Sinéad O’Connor: «Ich bin sehr mürrisch»

Nr. 41 –

Seit ihrem Welthit «Nothing Compares 2 U» gingen Leben und Karriere von Sinéad O’Connor durch zahlreiche Turbulenzen. Kurz vor dem Lockdown war die irische Sängerin wieder mal zu einer Welttournee aufgebrochen. Nun lässt sie sich zur Pflegerin ausbilden.

Sinéad O’Connor versucht nicht zu verbergen, dass sie wenig Lust auf dieses Telefongespräch hat – sie spricht kurzsilbig und monoton, gibt wenig preis. Im Vorfeld liess sie ausrichten, dass sie über zwei Themen nicht sprechen wolle: ihre psychische Gesundheit und den Islam. Anfang Jahr war sie in einer irischen Talkshow im feuerroten Hidschab aufgetreten und hatte erklärt, dass sie schon immer Muslimin gewesen sei: Das habe sie verstanden, als sie den Koran gelesen habe. Vergangenen Freitag veröffentlichte sie erstmals seit 2016 wieder einen Song: eine Version von «Trouble of the World», 1959 berühmt gemacht von der US-Gospelsängerin Mahalia Jackson. Den Song widmete O’Connor, die sich während ihrer Karriere immer wieder politisch geäussert hat, der Black-Lives-Matter-Bewegung.

WOZ: Sinéad O’Connor, wie geht es Ihnen?
Sinéad O’Connor: Mir gehts sehr gut, danke. Ich bin seit zwölf Tagen in Quarantäne, weil wir in London waren, um ein Video für meinen neuen Song zu drehen.

Ihre Version von «Trouble of the World» klingt noch düsterer und hoffnungsloser als die von Mahalia Jackson. War das Absicht?
Ich verstehe, wieso es so wirken kann, es ist ein elendes Lied. Aber ich lese es anders. Es handelt von der Sicherheit, dass das Paradies kommen wird. Wie viele elende Lieder ist es auch wunderschön. «Nothing Compares 2 U» ist ja auch eines davon.

Was hat das Lied für Sie mit den Protesten in den USA zu tun?
Ich wollte den Song sowieso für mein kommendes Album aufnehmen. Erst als ich ihn sang, realisierte ich, wie gut er passt. Darin gibt es die Zeile «Ich will meine Mutter sehen», und auch George Floyd hat seine Mutter angerufen, als er im Sterben lag. Der Song handelt davon, dass das Leiden bald enden und alles schön sein wird. Es geht ums Sterben, aber eigentlich geht es ums Leben – darum, dass die Menschheit an einen glücklichen Ort gelangt.

Verfolgen Sie die US-Politik?
Seit der Wahl von Obama verfolge ich sie 24 Stunden am Tag, ich schaue nichts anderes als amerikanisches CNN.

Wann waren Sie letztmals dort?
Im März, ich war gerade am Anfang einer einjährigen Welttournee. Zwei Tage vor dem Lockdown bin ich abgereist.

Wieso beschäftigt die US-Politik Sie so stark?
Ich weiss nicht … Ich liebe Amerika einfach. Amerika ist neben Belfast mein Lieblingsort. Ich wünschte, ich wäre dort geboren worden.

Beschäftigt Sie der miserable Zustand des Landes?
Klar. Aber ich weiss, dass es gut kommen wird. Vor der Dämmerung kommt die dunkelste Stunde, darin befinden wir uns gerade. Manchmal müssen wir an den Rand der Dunkelheit geführt werden, um zu realisieren, dass wir leben wollen. All der Faschismus, Rassismus und Fanatismus war immer da, blubberte jahrelang unter der Oberfläche. Dass das jetzt alles hervorkommt und wir darüber reden, ist auch ein Segen. Es ist die einzige Art, wie wir es loswerden.

Können Sie etwas von Ihrem kommenden Album erzählen?
Ich kann nur sagen, dass David Holmes es produziert und wir etwa die Hälfte davon aufgenommen haben. Fünf Songs muss ich noch schreiben. Mein Schreibprozess ist sehr langsam. Es passiert immer wieder, dass ich beim ersten Refrain stecken bleibe.

Schreiben Sie politische Songs?
Nein. Bis jetzt nicht.

Sie mussten Dutzende Konzerte auf nächstes Jahr verschieben, doch wie der Konzertbetrieb dann aussehen wird, weiss niemand. Verunsichert Sie das?
Ja, sehr. Auch finanziell.

In einem Interview haben Sie erzählt, dass Sie diesen Herbst ein Studium zur Gesundheitsfachkraft beginnen wollen. Hat das auch finanzielle Gründe, dass Sie sich auf einen neuen Job vorbereiten?
Ein bisschen, ja. Ich brauche etwas, auf das ich zurückgreifen kann. Ich bin jetzt 53, und ich will nicht mehr touren, wenn ich verdammt noch mal 74 bin. Als Musikerin kann man heute nur noch mit Konzerten seinen Lebensunterhalt verdienen, und ich will davon nicht mehr abhängig sein.

Palliativpflegerin zu werden, ist offenbar schon lange ein Wunsch von Ihnen?
Seit ich etwa vierzehn bin, würde ich gerne mit sterbenden Menschen arbeiten. Es macht mir auch Angst, aber es fühlt sich wie eine Berufung an. Ich würde gern mit Menschen arbeiten, die einsam sind und Angst haben. Ich glaube, ich kann gut damit umgehen.

Was können Sie diesen Menschen geben?
Das werde ich im Studium herausfinden. Manchmal kann man tröstend wirken, nur durch seine Anwesenheit. Das gelingt mir längst nicht immer, ich bin eine sehr mürrische Person.

Hat Ihre Entscheidung mit Corona zu tun?
Nein. Die einzige Verbindung zwischen meinem Studium und der Krise ist, dass ich ein Jahr frei habe, weil ich nicht touren kann.

Sie haben sich öffentlich über Coronaskeptiker aufgeregt, die keine Masken tragen oder an Demos Ihre Songs verwenden.
Die Leute haben das Recht, zu protestieren; aber dabei keine Maske zu tragen, macht sie zu potenziellen Massenvernichtungswaffen. Das sind Idioten, die sich nicht übers Thema informiert haben. Die sollten mal in einem Spital schauen, was dort tatsächlich passiert.

Wann haben Sie letztmals protestiert?
Oh Gott … als ich etwa 21 war. Ausser natürlich mit Dingen, die ich als Künstlerin gemacht habe. Wie 1992, als ich im Fernsehen ein Foto des Papstes zerrissen habe.

Fühlen Sie sich verpflichtet, sich als Künstlerin politisch zu positionieren?
Nein, überhaupt nicht.

Trotzdem tun Sie es.
Viele Leute wollen Teil von politischen Bewegungen sein, aber sie wissen nicht, wie, oder können nicht. Also braucht es andere Arten der Teilnahme. Musik kann ein Weg sein, politische Emotionen auszudrücken.

Sie haben schon mehrmals das Ende Ihrer Karriere angekündigt. Ist das nächste Album Ihr letztes?
Ich weiss nicht. Ich habe nicht vor, aufzuhören. Aber ohne Musik könnte ich gut leben.

Die Radikale

Sinéad O’Connor wurde 1966 in der Nähe von Dublin geboren. Nachdem sie von der Schule geflogen war, steckte man sie in ein katholisches Internat, das sie mit sechzehn verliess, um Musikerin zu werden. 1987 erschien ihr erstes Album, 1990 wurde sie mit einem Cover des Prince-Songs «Nothing Compares 2 U» weltweit bekannt. Ihr Auftritt mit kahl geschorenem Kopf und Rollkragenpullover wirkte damals radikal.

Mit ihren Aktionen löste sie immer wieder Kontroversen aus: 1992 zerriss sie in der US-Comedy-Sendung «Saturday Night Live» ein Foto des Papstes, um gegen Kindesmissbrauch in der katholischen Kirche zu protestieren, 1996 liess sich Sinéad O’Connor in Frankreich zur Priesterin weihen.

2015 schrieb sie auf Facebook, dass sie sich umbringen wolle, 2018 konvertierte sie zum Islam und nahm den Namen Shuhada Sadaqat an.