Rise up for Change: Stich ins Wespennest

Nr. 39 –

Mit der zweitägigen Besetzung des Bundesplatzes in Bern hat die Klimabewegung einen Schritt vorwärts gemacht. Der zivile Ungehorsam der AktivistInnen demonstriert, dass sie nicht tatenlos zusehen werden, wie existenzielle Klimaziele von der Politik ignoriert werden.

Eine rasche Räumung verhindern: Blockierter Zugang zum Klimacamp. Foto: Florian Bachmann

Fünfzehn Stunden ist sie an einem Fass angekettet, dann, am Montagabend, öffnet sie erstmals das Schloss. Lina, die ihren Nachnamen nicht in der Zeitung lesen will, hat bei der Besetzung des Bundesplatzes in Bern durch mehrere Hundert KlimaaktivistInnen einen eher mühsamen Job übernommen. Doch er ist wichtig: Das Fass und die daran angekettete Person blockieren den Zugang zum Bundesplatz und sollen so eine schnelle Räumung verhindern.

Zur Räumung kommt es am Montag nicht. Erst am frühen Mittwochmorgen wird schliesslich ein Grossaufgebot der Polizei anrücken und die BlockiererInnen verhaften. Feuerwehrleute übernehmen dabei den Job, die Angeketteten mit Spezialgeräten von ihren Verankerungen zu lösen.

Lina hat im Sommer ihren Mittelschulabschluss gemacht. Wieso macht sie bei der Besetzung mit? Schliesslich haben die SchülerInnenstreiks viel bewegt und erreicht, dass das Parlament nun ein neues, griffigeres CO2-Gesetz beschliessen wird. «Für uns ist dieses Gesetz nicht mal annäherungsweise ausreichend», sagt sie. In den zwei Jahren ihres Protests sei viel zu wenig passiert. Deshalb müsse man nun neue Wege gehen. «Hier kann man uns wenigstens nicht einfach ignorieren.»

Taktische Diskussionen

Tatsächlich: Die zweitägige Blockade des Bundesplatzes hat mächtig gestört. Die Stadtregierung Berns geriet sofort unter Druck, den Platz polizeilich räumen zu lassen. Die Aufregung war so gross – man hätte meinen können, das Bundeshaus selbst sei blockiert worden.

Die BesetzerInnen fordern eine Reduktion der Treibhausgasemissionen auf netto null bis 2030 und zur Erreichung dieses Ziels einschneidende Massnahmen der Politik: etwa eine ökologische Ausrichtung der Landwirtschaft und die Verpflichtung des Finanzsektors, seine Geldflüsse offenzulegen. Die Banken müssten aufhören, die fossile Industrie zu finanzieren. Auf die Wissenschaft sei mehr zu hören und die Bevölkerung in die Umsetzung der Klimaziele besser einzubeziehen.

Die Besetzung hat mächtig gestört: Polizeieinsatz am Mittwoch. Foto: Anthony Anex, Keystone

Während der Besetzung sieht man lange Zeit wenig von den ParlamentarierInnen. Viele machen einen Bogen um den Platz, obwohl er für PassantInnen offen zugänglich ist. Von aussen scheint es, als verschanzten sie sich geradezu im Bundeshaus. Auf Twitter empören sich einige, etwa der Freisinnige Christian Wasserfallen, gewaltig. Hans-Peter Portmann beschuldigt den Berner Stadtpräsidenten Alec von Graffenried vor laufender Kamera des Amtsmissbrauchs, weil er den Platz nicht räumen lasse. Am Montagnachmittag schreiten die SVP-Vertreter Alfred Heer, Albert Rösti und Erich Hess mehrmals schnellen Schrittes über den Platz, um vor dem gegenüberliegenden Café Federal an einem Tisch nahe am Platz demonstrativ Bier zu trinken. Die BesetzerInnen nehmen es gelassen. Zu Gesprächen kommt es nicht. Später werden andere SVP-Exponenten vor laufender Kamera ausfällig: Roland Rino Büchel pöbelt Aktivisten an, Andreas Glarner beleidigt die Grüne Sibel Arslan rassistisch (vgl. «Glarner muss zurücktreten» ).

Der erste Tag der Besetzung ist geprägt von vielen taktischen Diskussionen: Wie verhält man sich gegenüber den MarktfahrerInnen, die am Dienstagmorgen auf den Platz kommen? Was tun bei Lärmklagen aus dem Bundeshaus? Die Themen werden in kleinen Bezugsgruppen, die die BesetzerInnen vorgängig gebildet haben, diskutiert. Eine davon besteht aus sechzehn- bis siebzehnjährigen GymnasiastInnen aus Bern. Man müsse jetzt Grenzen überschreiten, sagen sie. Demonstrieren allein genüge nicht mehr. «Wir tun mit unserer Aktion ja niemandem weh.»

Auch viele AktivistInnen der Bewegung Extinction Rebellion nehmen an der Besetzung teil, ihre Fahnen hängen in Strohballen auf der Strasse zwischen dem Platz und dem Bundeshaus. Die Gruppierung versucht schon länger, mit Blockaden den Druck auf die Politik zu erhöhen. Einer von ihnen, Reto Wigger aus Zürich, sieht in der Bundesplatzbesetzung nun einen Lichtblick. «Was hier passiert, ist genau, was wir wollen: ziviler Massenungehorsam.» Die Zusammenarbeit mit den Leuten vom Klimastreik und anderen AktivistInnen sei produktiv. Jetzt müsse man weitere, noch grössere Aktionen planen.

Besuch vom Bundeshaus

Die Besetzung des Bundesplatzes entwickelt derweil eine erstaunliche Dynamik. Zahlreiche BernerInnen strömen auf den Platz, am zweiten Tag noch mehr als am ersten. Familien mit Kindern, aber auch ältere Menschen zeigen sich neugierig, gehässige Töne sind selten. Ein älterer Mann kommt mit dem Alphorn an und bläst eine Melodie. Parallel zur Besetzung findet am Dienstagnachmittag in Bern eine Demonstration von Geflüchteten und UnterstützerInnen gegen die Schweizer Asylpolitik statt. Die Polizei kesselt die DemonstrantInnen ein, setzt Tränengas und Pfefferspray ein. Eine Gruppe KlimaaktivistInnen macht sich auf den Weg, um sich zu solidarisieren. Schliesslich gelangen die AsylaktivistInnen tatsächlich auf den Bundesplatz. Die Stimmung wird dadurch nur noch besser.

Auch ParlamentarierInnen der SP und der Grünen kommen am Dienstagnachmittag zum Gespräch auf den Platz. Sie werden mit Applaus begrüsst und stellen sich der Diskussion. Die BesetzerInnen wollen, dass die VolksvertreterInnen ihre Forderungen ins Parlament hineintragen. Die Abgeordneten bleiben allerdings vage. Sie verteidigen die Fortschritte, die mit dem neuen CO2-Gesetz erreicht worden seien. SP-Nationalrat Beat Jans bittet die AktivistInnen, doch auf das Angebot des Gemeinderats einzutreten, den Platz zu räumen und auf den 200 Meter entfernten Waisenhausplatz zu ziehen. Er ist mit dieser Meinung nicht allein. Auch SP-Nationalrätin Jacqueline Badran sagt: Dort könne man mit den Medien endlich über die Inhalte reden.

Aber hätte es etwas gebracht, wenn die BesetzerInnen am Dienstag umgezogen wären? Klar ist, das Medieninteresse wäre sofort erlahmt. Und letztlich geht es bei der Besetzung neben den Forderungen auch noch um eine andere zentrale Botschaft: Wer es wissen will, weiss von der Klimakatastrophe.

Die KlimaaktivistInnen leisteten bei der Räumung passiven Widerstand und liessen sich von der Polizei wegtragen. Sie sendeten damit ein Signal: Jetzt muss endlich gehandelt werden. Die Zeit des zivilen Ungehorsams ist da.