Philipp Hildebrand: Die Avancen des Blackrock-Manns

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Philipp Hildebrand kandidiert für den Chefsessel der OECD und verspricht, Ungleichheit und Klimawandel zu bekämpfen. Als Vizepräsident des weltweit grössten Vermögensverwalters verantwortet er das Gegenteil.

Investieren mit Blackrock in praktisch alle grossen fossilen Konzerne: Vizepräsident Philipp Hildebrand und CEO Larry Fink. Foto: Fabian Stamm, NZZ

Blackrock ist derzeit in der Schweiz auf Charmeoffensive. Kurz vor Heiligabend gab Mirjam Staub-Bisang, die Schweiz-Chefin des New Yorker Vermögensverwalters, dem «Tages-Anzeiger» ein Interview, letzten Sonntag doppelte Blackrock-Vizepräsident und Exnationalbankchef Philipp Hildebrand in der «SonntagsZeitung» nach. Hildebrand kandidiert auf Vorschlag des Bundesrats für den Chefposten der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD). Staub-Bisangs und Hildebrands Hauptbotschaft: ihre Sorge um die globale Ungleichheit und den Klimawandel. Beim Interview im Zürcher Nobelhotel Savoy Baur en Ville rief Hildebrand gar dazu auf, Karl Marx zu lesen.

Was in den Interviews fehlte, war die Frage, inwiefern nicht auch der US-Vermögensverwalter zu Ungleichheit und Klimawandel beiträgt. Schliesslich haben nur wenige Konzerne ein derart ramponiertes öffentliches Image wie Blackrock. Und nun soll also ausgerechnet ein Blackrock-Mann den Vorsitz der OECD übernehmen? Unter dem scheidenden Generalsekretär José Angel Gurría hat sich die einstige Deregulierungsfabrik zu einer eher progressiven Organisation gewandelt, die in den letzten Jahren wesentlich dazu beitrug, das globale Steuersystem etwas weniger ungerecht zu machen.

Profite für die Reichen

Als grösster Vermögensverwalter der Welt, der 7,8 Billionen US-Dollar verwaltet, ist Blackrock einer der mächtigsten Player im globalen Wirtschaftssystem, das Hildebrand vornehm von aussen zu beobachten vorgibt. Blackrock ist Grossaktionär in unzähligen Weltkonzernen. Zudem berät der Konzern weltweit Regierungen und Notenbanken, geht bei ihnen ein und aus und handelt als ihr verlängerter Arm: Als wegen der Coronapandemie im März die Kurse an den Börsen tauchten, beauftragte die US-Notenbank Fed Blackrock, an ihrer Stelle Wertpapiere aufzukaufen, um damit die Finanzkurse zu stützen. Die Krönung des Deals: Blackrock konnte mit den Milliarden Anteile ihrer eigenen Fonds kaufen und damit deren Wert in die Höhe treiben – was auf heftige Kritik stiess.

Blackrock wäre kein Vermögensverwalter, wenn sein oberstes Ziel nicht darin bestünde, den Profit seiner reichen Klientel zu maximieren. Zwar verwaltet der Konzern auch Pensionsvermögen von KleinsparerInnen, doch am Ende wird das von ihm verwaltete Vermögen ähnlich verteilt sein wie die übrigen weltweiten Vermögen: Laut Zahlen der Credit Suisse sind 82 Prozent davon in der Hand der 10 Prozent Reichsten.

Um sein Ziel zu erreichen, verfolgt auch Blackrock jene Politik, die seit den achtziger Jahren die Ungleichheit befeuert. Auch Blackrock-Chef Larry Fink, der sich am letztjährigen Weltwirtschaftsforum in einer kleinen Runde als kleiner Sozialdemokrat gab, hat wiederholt die Privatisierung öffentlicher Infrastruktur und der Altersvorsorge gefordert, was für Blackrock neue Investitionschancen bieten würde. US-Präsident Donald Trumps Deregulierungsagenda lobte er 2017 als «Wunschliste von Dingen, die wir erledigt sehen möchten»; Fink schwärmte von Trumps radikaler Steuersenkung, die selbst das Finanzblatt «Financial Times» als «Plutopopulismus» bezeichnete, von dem nur Reiche profitierten. In einem Report zeichnet die US-NGO Campaign for Accountability zudem nach, wie Blackrock seit Jahren mit immer mehr Geld in Washington gegen Finanzregulierungen lobbyiert.

Blackrock ist insbesondere auch Grossaktionär bei den Techgiganten Google, Apple, Facebook und Amazon, die sich durch die Schaffung immer neuer Monopole zusätzliche Milliarden sichern und dank zahlreicher Tricks kaum mehr Steuern bezahlen. Mitten im tiefsten Wirtschaftseinbruch seit dem Zweiten Weltkrieg hat Blackrock seinen Gewinn in den ersten drei Quartalen des vergangenen Jahres um sechs Prozent weiter auf 3,4 Milliarden US-Dollar gesteigert. Gleichzeitig wurden laut Weltbank weitere rund hundert Millionen Menschen in die extreme Armut getrieben.

Um seine Profitziele zu erreichen, ist Blackrock gemäss einer Aufstellung der NGO Corporate Europe Observatory auch massiv in mehr oder weniger sämtliche fossile Konzerne investiert, die den Klimawandel vorantreiben – von Chevron über Exxon Mobil oder Glencore bis hin zu Gazprom. Grosse Anteile besitzt Blackrock insbesondere von Kohlefirmen wie RWE, Anglo American oder Shenhua Group (vgl. «‹Das sind nur Babyschritte›» ).

Zwar hat Fink vor einem Jahr die Nachhaltigkeit zu seiner Toppriorität erklärt und den Unternehmen entsprechende Auflagen erteilt. Die US-NGO Majority Action kommt in ihrer neusten Analyse zu Blackrocks Stimmverhalten als Aktionär jedoch zum Schluss, dass der Konzern «grösstenteils» gegen klimafreundliche Kursänderungen stimmt. Gemäss dem Datenanalysten Proxy Insight galt das in einem Zeitraum von einem Jahr gar für 94 Prozent der Abstimmungen. Erst kürzlich geriet der Finanzkonzern in die Kritik, als er nach den grossen Waldbränden in Australien als Aktionär der australischen Ölkonzerne Woodside Energy und Santos gegen schärfere Klimaauflagen stimmte. Trotzdem hat die EU Blackrock im Frühling beauftragt, neue Regeln für Finanzinvestitionen zu entwerfen, die eine klimafreundlichere Wirtschaft schaffen sollen, wogegen Umweltverbände protestieren.

Hildebrands eigene Ideen

Umso irritierender sind Hildebrands Interviewausführungen, wie er die Ungleichheit bekämpfen will. Nämlich so, dass seine reiche Blackrock-Klientel nichts von ihrem Reichtum einbüssen muss. Hildebrand spricht nicht davon, die Vermögen und die jährliche Wertschöpfung besser zu verteilen. Er fordert vielmehr, die Ungleichheit mit einem höheren Wachstum zu mildern. Mehr Wachstum soll dafür sorgen, dass die Armen irgendwann zu den Reichen aufschliessen können.

Entsprechend zurückhaltend äussert sich Hildebrand zur aktuellen Steuerreform der OECD, die den Staaten ermöglichen soll, Konzerne angemessen zu besteuern. Steuern sind ein zentraler Hebel, um den Wohlstand besser zu verteilen. So bezeichnet Hildebrand gerade den ersten Teil der Reform als zweitrangig – obwohl dieser zentral ist, damit Steuersubstrat zugunsten von grossen Schwellenländern umverteilt werden könnte, wie Dominik Gross, der Steuerexperte der NGO Alliance Sud, in einem Blogbeitrag betont. Für wichtiger hält Hildebrand den zweiten Teil, der die Fixierung eines weltweiten globalen Mindeststeuersatzes vorsieht, für den Hildebrand allerdings einen fast lächerlichen Satz von 10 bis 13 Prozent vorschlägt – um den Steuerwettlauf nicht zu gefährden. US-Nobelpreisträger Joseph Stiglitz fordert zusammen mit anderen global anerkannten ÖkonomInnen 25 Prozent.

Erstens bleibt offen, wie nach vier Jahrzehnten zunehmender Ungleichheit, die sich mit der Pandemie weiter verschärft, mehr Wachstum auf einmal die Kehrtwende bringen soll. Zweitens ist auch der Klimawandel kaum ohne bessere Verteilung des heutigen Wohlstands zu bewältigen: Wenn für jede Person, die aus der Armut findet, ein Milliardär eine neue Jacht kaufen muss, rückt das Netto-Null-Ziel in weite Ferne. Und schliesslich verursacht die Anhäufung immer grösserer Vermögen immer neue Wirtschaftskrisen, wovor inzwischen auch der Internationale Währungsfonds warnt: Die Vermögen befeuern die Börsen und fliessen an Haushalte und Staaten, die damit auf Pump die Wirtschaft am Laufen halten. Jedes Mal, wenn die Blase zu platzen droht, wird dies von den Zentralbanken durch noch mehr Geld verhindert.

Sicher, Hildebrand ist gescheit, gut vernetzt – und man darf ihm durchaus auch ehrliche Absichten unterstellen. Doch ist einer, der acht Jahre damit verbracht hat, als Vize des grössten Vermögensverwalters der Welt Profit für eine reiche Klientel zu machen, wirklich der Richtige für den Chefsessel der OECD? Mit Hildebrand an den Schalthebeln der OECD erhielte zudem nicht nur Blackrock-Chef Larry Fink einen direkten informellen Draht in jene globale Organisationszentrale, die den Kapitalismus des 21. Jahrhunderts wesentlich mitgestalten wird – sondern auch das Schweizer Finanzdepartement, das sich bis jetzt gegen jede OECD-Steuerreform gestellt hat.

Nicht zuletzt aus diesen Gründen sind Hildebrands Chancen gegenüber den zehn Mitstreitenden, die unter anderem die USA oder die EU hinter sich wissen, überaus gering. Wenn überhaupt könnte der eloquente Überflieger – der damals in seinem Büro bei der Nationalbank ein Foto seines Vorbilds, des Boxers Muhammad Ali, hängen hatte – als Kompromisskandidat zwischen den USA und der EU zum Zug kommen.