Schweizerisch-weissrussische Freundschaften: Skiakrobatik und Frauenrechte

Nr. 33 –

Es gibt sie hierzulande noch immer, die ApologetInnen des autokratischen Regimes in Weissrussland. Nachgefragt bei zwei PolitikerInnen von der SVP und der SP.

Die offizielle Schweiz hat zuletzt vorwärtsgemacht: Ganz im Sinne ihrer angestrebten vertieften Beziehungen wurde die Niederlassung in Minsk von einem Büro zur Botschaft aufgewertet. Zum Festakt im Februar reiste Aussenminister Ignazio Cassis persönlich an. Gemäss seinem Departement sind derzeit dreissig Schweizer Unternehmen in Weissrussland am Wirtschaften. Das mit Abstand grösste davon ist Stadler Rail: Die Firma des einstigen SVP-Nationalrats Peter Spuhler unterhält vor den Toren der Hauptstadt ein Werk mit 1200 MitarbeiterInnen.

«Enorme Entwicklung»

Die parlamentarische Freundschaftsgruppe Schweiz–Belarus hingegen scheint eingeschlafen. Sie besteht nur noch aus einer Person: dem Zürcher SVP-Nationalrat Martin Haab. «Belarus ist das sicherste Land der Region», sagt der Landwirt, der erst letzten Sommer in den Nationalrat nachgerutscht ist. «Es hat Ordnung und praktisch keine Korruption – weil es eben von einer starken Hand geführt wird», so Haab.

Wie kommt ein Politiker, der sonst am ehesten als Kämpfer für einen höheren Milchpreis bekannt ist, zu diesem Engagement? «In Mettmenstetten haben wir ja die Trainingsschanze», setzt Haab an. Während Jahren habe dort die weissrussische Skiakrobatiknationalmannschaft trainiert, und die AthletInnen hätten jeweils bei ihm auf dem Hof gewohnt. «Zu einigen entstand eine intensive Bindung», so Haab. Auch habe er seit 2008 Weissrussland und dessen Landwirtschaftsbetriebe regelmässig besucht und dabei «eine enorme Entwicklung» festgestellt: «Der Mittelstand ist gewachsen. Viele sind zu Recht stolz auf den wirtschaftlichen Fortschritt.» Zumindest aus Kennzahlen wie dem Bruttoinlandsprodukt lässt sich dies indes nicht ablesen: Pro Kopf lag es 2018 auf demselben Niveau wie 2008.

Aber sind Menschenrechte nicht ohnehin wichtiger? «Ich gebe Ihnen recht», sagt Haab. Aber die Leute in Weissrussland seien aufgrund der Sowjetvergangenheit «teils gar nicht in der Lage, die volle Verantwortung für ihr Tun zu übernehmen». Er ist besorgt, dass «ein grosser Umsturz» das Land instabil werden lassen könnte. Dass dort die Meinungsfreiheit beschnitten werde, sei ihm bewusst. Und Haab sagt: «Falls es zu systematischen Wahlfälschungen kam, verurteile ich das.»

Gegenfrage: «Und in der Schweiz?»

Anders als Martin Haab versteht sich die Berner Sozialdemokratin Margret Kiener Nellen als Aussenpolitikerin, Menschenrechtsexpertin und Internationalistin. Die Rechtsanwältin war bis im letzten Jahr Nationalrätin und Kopräsidentin der parlamentarischen Freundschaftsgruppe Schweiz–Belarus. Als sie Bundesrat Cassis zur Botschaftseröffnung nach Minsk begleitete, war sie bereits Präsidentin eines neuen Freundschaftsvereins. Dieser teilt seine Postadresse mit der weissrussischen Botschaft in Bern.

Letzte Woche gab Kiener Nellen dem «Echo der Zeit» von SRF ein Interview, in dem sie zu Menschenrechtsverletzungen im Vorfeld der Präsidentschaftswahl keine Stellung nahm. Als Vereinspräsidentin tue sie dies auch weiterhin nicht, sagt sie nach der Wahl, auch wenn sie persönlich eine eigene Meinung vertrete. Sie sagt: «Ich bin dagegen, dass der Westen aufheult.» Das sei geopolitisch kontraproduktiv, und zudem habe schliesslich jedes Land Defizite bei den Menschenrechten: «Wo sind wir mit den Frauenrechten und der Lohngleichheit in der Schweiz?»

Ende Juli ist Kiener Nellen von ihrer letzten Weissrusslandreise zurückgekehrt, während der Wahlen war sie also nicht vor Ort. Überhaupt kommentiere sie Wahlen nur, wenn sie diese im Rahmen einer internationalen Mission beobachtet habe, was sie «auch weiterhin in leitenden Funktionen tun» werde. Aber was ist mit der offensichtlichen Gewalt gegen DemonstrantInnen in den letzten Tagen? «Ich verurteile jede Gewalt», sagt die Politikerin bloss. Menschenrechte müssten überall gleichermassen durchgesetzt werden, erklärt sie. Dass es einem Autokraten wie Lukaschenko aber helfen könnte, wenn sie als Menschenrechtsadvokatin auf Kritik an seinem Vorgehen verzichtet, glaubt sie nicht.