Kinderbetreuung: Ein Hort meistert die Krise

Nr. 43 –

Die Winterthurer Tagesstätte Wartstrasse muss in der Pandemie vielen Ansprüchen genügen. Sie muss die Eltern entlasten, für die Kinder da sein – und das Virus aussperren. Das gelingt erstaunlich gut.

«Eine Wertschätzung über höhere Löhne wäre nun wirklich angezeigt»: Betreuungsleiter Marcus Bumba im Hort Wartstrasse.

«Wenn wir Erwachsenen reden, dann spucken wir manchmal ein bisschen. Da könnten Viren mitkommen», sagt Marcus Bumba. «Und wenn diese Viren in euer Essen gelangen, wäre das ja voll grusig.» Rund zwanzig Paar Kinderaugen sind auf den 28-Jährigen gerichtet, manche nicken, andere rümpfen theatralisch die Nase.

«Wenn wir euch nachher Essen schöpfen, werden wir deswegen Masken anziehen» – für einen Moment ist es an den vier im Raum verteilten Esstischen fast still. Hier im Erdgeschoss essen die Jüngeren, Kindergarten bis erste Klasse. Die Älteren bis zur sechsten Klasse nehmen den Zmittag im ersten Stock zu sich. Auch ihnen erklärt eine Betreuerin die Änderungen, die nun nach den Herbstferien anstehen.

«Okay, dieser Tisch fängt an», sagt Bumba, und augenblicklich geht der Trubel wieder los. Heute gibt es Nudeln mit Fleisch und davor einen Salat mit Gurken. Früher durften die Kinder hier im Hort Wartstrasse ihr Essen selber schöpfen. Seit Ausbruch der Coronapandemie kümmern sich die BetreuerInnen darum – seit diesem Montag mit Masken.

Viel wurde geschrieben und berichtet über Kinderhorte und Kitas während der Pandemie, im Lockdown und danach. Im Vordergrund standen dabei meist die Probleme, mit denen viele Einrichtungen zu kämpfen haben: tiefer Lohn, fehlende Kompensationen, Kurzarbeit und Überbelastung. Dass die Zusammenarbeit zwischen Stadt, Schulbezirk und Institutionen aber auch funktionieren kann, zeigt sich hier an der Wartstrasse.

Der Hort liegt im Winterthurer Stadtteil Wülflingen, zwischen den beiden Schulhäusern Erlen und Talhof. Auch Kinder aus angrenzenden, integrativen Sonderschulen kommen hierher. Wartstrasse ist ein Mittags- und Nachmittagshort, die Betreuung dauert von 12 bis 18 Uhr, wobei die Kinder am Nachmittag meist zurück in den Unterricht gehen. Am Abend sollten die Eltern als Schutzmassnahme draussen auf die Kinder warten. Kommen sie doch herein, gilt für sie eine generelle Maskenpflicht.

Die Kinder haben sich mittlerweile daran gewöhnt, dass alles etwas anders ist. Die Journalistin in der Ecke begrüssen sie wie selbstverständlich mit Ellenbogengruss, manche halten sich zudem beim Reden etwas unbeholfen die Hand vor den Mund.

Homeoffice im Hort

Insgesamt acht Personen arbeiten in unterschiedlichen Pensen an der Wartstrasse, Gruppenleitungen, BetreuerInnen, ein Auszubildender und eine Mittagsassistenz. Vlora Jasharli (54) ist Betreuerin im Hort. Am Vormittag, als die Kinder noch in Schule und Kindergarten sind, steht sie in der Küche und schneidet Gurken für den Mittagssalat. Geradezu apokalyptisch sei es gewesen, als sie an den ersten Tagen des Lockdowns im März frühmorgens in den Hort fuhr und die Bahnhöfe und Strassen menschenleer vorfand. Der Hortalltag während des Lockdowns begann bereits am frühen Morgen, um den Kindern von Eltern in systemrelevanten Berufen einen geregelten Alltag zu ermöglichen. «Notbetreuung» hiess das.

«Am Freitag vor dem Lockdown schaute ich die Pressekonferenz, und da wusste ich, es kommt etwas auf uns zu», erinnert sich Hortleiter Bumba. «Das Wochenende war sehr arbeitsintensiv, ich las die Schutzkonzepte durch, kümmerte mich um die Personalplanung, sammelte die ganzen Anmeldungen für die Notbetreuung.» Und dann, am ersten Montag nach Bekanntgabe des Lockdowns, kam kein einziges Kind, zu gross war die Unsicherheit darüber, ob und wie der Hort überhaupt offen sein würde, erinnert sich Bumba.

Vom 18. März bis zum 11. Mai dauerte diese Notbetreuung, die dann bis Mitte Juni zu einer Notbetreuung plus ausgeweitet wurde. «Es gab Tage, an denen nur ein Kind da war, und an anderen vielleicht vier.»

Der Lockdown sei auch für die Angestellten nicht einfach gewesen, sagt Bumba, aber weil die Institution städtisch ist, gab es wenigstens keine Kurzarbeit: «Als nur wenige Kinder da waren, machten die überzähligen Angestellten Homeoffice.» Für die HortarbeiterInnen bedeutet das: Pläne und Konzepte erstellen, sich weiterbilden, an der Raumplanung tüfteln.

«Dass wir ohne Kurzarbeit oder Entlassungen durch diese Zeit gekommen sind, ist ein Privileg», sagt Bumba. Und: «Das Ansehen für unseren Beruf und das, was wir während der Krise leisten, ist im Privatbereich aus meiner Sicht gestiegen.» Politisch sei aber bis heute nicht viel passiert. «Ich finde es ja schön, dass man an die Pflege- und Sozialberufe denkt, aber eine Wertschätzung über höhere Löhne wäre nun wirklich angezeigt», sagt Bumba.

Kein Zähneputzen mehr

Die Betreuerin und Gruppenleiterin Olivia Schläpfer (31) arbeitet erst seit Februar an der Wartstrasse. «Ich kenne die Normalität vor Corona eigentlich gar nicht», sagt sie. «Es war ein Sprung ins kalte Wasser.» Doch erkennt Schläpfer auch positive Aspekte: «Durch die Notfallbetreuung hatte ich mehr Zeit, die Kinder kennenzulernen.» Am Anfang hätten es die Kinder toll gefunden, die Aufmerksamkeit der Betreuenden und die Spielsachen nicht teilen zu müssen. «Doch schon bald vermissten sie ihre Freunde», erzählt Schläpfer. Der Alltag hatte sich verändert, der gewohnte Rhythmus war gestört. «Die Dynamik unter den Kindern fehlte merklich», sagt Betreuerin Vlora Jasharli.

Als die erste Welle abflachte und die Verantwortung für Sozial- und Bildungsinstitutionen an die Kantone überging, erarbeitete das Volksschulamt Zürich die wichtigsten Leitplanken, auf deren Basis die Stadt ein Schutzkonzept verfasste. Zu den Änderungen bei der Essensausgabe und der Maskenpflicht für Eltern und externe Personen kam, dass das Zähneputzen nach dem Mittagessen eingestellt werden musste.

Das Winterthurer Schutzkonzept für Horte ist aber dehnbar: Rituale, die wichtig sind für die soziale und psychische Entwicklung der Kinder, dürfen beibehalten werden. Hierzu gehören etwa gewisse Begrüssungsrituale, ein High Five oder eine Umarmung zwischendurch.

Es ist ein dauerndes Abwägen zwischen dem Infektionsrisiko, den amtlichen Vorgaben und dem Wohl der Kinder. Bumba arbeitet ständig an der Balance: «Die Kinder lässt es ja nicht kalt, was um sie herum passiert. Wir müssen immer wieder überprüfen, ob wir das Richtige tun.»