In eigener Sache: Im Jahr der Kurve

Nr. 52 –

Komplexe Fragen, verflixte Technik: Die WOZ konnte das Coronajahr 2020 erfolgreich meistern.

Liebe Leserin, lieber Leser

Es ist geschafft: Auch die 52. Ausgabe der WOZ ist gedruckt und ausgeliefert. Alles andere als eine Selbstverständlichkeit in diesem Jahr der ständigen Unwägbarkeiten, weshalb unser Dank zuerst all jenen gilt, die nie mit ihrem Namen in der Zeitung erscheinen und die sich auch nicht ins sichere Homeoffice abmelden konnten: unseren DruckerInnen, den MitarbeiterInnen bei der Post und dem Verkaufspersonal am Kiosk.

Wie produzieren wir eine Zeitung während der Pandemie? Der Lockdown, der Mitte März ausgerufen wurde, stellte uns wie viele Betriebe vor eine Herausforderung: Wir erarbeiteten Einsatz- und Notfallpläne, unsere IT verlagerte die Produktion so weit wie möglich ins Netz. Von einer kürzeren Phase im Sommer abgesehen, arbeitet die Redaktion seither von zu Hause aus. Sitzungen finden im BBB statt, unserem abhörsicheren Webkonferenzsystem, dessen schnarrender Begrüssungssatz zur allgemeinen Stimmung passt: «You are currently the only person in this conference», du bist gerade alleine hier.

Krisenbewältigung, das zeigt sich nicht nur in der Politik, ist vor allem ein Verständigungsproblem: Wer hat was gesagt? Und vor allem: Wie war das schon wieder gemeint? Nach Monaten des Ein- und Ausloggens haben wir das kollektive WOZ-Diskussionsniveau zumindest wieder halbwegs erreicht. Einfach aber ist das Zeitungmachen nicht.

Guter Journalismus entsteht aus einem Wechselspiel von Nähe und Distanz. Mit einem generellen Abstand von zwei Metern wird er nur selten lebendig. Reportagen und Porträts sind schwierig zu realisieren. Kein Wunder, hat sich in diesem Jahr als Darstellungsform die Kurve durchgesetzt, mit der täglich die Infektionszahlen erfasst werden. Wir haben uns bemüht, die menschlichen Schicksale hinter der Statistik zu erzählen: die von Erkrankten wie die von Pflegenden, die von GastronomInnen, Kulturschaffenden oder SexarbeiterInnen.

Ein Schwerpunkt unserer Berichterstattung liegt auf der Verteilungsfrage. Wer bezahlt den Preis für die Massnahmen zur Coronabekämpfung? Und wer profitiert? Wichtig sind uns auch Fragen von Überwachung und Kontrolle in Zeiten des Notstands: sei es beim Armeeeinsatz oder bei der Contact-Tracing-App. Auch interessiert uns, wie sich der Zwang zur Distanz im Kultur- und Alltagsleben auswirkt, etwa auf das Körpergefühl. Und welche Utopien lassen sich in einer Pandemie denken?

Einer der im wörtlichen Sinn lukrativsten Primeurs in der Geschichte der WOZ war wohl die Veröffentlichung der gescheiterten Medienunterstützung im Bundesrat, worauf sie prompt durch das Parlament erfolgte. Wir recherchierten dies selbstverständlich für unsere Branche – die Unterstützungsgelder haben aber auch unserem Betrieb geholfen, die Inseratekrise zu meistern. Hinzu kam – auch dank unserer Gratisaktion «Alle Texte für alle» – eine hohe Zahl von Abobestellungen, die von unserem Verlag zuverlässig bearbeitet wurden. Das steigende Interesse an der WOZ ist ein Ansporn für unsere Arbeit.

Überhaupt war der Kontakt zu unseren LeserInnen in diesem Jahr so stark wie nie. Neben positiven Rückmeldungen haben uns auch Zuschriften erreicht, die den Kurs der Zeitung als zu wenig kritisch empfanden. Doch was verstehen wir unter «kritisch»? Einen Journalismus, der sich nicht bloss im Gestus kritisch gibt, sondern seine Kritik mit Quellen belegt. Einen Journalismus, der die Wahrheit nicht für sich pachtet, sondern eine Suchbewegung ist, gerade bei emotionalen Themen wie dem Impfen: So haben wir sowohl potenzielle Risiken des Impfens beleuchtet wie auch den zweifelhaften Hintergrund mancher Impfkritik. In dieser Ausgabe gehen wir unter anderem der globalen Verteilung der Impfstoffe nach. Der Massstab für unsere Kritik an den Massnahmen bleibt, wie solidarisch sie für alle wirken.

Auf einen Moment freuen wir uns schon jetzt, und Sie sich bestimmt auch: wenn wir nicht mehr dauernd über Corona schreiben müssen. Und uns, bei aller Liebe zur Technik, wieder persönlich treffen können. Für etwas haben wir über den Sommer schliesslich unsere Redaktionsräumlichkeiten renoviert. Auch das war nur dank Ihrer Unterstützung möglich. Ganz herzlichen Dank – und schon jetzt ein gutes, ein besseres neues Jahr!

Das WOZ-Kollektiv