Auf allen Kanälen: Fatale Schizophrenie
Google ist der grösste Konkurrent im Werbemarkt für Medienverlage. Diese profitieren fleissig von Förderprogrammen des US-Datenkonzerns – und sehen darin keinen Widerspruch.
Die Studie «Medienmäzen Google. Wie der Datenkonzern den Journalismus umgarnt» stellt die richtigen Fragen: «Was sagt es über die Situation des Journalismus aus, wenn er die Hilfe eines Konzerns annehmen muss, der zugleich Geschäftspartner, Konkurrent und Objekt der Berichterstattung ist?»
Doch seit die Studie der Netzjournalisten Ingo Dachwitz und Alexander Fanta im Auftrag der Otto-Brenner-Stiftung im Herbst erschienen ist, haben sie die meisten europäischen Medien ignoriert. In der Schweiz berichteten einzig die Branchenportale Medienwoche und Kleinreport über die Studie. Die «Republik» widmete dem Thema bereits im Oktober 2018 einen Artikel.
Dabei zeigt die relevante und aktuelle Studie, dass rund ein Dutzend hiesige Verlage in den letzten Jahren grosszügige Zahlungen des US-Datenkonzerns erhielten, insbesondere die grossen: Im Rahmen von Googles «Digital News Initiative» (DNI) bezogen allein die NZZ-Mediengruppe und die AZ Medien jeweils über eine halbe Million Euro für Digitalprojekte. Auch die Tamedia (150 000 Euro) und Ringier (45 000 Euro) erhielten Geld aus dem DNI-Topf, den Google in den Jahren 2015 bis 2019 mit 150 Millionen Euro ausstattete.
Kein Widerspruch?
Dass die Studie den Fokus auf die «Digital News Initiative» legt, ist folgerichtig, es ist das Förderprogramm, über das am meisten Informationen vorliegen, auch wenn die Transparenz mangelhaft bleibt, wie die Studienautoren kritisieren. Doch das Engagement von Google geht mittlerweile weit über die DNI hinaus. Ende 2020 wurde das Programm «News Showcase» lanciert, womit Google in den nächsten drei Jahren global eine Milliarde US-Dollar im Rahmen eines exklusiven Lizenzdeals an Partnermedien auszahlen will – vorerst in Deutschland, Australien und Brasilien. Letztes Jahr hat Google auch einen Corona-«Hilfsfonds für Journalismus» für kleinere und mittelgrosse Betriebe aufgesetzt. Hinzu kommt ein Förderprogramm («Fellowship») für JournalistInnen, das in der Schweiz in Partnerschaft mit der NZZ, dem «Blick» sowie «Heidi.news» angeboten wird. Gerne hätte die WOZ mehr über die einzelnen Förderprogramme und die Bezüge zur Schweiz erfahren, doch Google konnte «derzeit keinen Gesprächspartner zum Thema anbieten».
Die grösseren Schweizer Verlage wiederum sehen offensichtlich keinen Widerspruch in der Kooperation mit ihrem grössten Konkurrenten im Werbemarkt, der mit seinen Produkten und Diensten immer mehr zu einer Art «Betriebssystem des Journalismus» wird, wie die Studie bilanziert. Stellvertretend dafür steht die Rückmeldung von Ringier, das «den Umgang mit Google nicht dogmatisch, sondern pragmatisch handhabt». In ausgewählten Fällen habe man eine Zusammenarbeit als sinnvoll erachtet und gemeinsame Projekte umgesetzt.
Kopie des Google-Modells
Alexander Fanta, Ko-Autor der Studie, zeigt sich wenig überrascht über das mediale Desinteresse in der Schweiz. «Auch in Deutschland und Österreich blieb die Berichterstattung überschaubar», sagt Fanta. Statt bestehende Abhängigkeiten und Interessenkonflikte zu thematisieren und zu reflektieren, schweige man offenbar lieber. Dabei sei eine breite mediale und politische Debatte über Medienförderung eigentlich wünschenswert.
«Ernüchternd ist ja insbesondere, dass die Medienverlage keine Antwort auf die riesige Marktmacht im Werbemarkt von Google haben. Stattdessen kopieren sie dessen Geschäftsmodell und wollen auch möglichst viele Nutzerdaten sammeln, etwa über Login-Allianzen.» So lobbyieren die Verlage gemeinsam mit den US-Techkonzernen in Brüssel gegen besseren Datenschutz, statt nach Innovationen und sinnvollen Alternativen zum Überwachungskapitalismus zu suchen und diese zu fördern, so Fanta.
Völlig unkritisch gegenüber den Avancen von Google ist der Schweizer Verlegerverband aber nicht: Im November-Newsletter fand Geschäftsführer Andreas Häuptli sogar deutliche Worte. Google spiele sich als «Chefredaktor des WWW» auf und entziehe «Webseiten-Betreibern, die auf Werbefinanzierung setzen, die Lebensgrundlage – evil!» Das Problembewusstsein scheint vorhanden, eine Lösung noch längst nicht.
Link zur Studie: https://www.otto-brenner-stiftung.de/wissenschaftsportal/informationsse….