Iran: Die Stunde der Hardliner

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Vor einem Jahr wurde Kassem Soleimani, Kommandeur einer Eliteeinheit der Revolutionsgarden, auf Befehl von Donald Trump ermordet. Seither haben die Repressionen im Innern des Iran und die Spannungen mit dem Ausland zugenommen.

Das Regime will seinen Tod rächen: Gedenken an Kassem Soleimani am 2. Januar in der ­iranischen Stadt Kerman. Foto: Ahmad Halabisaz, Keystone

Das letzte Mal, als Mariam Claren mit ihrer Mutter Nahid Taghavi in Teheran telefonierte, sprachen die beiden über die Ferien der Tochter an der Nordsee. Am selben Abend, am 16. Oktober, schickte sie Taghavi noch Bilder per Whatsapp, doch diese reagierte nicht.

Weil Nahid Taghavi verschwunden blieb, öffneten ihre beiden Brüder am Sonntag ihre Wohnungstür und fanden eine völlig verwüstete Einrichtung vor: Schränke waren umgeworfen worden, Bücher lagen auf dem Boden, Taghavis Unterlagen aus Deutschland und ihr Computer fehlten. Ein Nachbar erzählte, dass die 66-jährige Architektin am Freitag von der Revolutionsgarde abgeführt worden sei; seitdem sitzt sie im Evin-Gefängnis. «Da dachte ich noch an ein Missverständnis, das sich ganz schnell klären würde», erzählt Claren.

Nahid Taghavi hatte in Florenz Architektur studiert, bevor sie 1983 mit ihrer damals zweijährigen Tochter von Teheran nach Köln auswanderte. Die letzten Jahre verbrachte sie meist zur Hälfte in Teheran. Eigentlich wollte sie im vergangenen März nach Köln zurückreisen, doch wegen der Coronapandemie entschied sie, vorerst zu bleiben. Sie ist Doppelbürgerin, aber der Iran erkennt den deutschen Pass nicht an – möglicherweise wurde sie genau aus diesem Grund festgenommen.

Bis heute wissen die Angehörigen nicht, was ihr vorgeworfen wird. Nur so viel ist ihnen bekannt: Sie sitzt in Isolationshaft im Trakt 2a, der den Revolutionsgarden, den Sicherheitskräften von Revolutionsführer Ali Chamenei, unterstellt ist. Zwar sei Taghavi regimekritisch, aber niemals politisch aktiv gewesen, sagt die Tochter. Dennoch ist für sie klar: «Meine Mutter ist eine politische Gefangene.»

Mehr als 500 Todesurteile

Gefangene, die über einen ausländischen Pass verfügen, werden immer wieder als Geiseln in Verhandlungen eingesetzt. Erst im November wurde die britisch-australische Islamwissenschaftlerin Kylie Moore-Gilbert nach mehr als zwei Jahren Haft im Iran gegen drei in Thailand inhaftierte Iraner ausgetauscht, die einen Anschlag auf den israelischen Botschafter in Thailand geplant haben sollen.

International Schlagzeilen machten jüngst zwei Hinrichtungen: Der Journalist Ruhollah Zam, der aus Frankreich einen regimekritischen Blog betrieb, wurde auf einer Reise in den Irak von den Revolutionsgarden gekidnappt; trotz internationaler Proteste wurde gegen ihn das Todesurteil vollstreckt. Dem Ringer Navid Afkari wurde vorgeworfen, dass er bei einer Demonstration einen Sicherheitsmann erschossen habe. MenschenrechtsaktivistInnen und Afkaris Familie beharrten darauf, dass das Geständnis unter Folter zustande gekommen sei.

Politische Geiselnahmen und Hinrichtungen sind im Iran nicht neu. Doch die Repression im Innern hat sich infolge der landesweiten Proteste in den letzten Jahren verschärft, wie die Zahlen von Amnesty International zeigen: 2018 wurden 251 Menschen hingerichtet, ein Jahr später waren es 253. Zahlen für 2020 liegen noch keine vor. Die Verfolgung macht selbst vor vormaligen Regierungsmitgliedern nicht halt: Anfang Dezember wurde Schahindocht Molaverdi, Vizepräsidentin von 2013 bis 2017, zu zweieinhalb Jahren Gefängnis verurteilt. Sie hatte sich innerhalb der Regierung wie auch nach ihrem Ausscheiden aus dem Amt immer wieder für Frauenrechte eingesetzt.

Nervöses Regime

Die Machtverhältnisse innerhalb der Islamischen Republik sind kompliziert. Offizielles Staatsoberhaupt ist der Revolutionsführer, der seit über dreissig Jahren amtierende islamistische Hardliner Ajatollah Ali Chamenei. Ihm unterstellt sind die Revolutionsgarden, die Eliteeinheit der Streitkräfte, mit wesentlich mehr Befugnissen als die Armee. Amtierender Regierungschef ist derzeit der als gemässigt geltende Hassan Rohani. Er wurde zwar vom Volk gewählt, untersteht aber in allen Fragen Chamenei und hat deshalb einen eingeschränkten Handlungsspielraum. Zusätzlich prägend für die politische Ausrichtung ist der Wächterrat, der aus zwölf Mitgliedern besteht: Sechs Geistliche werden durch Chamenei, sechs Juristen vom Parlament gewählt. Dieses Gremium entscheidet über die Zulassung bei Präsidentschafts- und Parlamentswahlen – und bei der letzten Parlamentswahl lehnten sie die meisten reformorientierten KandidatInnen ab.

So stark sich das Regime nach innen gibt, so brüchig ist sein ökonomisches Fundament. Der Iran steckt in einer tiefen Wirtschaftskrise, seit US-Präsident Donald Trump 2018 einseitig aus dem Nuklearabkommen ausgestiegen ist und die USA Sanktionen gegen den Iran verhängt haben. Die Krise verschärft hat die Coronapandemie, die das Land mit ausserordentlicher Wucht getroffen hat.

Doch auch die Regierung selbst hat durch Misswirtschaft erheblich zur Krise beigetragen. Während die Mittelschicht langsam unter die Armutsgrenze rutscht, übt sich das Regime in militärischen Zündeleien. So erhöhte der Iran am vergangenen Wochenende die Bereitschaft seiner Seestreitkräfte am Persischen Golf. Er unterstreicht damit seine Drohung, die Tötung von Kassem Soleimani zu vergelten. Am 3. Januar 2020 wurde der Kommandeur der für Auslandseinsätze zuständigen Kuds-Einheiten der Revolutionsgarde durch eine US-Drohne getötet.

Das Regime will mit seinen Manövern aber auch vor den Präsidentschaftswahlen im Juni Stärke demonstrieren, wenn die Amtszeit Rohanis endet. Bisher hat sich nur der konservative frühere Verteidigungsminister Hossein Dehghan öffentlich für das Amt beworben. Zusätzlich halten sich hartnäckige Gerüchte um einen schlechten Gesundheitszustand Chameneis.

Die Reformkräfte erhoffen sich derweil eine Linderung der Wirtschaftskrise durch den Regierungswechsel in den USA. Denn der designierte US-Präsident Joe Biden hat bereits angekündigt, dass er das Atomabkommen unter gewissen Bedingungen wiederbeleben und gegebenenfalls auch die Sanktionen aufheben wolle. Ein Richtungsstreit innerhalb des iranischen Parlaments erschwert allerdings eine Annäherung, denn im Februar 2020 übernahmen die Hardliner die Mehrheit im Parlament. Dieses hat vor wenigen Tagen eine Erhöhung des Urananreicherungsgrads gefordert, was eine Rückkehr zum Atomabkommen erschweren wird.

«Jetzt bricht die Politik der Hardliner durch, die wahrscheinlich nach den Präsidentschaftswahlen auch dieses Amt übernehmen werden», sagt Philippe Welti, ehemaliger Schweizer Botschafter im Iran und Präsident der Wirtschaftskammer Schweiz-Iran. Tatsächlich war das Atomabkommen innenpolitisch immer umstritten, und die Zusage dazu wurde von den moderaten Kräften vorangetrieben. Die IranerInnen, so Welti, hätten den Ausstieg der USA zu Recht als Vertragsbruch gewertet; das Versprechen, das Land gegen Nuklearkonzessionen in die Weltwirtschaft zu reintegrieren, sei nicht eingehalten worden. Der jetzige Vorstoss sei taktisch zu verstehen: «Je weiter sie gehen, desto mehr können sie bei Verhandlungen einsetzen.» Welti hat die Hoffnung, dass Biden den Iran wieder in die Weltgemeinschaft integrieren kann.

Nur nicht zu diplomatisch

Da der Iran und die USA keine diplomatischen Beziehungen unterhalten, vertritt die Schweiz Washington in Teheran. Als Aussenminister Ignazio Cassis im September in den Iran reiste, war öffentlich keinerlei klare Kritik an der Menschenrechtspolitik zu hören. «Der Schweizer Botschafter kritisiert die Todesstrafe aber regelmässig, und auch Bundesrat Cassis wird das bei seinem letzten Besuch getan haben», meint Welti. «Öffentlich geäusserte Kritik kann als polemisch empfunden werden, hinter verschlossenen Türen geäusserte Kritik kann viel mehr bewirken.»

Dass dies nicht immer stimmen muss, zeigte ein öffentlicher Aufschrei im vergangenen Jahr. Nachdem drei Iraner wegen ihrer Beteiligung an regierungskritischen Protesten im Juni zum Tode verurteilt worden waren, wandten sich Millionen Menschen in sozialen Netzwerken gegen die Vollstreckung der Strafe. Die Kampagne führte dazu, dass das Urteil nun erneut überprüft werden soll.

Auch die Kölnerin Mariam Claren hat sich von Anfang an für die Öffentlichkeit entschieden; sie hat wenige Tage nach der Inhaftierung ihrer Mutter eine Onlinekampagne gestartet: «Ich bin der Überzeugung, dass nur die Bekanntmachung des Schicksals meiner Mutter Druck ausüben kann, und nur wenn wir zeigen, dass wir dieses Unrecht nicht akzeptieren, können wir auf die Regierungen Einfluss nehmen. Ich glaube nicht an diplomatische Stille.»