Schweiz–Belarus: Der Zug nach Minsk
Obwohl die EU Sanktionen gegen Alexander Lukaschenko ankündigt, geschäftet die Schweiz weiter mit dem belarusischen Diktator – allen voran SVP-Bahnunternehmer Peter Spuhler, der seit Jahren im Land aktiv ist.
Es hätte der erste Staatsbesuch Alexander Lukaschenkos in der Schweiz werden sollen: Im Februar, während der feierlichen Eröffnung der Botschaft in Minsk, lud FDP-Bundesrat Ignazio Cassis den belarusischen Diktator ein. Die verstärkten Beziehungen der beiden Länder hätten an der hiesigen Weltmeisterschaft im Eishockey – einer grossen Leidenschaft Lukaschenkos – gefeiert werden sollen. Die WM sollte schliesslich Corona zum Opfer fallen. Zur Einladung aber liess Lukaschenko über die staatliche Nachrichtenagentur Belta vermelden: Er werde im Fall eines Besuchs «Peter Spuhler mit der Organisation beauftragen».
Die Schweiz hat in den letzten Jahren nicht nur die diplomatischen, sondern auch die wirtschaftlichen Beziehungen zu Belarus verstärkt. Die Stadler Rail AG ist das bei weitem aktivste der Schweizer Unternehmen im Land. Spuhler reist regelmässig nach Belarus, wo seine Stadler Rail AG ein Werk mit 1400 MitarbeiterInnen betreibt. Es ist die zweitgrösste Produktionsstätte des gesamten Betriebs. Mit Lukaschenko pflegt er schon seit längerem eine ziemlich enge Beziehung.
Gerade blickt die ganze Welt nach Belarus, Hunderttausende demonstrieren seit den Wahlen vom 9. August gegen den mutmasslichen Wahlbetrug (vgl. «Anatomie eines Protests» ). Der Diktator hetzt seine Polizeieinheiten auf die Bevölkerung. Im Meer der Schreckensmeldungen über Verhaftungen und Foltervorwürfe ging letzte Woche eine Meldung fast unter: Die UBS beteilige sich an der Vergabe eines 90-Millionen-Euro-Kredits an die staatliche belarusische Eisenbahn zum Kauf von Stadler-Zügen. Das Pikante daran: Der Kredit wird vom Bund versichert.
Spuhlers Tor zu Osteuropa
Die Geschäfte der Stadler Rail AG mit Belarus begannen vor zehn Jahren. Im März 2010 verkaufte Peter Spuhler für 60 Millionen Euro die ersten Züge dorthin. Seither hat Spuhler, der damals für die SVP im Nationalrat sass, seine Beziehungen zum Unrechtsstaat laufend intensiviert. 2012 gründete er die CJSC Stadler Minsk, ein Joint Venture zwischen der heutigen Stadler Rail AG und der Region Minsk. Später kaufte er dem Staat die Anteile wieder ab und wurde alleiniger Inhaber der belarusischen Niederlassung.
2014 wurde dann offiziell ein Stadler-Werk in Fanipal, wenige Kilometer von Minsk entfernt, eröffnet. Ein erster grosser Auftrag waren Doppelstockzüge für ein russisches Bahnunternehmen. Spuhler, der insgesamt 11 000 MitarbeiterInnen beschäftigt und letztes Jahr 3,2 Milliarden Franken Umsatz machte, lockten die attraktiven Konditionen nach Belarus: der gute Anschluss an den eisenbahntechnisch entwicklungsbedürftigen osteuropäischen Markt, der günstige Standort in einer Freihandelszone – und, nicht zuletzt, erschwingliche, aber gut ausgebildete Arbeitskräfte (der Durchschnittslohn in Belarus beträgt rund 440 Franken pro Monat). Ihre Arbeitsmoral rühmt Spuhler bei jeder Gelegenheit. Im Gegenzug lobte Lukaschenko, der Spuhler viele Geschäftstüren nach Osteuropa öffnete, diesen immer wieder für seine Bestrebungen im Land.
Seinen Handel mit dem letzten Diktator Europas rechtfertigte Spuhler 2011 in einem SRF-Interview so: «Mit Technologietransfer helfen Sie, eine demokratische Entwicklung voranzutreiben. Wenn die EU oder die Uno die Sanktionen auf unsere Produkte ausweiten, hält sich Stadler Rail natürlich daran.»
Belarus aber ist die Antithese zur von Rechtsliberalen gerne aufgestellten Behauptung, dass wirtschaftlicher Aufschwung in Diktaturen automatisch eine demokratische Entwicklung auslöse. Wegen der anhaltenden Menschenrechtsverletzungen verhängten die EU und die Schweiz 2006 letztmals Sanktionen gegen Belarus. Stadlers Produkte waren allerdings nicht davon betroffen. Jahrelang bestand Spuhlers Credo darin, Politik und Wirtschaft nicht miteinander zu vermischen, wie er immer wieder sagte. Jetzt, da Lukaschenkos Regime ins Wanken gerät, kommt diese Haltung unter Druck.
Am 11. August schaltete Lukaschenko im ganzen Land das Internet ab. Erreichbar war aber noch die Website der staatlichen Nachrichtenagentur Belta, wo die Meldung über den 90-Millionen-Kredit an die staatliche Eisenbahn für den Kauf von Stadler-Zügen publiziert wurde. Viele Details über den Deal zwischen der UBS, der Belarusbank und der belarusischen Staatsbahn fanden sich dort allerdings nicht.
Der Bund ist beteiligt
Brisant ist jedoch: Der Kredit wird von der Schweizer Exportrisikoversicherung (SERV) versichert, einer öffentlich-rechtlichen Organisation, die unter der Aufsicht des Bundesrats agiert. Sie kann Exportgeschäfte von Schweizer Unternehmen mit politisch oder wirtschaftlich unsicheren Ländern sowie die Finanzierung solcher Geschäfte versichern. Sollte die dem Regime gehörende Belarusbank der Zahlungspflicht nicht nachkommen, würde die SERV für Liquidität sorgen. Wie die SERV auf Anfrage mitteilt, beläuft sich der UBS-Anteil am Kredit auf 89 Millionen Euro. Die UBS gibt sich wortkarg: Sie könne «aus rechtlichen Gründen zu potenziellen Kundenbeziehungen keine Auskunft geben».
Wie kann die SERV, die bei der Beurteilung von Anträgen laut Mandat die Grundsätze der Schweizer Aussenpolitik sowie Menschenrechtsfragen genau beachten muss, einen Auftrag durchwinken, von dem nicht nur Stadler Rail, sondern auch ein Regime wie jenes von Lukaschenko profitiert?
Die Rechtslage sei nicht eindeutig, sagt der Berner Jurist David Furger. Er verweist auf einen Bundesratsbericht über die Menschenrechtspolitik der Schweiz aus dem Jahr 2000. Daraus geht hervor, dass der Bund «bei schweren und systematischen Menschenrechtsverletzungen» mit der «Verweigerung der Exportrisiko- und Investitionsrisikogarantie» reagieren kann, beispielsweise, wenn die zu unterstützenden Projekte direkt eine Diktatur finanzieren. Das sei hier zwar nicht der Fall. Doch komme das Geschäft einem Staat zugute, «der die Menschenrechte systematisch missachtet».
Zusammen mit der Europarechtlerin Astrid Epiney von der Universität Fribourg hat Furger 2011 eine ausführliche Studie zur SERV verfasst, die das Versichern von Exportgeschäften mit Staaten, die Menschenrechtsverletzungen begehen, kritisiert. Im vorliegenden Fall sieht Furger eine grundsätzliche Problematik: Lukaschenkos Regierung könne sich durch die indirekte Unterstützung der Schweiz – während es gerade aus der ganzen Welt Kritik gegen sein Regime hagelt – ein Stück weit legitimieren und international profilieren.
Die SERV, bei der übrigens Peter Jenelten im Verwaltungsrat sitzt, der bis vor rund einem Jahr noch Verwaltungsrat der Stadler Rail war und jetzt für Spuhlers PCS-Holding tätig ist, sagt gegenüber der WOZ: «Wir prüfen jedes Geschäft auf die Vereinbarkeit mit den aussenpolitischen Grundsätzen der Schweiz und dessen direkte Auswirkungen auf Umwelt und Menschen.» Zum Zeitpunkt der Versicherungsübernahme habe es keine Anhaltspunkte dafür gegeben, «dass es bei der Herstellung oder den erbrachten Leistungen in Belarus, dem Export und anschliessenden Betrieb der Personenzüge zu Menschenrechtsverletzungen kommen könnte».
Interessant ist das Timing: Die EU kündigte am Freitag neue Sanktionen gegen das knüppelnde Regime an. Jurist Furger schätzt es als Zufall ein, dass die Meldung über den Kredit nur wenige Tage zuvor publik wurde. Er betont aber: «Laut dem Schweizer Gesetz wären völkerrechtliche Sanktionen ein Hinderungsgrund für die SERV.»
Komplett durchgetaktet
Gemäss Berichten vom März soll das Produktionsvolumen von Stadler Rail, in dessen Verwaltungsrat inzwischen auch Altbundesrätin Doris Leuthard sitzt, im Minsker Betrieb dieses Jahr nochmals um ein Viertel erhöht werden. Die Zahl der Angestellten soll von 1400 auf insgesamt 1600 MitarbeiterInnen wachsen. «Minsk wird so zum grössten Produktionsstandort», sagte der Leiter der Minsker Filiale, Philipp Brunner, der Nachrichtenagentur Belta.
Angesichts der aktuellen Ereignisse in Belarus hat die WOZ bei Stadler Rail und Unternehmensleiter Peter Spuhler nachgefragt, wie es in ihrem Werk in Fanipal denn so laufe. Die Antwort fällt dürftig aus. «Bislang stellen wir keine Auswirkungen fest, in Minsk wird normal gearbeitet», heisst es bei der Pressestelle. Spuhler selbst war für eine Stellungnahme nicht erreichbar, «da er sich im Ausland befindet und dort terminlich komplett durchgetaktet ist».
Redaktionelle Mitarbeit: Anna Jikhareva.