Kommentar von Andreas Fagetti: Der Milliardenklau der Krankenkassen

Nr. 41 –

Mit Geld, das den PrämienzahlerInnen gehört, haben die Krankenkassen riesige Reserven angehäuft. Wie kann das sein?

Die Schweiz unterhält nach den USA das zweitteuerste Gesundheitssystem der Welt. Anders als dort sind hierzulande aber grundsätzlich alle Menschen versichert und haben Zugang zum Gesundheitswesen. Der Trend geht allerdings in die falsche Richtung. Die Prämien steigen Jahr für Jahr und schmälern die Kaufkraft von GeringverdienerInnen und des Mittelstands. Gleichzeitig müssen sich die Versicherten auch immer stärker an den Behandlungskosten beteiligen: in einem Ausmass, das es in keinem anderen OECD-Staat gibt.

Und ein Ende ist nicht absehbar: Im vergangenen Jahr hat das Parlament eine weitere Erhöhung der Mindestfranchisen beschlossen. Die Kantone sparen seit Jahren bei den Prämienverbilligungen – manche gesetzeswidrig wie etwa der Kanton Luzern. Er senkte die Einkommensgrenzen von Familien für Prämienverbilligungen drastisch. Luzerner Familien klagten dagegen und erhielten vom Bundesgericht Recht. Freilich sind hier fast alle Kantone grenzwertig unterwegs.

Kostenmässig werden die Gesundheitsrisiken zunehmend individualisiert. Zahlreiche Personen, die wenig oder sogar durchschnittlich verdienen, können sich die Prämien kaum mehr leisten. Dabei ist genug, ja zu viel Geld im Krankenkassensystem. Die Kassen haben in den vergangenen Jahren trotz Kostensteigerungen im Gesundheitswesen enorme Reserven anhäufen können – über elf Milliarden Franken.

Die Krankenkassen gehören zwar nicht zu den Kostentreibern im Milliardenbusiness Gesundheit. Allerdings zeigen die hohen Reserven, dass auch sie den Versicherten zu viel aus der Tasche ziehen. Sie horten mehr als doppelt so viel wie gesetzlich vorgeschrieben. Wozu eigentlich? Diese Gelder sollen die Kassen vor Insolvenz oder vor hohen Risiken wie dem aktuellen Pandemiefall schützen. Der Pandemiefall ist tatsächlich eingetreten. Die Reserven sind deswegen nicht eingebrochen. Sie werden wahrscheinlich weiter steigen.

Die zu hohen Rücklagen sind nichts anderes als zu viel bezahlte Prämien. Daher müssten sie direkt den Versicherten zugutekommen. Der Schweizerische Gewerkschaftsbund forderte deshalb im Sommer den Abbau der Reserven; er wollte zur Stärkung der Kaufkraft in der Coronakrise 500 Franken pro Kopf zurückerstatten lassen und trug sein Anliegen ins Parlament. Der Vorstoss war chancenlos. Man kann sich über den Sinn einer solchen schnell verpuffenden Einmalzahlung streiten; die zu viel bezahlten Prämien machen allerdings eines deutlich: Es gibt Spielraum für ein geringeres Prämienwachstum – ja gar für Prämiensenkungen. Das hätte auch Signalwirkung beispielsweise für die preistreibende Pharmaindustrie und deren LobbyistInnen. Ein Pseudomarkt aus 57 Kassen ist jedenfalls keine Lösung, wenn der Preis nur eine Richtung kennt: nach oben.

Dafür, dass öffentlich-rechtliche Versicherungen gut und effizient wirtschaften, gibt es ein Beispiel: die Suva. Sie garantiert den obligatorischen Versicherungsschutz für Berufstätige und Arbeitslose gegen Unfälle und Berufskrankheiten. Allfällige Gewinne gibt sie in Form von tieferen Prämien an die Versicherten zurück.

Dass das Krankenkassenwesen sich ähnlich organisiert, etwa in Form einer öffentlich-rechtlichen Einheitskasse, und sich von der unsozialen Kopfprämie verabschiedet, ist (noch) nicht absehbar. Doch kommt immerhin etwas Bewegung in die Frage der zu hohen Reserven. Der Bundesrat will die Regelungen zur Reserveverwendung lockern und hat die entsprechende Verordnung in die Vernehmlassung gegeben. Allerdings überlässt er es auch künftig den Kassen, wie sie die Gelder verwenden. Hier muss er nachbessern und die Reserveverwendung verbindlich regeln.

Im aktuellen und im nächsten Jahr ist das Prämienwachstum im Schnitt zwar moderat – aber was heisst das schon bei den enorm hohen Kopfprämien?