Kunsthochschule in China: Schöne Roboter fürs Regime

Nr. 40 –

Die Zürcher Hochschule der Künste baut in China eine riesige Designschule. Dazu geht sie inakzeptable Bedingungen ein. Die Recherche über eine Schule, an der vieles nicht mehr stimmt.

Ist es ethisch zu verantworten, Leute in ein solches System zu schicken? ZHdK-Direktor Thomas Meier bei der Unterzeichnung der Kooperationsvereinbarung mit der chinesischen Universität Harbin Institute of Technology im Juli 2015. Foto: ZHdK

Die Zürcher Hochschule der Künste ist die grösste Kunsthochschule der Schweiz. Sie hat 2000 StudentInnen, über 700 MitarbeiterInnen und eine Strategie, in der auffallend oft die Worte «exzellent» und «einzigartig» vorkommen. Diese Exzellenz will die Zürcher Hochschule der Künste, kurz ZHdK, nicht für sich behalten – sie trägt sie in die Welt hinaus.

Shenzhen, Provinz Guangdong, China. Planstadt am Perlflussdelta. Vor vierzig Jahren ein Kuhdorf, dann zum Zwilling des damals freien, aufstrebenden Hongkong erklärt, heute eine reiche, unablässig wachsende Metropole mit zwölf Millionen EinwohnerInnen. Hier lässt die ZHdK bauen. Im Juli war Spatenstich: Auf einem Gelände am Stadtrand entsteht eine neue Designschule, ein Campus für 1300 StudentInnen aller Stufen, dazu ein Museum. Es ist ein gigantisches Projekt, das die ZHdK mit dem chinesischen Harbin Institute of Technology (HIT) realisiert. Die beiden Hochschulen planen eine akademische Kooperation. Öffentlich ist über diese noch nicht viel bekannt. Nur das: Die ZHdK entwickelt derzeit die Curricula und rekrutiert das Personal. Die ChinesInnen wiederum kommen für alle Entwicklungskosten auf.

«Eine unbequeme Situation»

Das HIT pflegt enge Verbindungen zum chinesischen Militär. Sie sind so eng, dass die US-Regierung die Universität im Mai auf ihre Sanktionsliste setzte. Internationale Partner sistierten daraufhin ihre Kooperationen. In Zürich schreitet die Planung indes unverdrossen voran. Die ZHdK erklärt auf Anfrage: «Die Schwarze Liste steht im Zusammenhang mit den aktuellen machtpolitischen Auseinandersetzungen zwischen den beiden Ländern.» Zudem beschränke sich die Kooperation mit dem HIT auf die Bereiche Design und Architektur. An einer internen Informationsveranstaltung Anfang September erklärte ZHdK-Rektor Thomas Meier, von allen Seiten sei Druck auf das HIT spürbar. «Es ist eine unbequeme Situation, mit der wir umgehen müssen.»

Ähnlich unbequem sind die Rahmenbedingungen, unter denen in Shenzhen gelehrt und geforscht werden wird. Gerade hat das Regime den Entwurf eines neuen Verhaltenskodex für ausländische LehrerInnen veröffentlicht. Wer in China unterrichten will, soll künftig eine ideologische Grundschulung durchlaufen müssen. Danach erwartet die DozentInnen ein Punktesystem, das nichtkonformes Verhalten mit negativen Bewertungen bestraft. Wer Dinge tut oder sagt, die «Chinas Souveränität, Sicherheit und ehrenhafte Reputation unterminieren», wird sofort entlassen und erhält ein Berufsverbot. Die ZHdK erklärt dazu, der Kodex sei noch nicht in Kraft. Zudem sei für Angehörige der ZHdK das Engagement in China freiwillig. Wohl ist es der Hochschule bei ihrem Alleingang aber nicht. Sie verweist darauf, dass das Staatssekretariat für Bildung, Forschung und Innovation das Grossprojekt unterstütze. Doch dort geht man auf Distanz: Auf Anfrage heisst es, das Unterfangen liege komplett in der Kompetenz der Hochschule und des Kantons Zürich als Träger. Wörtlich: «Wir sind in keiner Weise involviert.»

Repression und Kontrolle wirken sich auch auf die Unterrichtsgestaltung aus. Hansuli Matter, Direktor der Designabteilung an der ZHdK, gab dazu an besagter Infoveranstaltung ein Beispiel: An einem Workshop mit KollegInnen aus Shenzhen habe er gefragt, was passieren würde, wenn er ein Projekt zur verfolgten Volksgruppe der UigurInnen machen wolle. Die Sache sei einfach, wurde ihm beschieden: Er müsse das Projekt dem zuständigen Parteisekretär vorlegen; der entscheide dann. Matter lächelte amüsiert, als er die Anekdote erzählte. Die anwesenden DozentInnen schauten betreten. Ob man sich mit dem Engagement zum Kollaborateur des Regimes mache, wollte ein Lehrbeauftragter wissen. Ob es ethisch zu verantworten sei, Leute in ein solches System zu schicken und dort auszubilden, eine Dozentin. Designdirektor Matter sagte: «Es ist schwierig, schmerzhaft. Die Frage ist: Lässt man das liegen? Sind wir lieber am Strand, oder setzen wir uns dem aus?»

Ob es denn eine rote Linie für die ZHdK gebe, wurde Rektor Meier gefragt. Seine Antwort: «Wenn wir dort bei dem, was wir tun, aktiv behindert werden, dann gehen wir raus.» Bis dahin gelte: «Ich sehe das als Herausforderung.» In der offiziellen Verlautbarung wird die rote Linie so gezogen: «Die ZHdK würde aussteigen, wenn sie nicht mehr inhaltlich und finanziell verantwortlich handeln könnte und die Sicherheit und Unversehrtheit ihrer Angehörigen nicht mehr gewährleistet wäre.»

Unklar bleibt bis heute, weshalb die ZHdK überhaupt solche Risiken eingeht, um in Shenzhen präsent zu sein. Die Begründung wirkt wolkig. Von einem «spannenden lokalen Innovationsökosystem» ist die Rede. Vom Zugang zum chinesischen Designmarkt. Vom Potenzial, das in der Verschmelzung von Design und Engineering stecke. Matter dazu: «Die bauen grobe, hässliche Roboter, die man niemals brauchen kann. Die wollen da weiterkommen.»

Seit 2012 verfolgt Meier sein Ziel eines Ablegers in China. Kurz vor dem Ziel will er von den Plänen nicht mehr abrücken – auch wenn China längst kein Land der Chancen mehr ist, sondern eines, das seine Interessen skrupellos durchsetzt. Meier hat das selber schon zu spüren bekommen. Als an der ZHdK vor einem Jahr ein Film über die Proteste in Hongkong gezeigt werden sollte, intervenierte die chinesische Botschaft. Meier liess den Film dann zwar zeigen, doch als am Campus die Symbole der Protestbewegung auftauchten, bot er rasch die MalerInnen auf.

«Zur Neutralität verpflichtet»

Für Meier war die Episode unangenehm, weil er an seiner Hochschule stets um die Absenz des Politischen bemüht war. Nicht zum ersten Mal reagierte er mit dem Farbkübel auf eine politische Debatte. Auch als StudentInnen ein paar Jahre zuvor die blütenweissen Wände mit kindlichen Graffiti verziert hatten, um auf das beengende Klima aufmerksam zu machen, schickte er die MalerInnen. Und als ein Student den E-Mail-Verlauf zu einer umstrittenen Reorganisation auf die Wände klebte, liess er die Wandzeitung gleich wieder entfernen. Der Kommentar der Hochschule dazu: «Als kantonale Institution ist die ZHdK zu politischer Neutralität verpflichtet.»

Wie kann in einem derart entpolitisierten Haus Kunst entstehen, die mehr ist als eine ästhetische Geste oder eine kommerzielle Ressource? Ein Professor sagt spöttisch: «Vielleicht passt die ZHdK ja ganz gut nach China.»

Das Erbe des Rektors

Die WOZ hat für diesen Artikel mit einem Dutzend Angestellten gesprochen. Alle wollten anonym bleiben, weil sie Angst vor Repressalien haben. Das Betriebsklima ist ein weiteres Konfliktfeld an der ZHdK. Hinter vorgehaltener Hand werden der autoritäre Führungsstil und die fehlende Mitsprache bemängelt. Kritische Äusserungen würden nicht gern gehört. Mit diesen Vorwürfen beschäftigt sich seit einigen Monaten auch die Gewerkschaft VPOD. Derzeit führt sie Gespräche mit der ZHdK; erste Ergebnisse sind in den kommenden Wochen zu erwarten. Ein erstes Treffen mit der Hochschulleitung blieb laut VPOD ergebnislos. Von der ZHdK heisst es, man nehme die Kritik ernst.

Thomas Meier, Rektor ZHdK

Für Rektor Thomas Meier kommt sie zur Unzeit. Die Karriere des 62-jährigen Historikers neigt sich dem Ende zu, jetzt geht es um sein Erbe. Seit elf Jahren steht er der ZHdK vor, und eigentlich wäre nächsten Herbst Schluss. Doch seine Amtszeit wurde kürzlich auf Antrag der Zürcher Bildungsdirektorin Silvia Steiner unter Anwendung einer Ausnahmeklausel um zwei Jahre verlängert. Zuvor hatten sich DozentInnen in einem offenen Brief erstaunt gezeigt, dass die Nachfolge nicht geregelt werde. Bis zu seiner Pensionierung will Meier alle laufenden Grossprojekte vollenden, darunter eine weitere internationale Initiative.