«Rise up for Change»: Das Klima auf dem Bundesplatz
Da besetzen einige Hundert AktivistInnen am Montagmorgen friedlich den Berner Bundesplatz. Ihr Ziel: auf die Klimakrise aufmerksam machen. Sprechchöre werden immer wieder unterbrochen, bloss um den Parlamentsbetrieb nicht zu stören. Der Platz ist offen, alle können kommen und mit den BesetzerInnen reden.
Doch die Aufregung ist riesig: Zuerst interveniert das Ratsbüro von National- und Ständerat bei der Stadtregierung, dann der Kanton Bern. Schliesslich fällt am Montagabend gar der Nationalrat auf Antrag der SVP einen Beschluss: Der Platz müsse schnellstens geräumt werden! Der «Tages-Anzeiger» titelt ernsthaft «Angriff auf das Zentrum der Macht» und rät den AktivistInnen im paternalistischen Tonfall, man solle doch eine Volksinitiative lancieren – Maximalforderungen stellen könne jeder. Der «Blick»-Chefredaktor sieht «Arroganz und Demokratieverachtung», schreibt gar von «Dummheit» und «Verachtung des Systems».
Die BesetzerInnen haben ganz offensichtlich einen Nerv getroffen. Sie sind einigen Mächtigen zu nahe gekommen. Der Symbolgehalt des Bundesplatzes, wo zweimal in der Woche auch ganz banal Gemüse und Früchte verkauft werden, ist erstaunlich hoch. Hätten die KlimaaktivistInnen einen Kilometer entfernt auf der Schützenmatte illegal campiert, hätte das niemanden interessiert.
Wir erinnern uns: Als die SchülerInnen vor fast zwei Jahren mit ihren Klimastreiks begannen, gab es viele wohlmeinende Meinungsäusserungen aus der Politik. Es gelang den Jugendlichen, die Öffentlichkeit aufzurütteln. Mit Folgen: Die FDP beschloss, klimafreundlicher zu werden. Die Grünen wurden bei den letzten Wahlen gestärkt und mit der SVP die Partei geschwächt, in der Klimaleugner und Erdöllobbyisten zentrale Positionen besetzen.
Doch die Beratungen zum neuen CO2-Gesetz haben es gezeigt: Einen grundlegenden Wandel will die Mehrheit des Parlaments nicht. Die Schweiz bleibt zurück und nimmt ihre globale Verantwortung nicht wahr. Es nützt eben nur sehr beschränkt etwas, wenn wir hier – auch zur Förderung der lokalen Wirtschaft – die Häuser besser isolieren oder Solarpanels auf die Dächer bauen. Die Schweiz als eines der reichsten Länder kann und muss mehr tun. Vor allem muss sie mit scharfen Gesetzen sicherstellen, dass hier ansässige globale Unternehmen und Banken sich nicht länger einen Dreck um das Klima scheren.
Der Schweizer Konzern Glencore etwa treibt im australischen Bowen Basin den Bau einer neuen Kohlemine voran. 35 Jahre lang sollen dort jedes Jahr bis zu zwanzig Millionen Tonnen Kohle gefördert werden. Der jährliche CO2-Ausstoss allein dieser geförderten Kohle ist höher als jener der ganzen Schweiz pro Jahr. Ist das im Parlament ein Thema? Gibt es in «Tages-Anzeiger» oder «Blick» deswegen einen Aufschrei?
Während die BesetzerInnen ihre Zelte errichteten und in Kleingruppen über das weitere Vorgehen redeten, loderten an der Westküste der USA die Feuer weiter. Allein das grösste Feuer, das August Complex in den kalifornischen Bezirken Mendocino und Humboldt, hat inzwischen eine Fläche doppelt so gross wie der Kanton Zürich zerstört. Im Feuchtgebiet Pantanal in Brasilien brennen derweil ebenfalls seit Wochen Feuer, die bisher 29 000 Quadratkilometer verwüstet haben, eine Fläche siebzehnmal so gross wie der Kanton Zürich. Wohl nur vage erinnern wir uns an die verheerenden Brände im Amazonasgebiet vor einem Jahr und an die Flammen in Australien vor einem halben Jahr.
Die Klimakatastrophe ist da. Die Erderhitzung zeigt sich in Dürren, Bränden, Hurrikanen, Gletscherschmelzen. Und sie wird zunehmen. Selbst wenn wir ab heute den CO2-Ausstoss massiv reduzieren würden. Auch wenn wir bis 2030 «netto null» erreichen, wie das die AktivistInnen fordern. Was wir heute verhindern können, ist der völlige Kollaps, der Tod von Milliarden, die Zerstörung der Zukunft der heutigen Kinder und Jugendlichen. Solange die Politik viel zu wenig tut, ist ziviler Ungehorsam mehr als gerechtfertigt.