Koloniale Geschäfte: Appenzeller Plantagen in Indonesien

Nr. 45 –

Lange im Depot versorgt, gibt ein Fotoarchiv Einblicke in den Schweizer Kolonialhandel nach 1850. Das Archiv ist Teil der neu aufgearbeiteten ethnografischen Sammlung im Museum Heiden.

Zu Füssen der Herren: «Schweizer-Ausflug nach der Insel Edam» – nördlich des heutigen Jakarta. Foto: Privatsammlung E. Bebié

Schlicht «Museum» steht in Goldbuchstaben über dem Hauseingang mitten im Appenzeller Dorf Heiden. Das kleine Museum, das in den oberen Stockwerken des Hauses eingerichtet ist, wurde 1859 gegründet und beherbergt eine vielgestaltige Exponatensammlung. Nebst ausgestopften einheimischen Tieren und historischen Einrichtungs- und Haushaltgegenständen aus der Gegend zeigt das Museum diverse Artefakte aus dem heutigen Indonesien: Waffen, Hüte, Stoffe, eine ausgestopfte Python, die gemäss Infotafel 1896 lebendig in Heiden ankam, ihren ersten Winter dort aber nicht überlebte. Appenzeller Handelsreisende, die in Südostasien auf den Spuren niederländischer Kolonialherren Geschäfte machten, hatten die Objekte in die Heimat zurückgebracht.

Schweizer Söldner

Der in Amsterdam lebende Kolonialhistoriker Andreas Zangger hat mit Ralph Harb, dem Kurator des Museums von Heiden, eine Aufarbeitung dieser Sammlung unternommen, die als Spezialausstellung und in Buchform nun auch dokumentiert ist. Kernstück: vier rekonstruierte Biografien von Appenzeller Auswanderern, die in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts hauptsächlich auf den Inseln Java und Sumatra Plantagen, Stoffhandel und Minen betrieben.

Oder wie Zangger kürzlich in einem Vortrag im Kursaal Heiden erklärte: Die Schweiz besass zwar keine eigenen Kolonien, profitierte aber von den kolonialen Strukturen, die andere europäische Mächte in Südostasien gewaltsam implantiert hatten. Krieg und Handel waren verzahnt. Zangger zeigt auf, wie sich auch junge Schweizer als Söldner – dies allerdings wenig lukrativ – im niederländischen Heer verdingten und so Teil der militärischen Eroberung und «Sicherung» der kolonialisierten Zonen waren. Es entstand ein global ausgreifendes Handelsnetz, das schnellen Reichtum verhiess, gerade für die Söldner aber oft auch rasches Verderben.

Südostasien war nicht zuletzt ein Abenteuerversprechen für junge Appenzeller, denen die Schweiz zu eng war. Abenteuer und gestilltes Fernweh für einige wenige bedeutete Leid für viele andere: Die Einheimischen wurden unter oft unmenschlichen Umständen und Verträgen als Arbeitskräfte ausgebeutet. Die Frauen dienten als Haushaltshilfen und oft auch als rechtlose Konkubinen der weissen Herren.

Damals schon Unrecht

Wie ist die Schweiz ohne eigene Bodenschätze so reich geworden? Bei der Suche nach Antworten stösst man in Heiden auf das vieldeutige Stichwort «Fremdenverkehr». Der Wohlstand kam zu grossen Teilen aus dem Handel und Austausch mit der weiten Welt. Und zwar nicht nur, indem das Dorf im 19. Jahrhundert eine florierende Tourismusdestination war – mit direkter Zugverbindung nach Berlin. Auch die Appenzeller selbst verkehrten als fremde Herren in Südostasien und als Player im globalen Welthandel.

Etwa Johann Traugott Zimmermann-Sonderegger (1845–1918): Mit neunzehn Jahren zog er nach Batavia (heute Jakarta) und arbeitete dort in europäischen Handelshäusern, bis er als Financier und Manager von Goldminen reich wurde. 1909 kehrte er endgültig nach Heiden zurück. Unter seinen Mitbringseln befand sich auch eine Fotosammlung, die damals mangels Interesse – die Sujets waren nicht «exotisch» genug – im Depot verschwand und nun als einzigartiges Zeitdokument neu entdeckt wird. Zusammen mit dem einheimischen P. Najoan hatte Zimmermann das Leben der AuswanderInnen, Arbeitsszenen in Minen, aber auch Strassenszenen in Batavia fotografiert. Besonders einige Gruppenfotos sind aufschlussreich. Die fotografische Technik und ihre Kleidung lassen die Weissen auf diesen Bildern noch weisser strahlen. Untergebene Einheimische kauern am Boden, teils dicht gedrängt, stets von den Kolonialherren überragt. Auf den wenigen Fotos, auf denen ausschliesslich indigene Menschen zu sehen sind und die vermutlich von Najoan stammen, sind Haltung und Blicke der Abgebildeten komplett anders: selbstbewusster, entspannt.

Die AppenzellerInnen nahmen im kolonial segmentierten Land ganz selbstverständlich einen Oberschichtshabitus an, traten als Herrenmenschen auf, was nicht so recht zur urdemokratischen Schweizer Haltung passen will. Und einmal mehr staunt man, wie mühelos sich das schweizerische Neutralitätsdogma mit kolonialem Gebaren und Geschäften vereinbaren liess.

Das Fremde bleibt eine Vorstellung, wie Zangger im reichhaltigen Katalog präzise schreibt: Die abgebildeten Indigenen sind weitgehend eine Projektionsfläche ohne eigene Geschichte, während diejenige der Appenzeller AuswanderInnen reich ausgebreitet wird.

Bei Andreas Zanggers Vortrag im Kursaal Heiden, wo sich familiäre Ahnengalerien von Anwesenden mit den historischen Recherchen der ExpertInnen überlagern, ist man sich uneins, ob mit den Standards von heute über die AppenzellerInnen von damals geurteilt werden kann. Eine moralische Verurteilung allein bringt kaum weiter. Doch der Historiker Hans Fässler weist zu Recht darauf hin, dass Unrecht und Verbrechen gegen die Menschlichkeit schon damals Unrecht waren – und auch als solches wahrgenommen wurden.

Andreas Zangger und Ralph Harb: «Ferne Welten, fremde Schätze». Edition Clandestin. Biel 2020. 188 Seiten. 42 Franken. Ausstellung noch bis Ende März 2021 im Museum Heiden. www.museum-heiden.ch