Thomas D. Meier: «Mir sind die Frontlinien nicht klar»

Nr. 26 –

Der Rektor der Zürcher Hochschule der Künste (ZHdK) räumt Fehler in der Kommunikation ein – und weiss nicht so recht, woran sich der Unmut von Studierenden entzündet.

Thomas D. Meier, ZHdK-Rektor

WOZ: Offene Briefe in Serie, Protestaktionen im Vorfeld der Diplomausstellung: Thomas D. Meier, was liegt im Argen an der ZHdK?
Thomas D. Meier: Ich würde nicht sagen, dass grundsätzlich etwas im Argen liegt. Die Unruhe entstand an einem bestimmten Ort, beim Bachelorstudiengang Kunst und Medien, in dem seit zwei Jahren eine Reorganisation läuft. Die Studierenden haben erst spät gemerkt, was eigentlich passiert. Die Departementsleitung hatte sie im Herbst zu einer Vollversammlung eingeladen, um zu informieren, aber da ist kaum jemand erschienen. Offenbar war es schwierig, ein Bewusstsein dafür zu wecken, dass da etwas Wichtiges geschieht. Da sind sicher kommunikative Fehler passiert.

Studierende kritisieren das Vorgehen beim Umbau als überstürzt, unbedacht und unprofessionell. Was haben Sie falsch gemacht?
Überstürzt und unbedacht war das sicher nicht. Die Überlegungen zu dieser Neuausrichtung laufen seit drei Jahren, in Vorbereitung und Planung waren viele Dozierende und auch der Mittelbau involviert.

Aber unprofessionell?
In der Kommunikation zum Teil ja. Es hat sich gezeigt, dass man so etwas nicht einfach technisch durchziehen kann.

Ein Student hat dann den Mailverkehr zur Reorganisation an die Wand geklebt – eine Wandzeitung als künstlerische Institutionskritik. Wer hat angeordnet, die Arbeit zu entfernen? Und warum?
Gut, die Sache mit der künstlerischen Institutionskritik wurde erst nachgelagert formuliert.

Das ist ja immer so in der Kunst, dass die Deutung nachträglich erfolgt.
Joseph Beuys hat da ganze Arbeit geleistet mit seiner Erweiterung des Kunstbegriffs. Wir wussten ja nicht, wer der Urheber war, und haben erst ein paar Tage später erfahren, dass diese Arbeit in einem Lehrzusammenhang stand. Und sie hing im öffentlichen Teil der ZHdK, wo wir ein besonderes Auge darauf haben, was hängt. Wir waren also konfrontiert mit einer anonym gekleisterten Wandzeitung, bei der zudem nicht sicher war, ob nicht auch Persönlichkeitsrechte tangiert würden. Da fanden wir in der Hochschulleitung, dass man das auch entfernen kann.

Für Sie war das also eine Art künstlerisches Querulantentum?
Nein, grundsätzlich ist eine solche Kritik legitim. Wir brauchen einfach ein paar Regeln, was man in diesem Haus machen darf und in welcher Form. Wir haben das Haus mit einer sehr liberalen Haltung bezogen, weil wir schauen wollten, was passieren würde. Durch diesen Fall haben wir gemerkt, dass wir ein paar Dinge regeln müssen. Eine der Regeln, die wir jetzt etablieren werden, ist, dass es im öffentlichen Bereich keine freie Bespielung geben wird.

Im Vorfeld der Diplomausstellung gab es dann die Sprayereien im siebten Stock. Die Hochschulleitung kündigte darauf Disziplinarmassnahmen wegen Vandalismus an. Was ist der Stand der Dinge?
Unser Rechtsdienst wird ein Disziplinarverfahren gegen unbekannt einleiten. Wir wissen ja aktuell nicht, wer das war.

Was sind mögliche Konsequenzen?
Das ist in der Verordnung geregelt. Es kann ein Verweis sein, ein Verweis von der Hochschule oder auch die Überwälzung der Kosten für die Behebung des Schadens. Wir müssen ein Signal setzen, dass es eine Sorgfaltspflicht diesem Haus gegenüber gibt. Und eine Respektpflicht den anderen Nutzern gegenüber. In derselben Woche hatten wir einen Gang voller Scherben von einer künstlerischen Aktion von Studierenden – auf dem gleichen Stock, wo die Tänzerinnen und Tänzer arbeiten. Das ist respektlos. Wir wollen nicht alles verbieten, aber wir können auch nicht alles zulassen.

Der frühere Direktor des Cabaret Voltaire, Philipp Meier, hat Ihr Vorgehen als rein verwaltungstechnische Reaktion kritisiert. Von einer Kunsthochschule dürfe man erwarten, dass sie auf ein solches Engagement von Studierenden mit einem kuratorischen Ansatz reagiere.
Ich habe das auch gelesen und weiss nicht recht, was er damit meint. Wir reden den einzelnen Disziplinen so wenig drein wie möglich, die Hochschulleitung ist nicht dazu da, kuratierend einzugreifen. Wenn schon, wäre das Sache der Fachleute im Departement. Das verstehen die Leute schlecht, weil sie glauben, wer zuoberst sitzt, weiss auch alles. Ein interessantes Phänomen: Die Leute, die Hierarchiekritik üben, glauben selber am meisten an Hierarchien. Und wir sind nicht einfach eine Hochschule der bildenden Kunst. Das entsprechende Departement ist das kleinste im Haus.

Eigentlich könnten Sie ja sagen: Die Aktionen zeigen, dass die ZHdK nicht nur folgsame Kreative produziert, sondern auch widerständige Elemente, die nicht alles schlucken. Ein Leistungsausweis für die Hochschule!
Ja, das ist sicher ein Aspekt. Manchmal weiss ich einfach nicht so recht, was die Themen sind bei diesem Widerstand und wer der Gegner ist. Wir sind konfrontiert mit einer kleinen Gruppe von Studierenden, die anonym auftreten. Da sitze ich dann in deren Augen als Systemvertreter da, ohne zu wissen, was mit dem System tatsächlich gemeint ist. Mir sind auch die Frontlinien nicht klar, die da bespielt werden.

Eine der Frontlinien betrifft ja den Begriff «Creative Economies», den Sie gerne benutzen. Will sich die ZHdK als kreativer Aussenposten der Wirtschaftsfakultäten positionieren?
Nein, aber es gibt bei einzelnen Fragen Berührungspunkte. Die ZHdK forscht im Bereich der Kreativwirtschaft seit mehr als zehn Jahren und hat soeben einen neuen Kreativwirtschaftsbericht publiziert. Damit sind wir an die Öffentlichkeit getreten. Dabei geht es darum, den ökonomischen Raum zu untersuchen, in dem sich Leute, wie wir sie ausbilden, nach dem Studium bewegen. Das Problem an der Kreativwirtschaft ist, dass die Wertschöpfung nur zu einem geringen Teil den Kreativen zugutekommt. Wir haben auch eine Verpflichtung, darüber nachzudenken, wie der erwähnte ökonomische Raum verstärkt im Interesse unserer Absolvierenden gestaltet werden kann.

Dennoch: Bei vielen Studierenden kommen «Creative Economies» als neues strategisches Zauberwort der Hochschulleitung an. Auch nur ein Kommunikationsfehler?
Ganz und gar nicht. Wir wollen über unsere Forschungen ja berichten, auch im Bereich der Kreativwirtschaft. Diese Forschung geht unter anderem davon aus, dass unsere Absolvierenden ebenso als Teil der Wirtschaft betrachtet werden können wie andere Berufstätige. Das trägt zur Legimitation unserer Arbeit bei. Aber wir applizieren die Sprache aus der Debatte über die Creative Economies nicht auf die Institution.

Wenn Sie von Creative Economies oder der «kreativen Klasse» reden, sind das also einfach rhetorische Tools, um der Politik gegenüber Rechenschaft abzulegen?
Nein, das ist keine Rhetorik, das ist die international gebräuchliche Terminologie. Wenn Sie Rektor einer solchen Hochschule sind, sind Sie mit unterschiedlichsten Arten des Sprechens konfrontiert – je nachdem, mit wem Sie einen Diskurs führen. Für die einen wirkt die eine Sprache provokant, für die anderen eine andere. Sprayereien an der Wand provozieren die SVP, der Begriff «Creative Economies» provoziert die bildende Kunst. Aber «kreative Klasse» als Label für eine solche Schule? Nein, danke. Dagegen würde wohl auch ich eine Wandzeitung machen.

Der Historiker Thomas D. Meier, geboren 1958 in Basel, war Direktor der Hochschule der Künste in Bern. Seit 2009 ist er Rektor der ZHdK.