Ding machen, in Ruhe gelassen werden – auch ein wiederkehrendes Thema in seinen Texten. Die Abgrenzungshymne «Ender weniger», 2006, war damals für Baze-Verhältnisse sogar ein kleiner Hit. «Scho nätt u so, aber nid so mi Style.» Sich lustig machen über Schickimicki und die Zutexter im Ausgang, die Jazzer, die Intellektuellen.
Natürlich ist das auch Attitüde, die Koketterie muss man ihm nicht unbedingt abnehmen. Aber das gehört zum Habitus im Rap: die andern alle ein bisschen scheisse finden. Nur hat man bei Baze den Eindruck, dass er auch mit sich selber oft hadert. Die andern nerven – aber man selber halt auch. Und der Zweifel ist sowieso nie weit. Auf den späteren Alben schleicht er sich ein, auf «Bruchstück» (2017) etwa, wenn das bestätigende «gäu, mir wärde nie so wie die» auf einmal zur Frage wird: Oder doch?
Schneller und vielleicht auch stolzer kommt von Anliker keine Antwort als auf die Frage, ob er auch ein Arschloch sei: «Ja.» Klar. Aber am nächsten Morgen bereue er es dann, meistens. Gerüchte, die in der Stadt gern rumgereicht wurden: In welchen Lokalen Baze aktuell Hausverbot hat, sich daneben benommen hat, den Macho rausgehängt.
Diese Zeiten sind vorbei, auch wenn ihm der Rausch geblieben ist (und der Macho wohl auch) – vielleicht ein wenig gezielter eingesetzt als früher. «Suber sy isch o ke Lösig» singt er auf dem ersten Track der neusten EP, eine gebrochene Lanze für den Hedonismus und auch für den Dreck. Dieses Jahr ist er vierzig geworden und hat, anders als einige seiner Chlyklass-Kollegen, nicht aufgehört mit dem Trinken. Weil es eben dazugehöre: «Ich hab einfach ein Hirn, das immer läuft. Da kann Rausch sehr befreiend sein.»
77 Nächte in der Berghütte
Trotzdem sei es auch nicht so schlecht gewesen, während des Lockdowns weniger zu trinken. 77 Nächte hat Anliker mit seiner Familie in einer Berghütte verbracht, einmal ist er ins Tal gefahren, um ein Video aufzunehmen. Mit dem Pianisten Fabian M. Müller, mit dem er auch grosse Teile von «Bruchstück» eingespielt hat, entstand so die «Abstand Session». Müller macht aus den Tracks Balladen, die sie eigentlich immer schon waren. Die an dieses «Bruchstück» erinnern, das ebenso zart war, ohne je überzuckert zu sein. Ob Baze hier rappt oder singt, lässt sich kaum mehr entscheiden. Und im Gegensatz zu vielen anderen, die sich in dieser seltsamen Zeit in Heimaufnahmen versuchten, gelingt es den beiden, ganz allein im Studio, Nähe zu erzeugen.
«Das Schlimmste in der Musik ist Distanz», sagt Anliker. Die Schachtel Zigaretten hat er fast aufgeraucht.
Live mit Fabian M. Müller: Bern, ISC Club (mit E-L-R), 13. August 2020; Frutigen, Badi Lounge, 16. August 2020; Thun, Frachtraum, 20. August 2020.
Baze: Aus i üs. Eret. 2019
Baze: Aus wo fägt. Eret. 2020