Corona-Impfung: Eine Frage mit Sprengpotenzial
Dürfen Beizen und Fluggesellschaften künftig nur denjenigen Zutritt gewähren, die sich gegen das Coronavirus haben impfen lassen? Eine juristische Antwort – und eine ethische.
Die Impfkampagne gegen Covid-19 ist angerollt. Bis im Sommer, so der Plan des Bundes, soll die gesamte impfwillige Schweizer Bevölkerung die Schutzimpfung erhalten haben. Damit soll das zermürbende Wechselspiel aus Lockdowns und Lockerungen zu Ende gehen. Ob der Plan aufgeht, ist offen. Die Impfskepsis in der Bevölkerung ist derzeit noch gross. Ende November wollten sich laut einer Tamedia-Umfrage bloss sechzig Prozent impfen lassen.
Was geschieht, wenn ein namhafter Teil der Bevölkerung geimpft ist und ein nur wenig kleinerer Teil nicht, ist ein Szenario, das dem Bund, aber auch Juristinnen und Ethikern Kopfzerbrechen bereitet. Braucht es auf unabsehbare Zeit strenge Schutzkonzepte? Oder verschafft ein sogenannter Immunitätsausweis jenen Zugang zu Restaurants, Flugreisen und Festivals, die sich haben impfen lassen? Es ist eine hochexplosive Frage für eine Gesellschaft, die sich in der Pandemie längst wund gelaufen hat.
Klar ist: Sich impfen zu lassen, bleibt von Staates wegen freiwillig. Doch im Privaten dürfen Coiffeure, Wirtinnen oder Veranstalter frei entscheiden, ob sie Leuten den Zutritt verweigern, die keine Impfung vorweisen können. Es gelte das Prinzip der Privatautonomie, erklärt das Bundesamt für Justiz auf Anfrage: «Solange nichts anders geregelt ist, hat jede und jeder die Freiheit, zu entscheiden, mit wem man einen Vertrag abschliessen will.»
Zumutbare Alternativen?
Allerdings hat das Bundesgericht diese Autonomie verschiedentlich eingeschränkt. So kann ein privates Unternehmen zum Abschluss von Verträgen verpflichtet sein, wenn etwa für die KundInnen keine zumutbaren Ausweichmöglichkeiten bestehen und sich die Verweigerung der Leistung nicht mit sachlichen Gründen rechtfertigen lässt. Unter diesen Voraussetzungen wäre es rechtswidrig, einen Impfpass zu verlangen. Bei Restaurants etwa bestehen Ausweichmöglichkeiten, weil man sich genauso gut zu Hause oder mit Take-away verpflegen kann. Bei einer Bergbahn ist das schon anders. «Ein sachlicher Grund liegt vor, wenn die Impfung Personal und Gäste vor einer Infektion schützt», sagt Bernhard Rütsche, Professor für Öffentliches Recht und Rechtsphilosophie an der Universität Luzern. Eine rechtlich relevante Diskriminierung kann Rütsche grundsätzlich nicht erkennen, weil der Ausschluss nicht von persönlichen Merkmalen wie Herkunft, Geschlecht, Alter oder Religion abhängt. Auch der Staatsrechtler Felix Uhlmann betont die Freiheit der Unternehmen. Eine Einschränkung sieht er aber bei Menschen, die aus medizinischen Gründen nicht geimpft werden können, etwa schweren AllergikerInnen: «Hier könnte ein Ausschluss dem Behindertengleichstellungsgesetz widersprechen.»
Doch so eindeutig ist die juristische Lage nicht. Dürfen KundInnen ausgeschlossen werden, die noch gar keine Möglichkeit hatten, sich impfen zu lassen, weil der Impfstoff knapp ist? Rütsche wägt lange ab, dann legt er sich fest: «Sie dürfen.» Der Jurist verweist auf die Fluggesellschaft Qantas, die bereits beschlossen hat, nur Geimpfte an Bord zu lassen. Und wie schaut es aus, wenn man sich mit der Impfung nur selber vor einer Erkrankung schützen, andere aber immer noch anstecken kann? «Dann gibt es keinen sachlichen Grund mehr, den Zugang zu einer Dienstleistung von einer Impfung abhängig zu machen», sagt Rütsche, «das wäre dann willkürlich und problematisch.» Für Rütsche braucht es nun dringend klärende Worte des Bundesamts für Justiz. Dort will man mit «allgemeingültigen Antworten» abwarten, bis ebendiese Frage geklärt ist: ob die Impfung auch vor der Weitergabe des Virus schützt.
Der Anspruch der Gefährdeten
Dass der Impfausweis in den kommenden Monaten zur universellen Eintrittskarte wird, ist dennoch eher unwahrscheinlich. Die Fluggesellschaft Swiss erklärt auf Anfrage, ein verbindlicher Impfnachweis sei «aktuell kein Thema». Der Verband Gastrosuisse lehnt eine Impfpflicht kategorisch ab. Keinesfalls dürfe ein Impfschutz Zugangskriterium werden: «Dies würde unseren Gastgebern eine Rolle aufdrängen, die sie unmöglich erfüllen können.» Der Verband der Konzertveranstalter SMPA hält sich eine Hintertür offen: «Eine solche Regelung könnte dereinst eine von verschiedenen Massnahmen sein, auch wenn wir weiteren Auflagen und Zwängen sehr kritisch gegenüberstehen.»
Die Frage, ob sich mit dem Impfausweis Türen öffnen lassen, ist nicht nur eine juristische oder merkantile, sie ist auch eine ethische. Für Peter Schaber, Professor für Angewandte Ethik an der Universität Zürich, ist die Antwort eindeutig: Zulassungsbeschränkungen sind legitim. «Ich habe als gefährdete Person einen Anspruch darauf, vor Gefährdungen, die sich vermeiden lassen, geschützt zu werden», begründet er seine Haltung. Es gehe deshalb nicht um Privilegien für die, die sich impfen lassen, sondern ausschliesslich um die Verhinderung von vermeidbaren Gefährdungen Dritter. «Die Menschen können mit ihrer Gesundheit machen, was sie wollen. Sie dürfen dabei aber andere nicht in Mitleidenschaft ziehen.»