Auf allen Kanälen: Mehr als lügen

Nr. 1 –

Vor seinem Abgang aus dem Weissen Haus zieht Donald Trump nochmals alle Register: mal als Mafiaboss, mal als Psychoterrorist.

«Ich habe gewonnen.» «Manipulierte Wahl!» «GRÖSSTER WAHLBETRUG IN DER GESCHICHTE UNSERES LANDES!!!» Hätten wir darauf gefasst sein müssen, dass das twitternde Irrlicht im Amt des US-Präsidenten nach seiner Abwahl Anfang November noch einen draufsetzen würde? Und dies ausgerechnet im Lügendepartement, wo er sich seit vier Jahren austobt wie kein Amtsinhaber vor ihm?

Vermutlich schon. Auf Englisch heisst die Technik «Gaslighting». Sie stammt aus einem Theaterstück von 1938; breit bekannt geworden aber ist der Psychoterror 1944 dank des Films «Gaslight» (deutsch: «Das Haus der Lady Alquist») von George Cukor. Der Plot: Ein frisch verheirateter Mann treibt seine Gattin (Ingrid Bergman) mit durchtriebenen Psychomanipulationen in den Wahnsinn. Er lässt Dinge verschwinden, schraubt an der Gasbeleuchtung im Haus herum, manipuliert ihre Wahrnehmung, wo er nur kann. All das, um ihr systematisch das Vertrauen in den eigenen Verstand zu entziehen, bis sie diesen beinahe ganz verliert.

Böses Lichtspiel

Wer den Film heute schaut, staunt. Denn je länger Charles Boyer als diabolischer Bösewicht seine Frau quält und hinters Licht führt, desto deutlicher ähnelt er Trump mit seinem typischen Gesichtsausdruck irgendwo zwischen blasiertem Tycoon und bösem Clown. Und genau wie der Psychogatte in «Gaslight», der am Ende nicht nur seine Frau kontrollieren, sondern vor allem ein paar kostbare Juwelen ergaunern will, changiert auch Trump ständig zwischen Mobber und Mobster. Im Scheinwerferlicht der eigenen Götterdämmerung verschärft Trump gerade seit Wochen beides: sein Mafiagehabe – wie auch sein Telefonanruf zeigt, in dem er den Wahlleiter von Georgia unter Drohungen auffordert, 11 780 Stimmen zu seinen Gunsten zu «finden» –, aber auch sein Gaslighting, wie es sich täglich auf Twitter verfolgen lässt.

Nun ist Gaslighting im Kern eine psychologische Missbrauchsstrategie zwischen zwei intim vertrauten Menschen. Womöglich offenbart sich hier also eine noch unterbelichtete Facette von Trumps Manipulationsstil: Es ist alles ungemein persönlich gemeint und empfunden. Nicht nur seine Angriffe, sondern auch seine Abwahl. Sie kränkt ihn vor allem in seiner ganz persönlichen Eitelkeit.

Auch deshalb ist dem Narzissten Trump mit Vernunft, Faktenchecks und Berichtigungen nur bedingt beizukommen – ein weiterer Aspekt, der in der Metapher des flackernden Gaslichts mitschwingt: Es geht hier um nichts weniger als um eine Dialektik der Aufklärung. Trumps Behauptungen löschen nicht einfach das Licht der Aufklärung aus und stossen uns quasi in eine irrationale Dunkelheit zurück. Vielmehr – und viel perfider – wird hier mit den Lichtverhältnissen selbst ein böses Spiel getrieben. In genau diesem Sinn bedeutet Gaslighting auch nicht einfach Lügen, sondern die gezielte Zerstörung des Bewusstseins, das überhaupt zwischen Wahrheit und Lüge unterscheiden kann. Trumps Ziel ist nicht primär die Deformation der Wahrheit, sondern die Deformation unserer Wahrnehmung.

Wille zur Show

Und wer nun selbstbewusst behauptet, dass ja wohl nur IdiotInnen auf Trumps Tweets hereinfielen und ihn entgegen aller Evidenz als Wahlsieger sähen, der oder die könnte sich täuschen. Denn indem wir uns über die Ungeheuerlichkeit von Trumps Gebaren kaum noch wundern mögen, sind auch wir längst zu Opfern seines Gaslightings geworden. Wobei: Ist «Opfer» das richtige Wort? Was beim einstigen TV-Star Trump nie vergessen gehen sollte, ist sein unbedingter Wille zur Show – und unsere ebenso hartnäckige Lust, unterhalten zu werden. Wir sind – die einen schaudernd, die anderen frohlockend – oft allzu willfährige TeilhaberInnen seiner Parallelrealität, in der er uns gerade mehrmals täglich versichert, die Wahl eben doch gewonnen zu haben. Nicht umsonst nannte die «New York Times» Trumps Spektakel treffend eine «unreality show».

Doch wie durchbrechen wir die Show? In Cukors Film wird der Bösewicht am Ende als Verbrecher abgeführt. Aber erst nachdem ihn seine Frau mit seiner eigenen Manipulationstechnik vorgeführt hat. Gut möglich also, dass man einen Gaslighter wie Trump nur mit seinen eigenen zwielichtigen Waffen demontieren kann. Bevor dann hoffentlich die Handschellen zuschnappen.