Medientagebuch: Jubel, Wirbel, Hetze

Nr. 20 –

Wie die «Bild»-Zeitung den Fall Wulff schuf.

Während Wochen beschäftigte im letzten Winter der mittlerweile zurückgetretene deutsche Bundespräsident Christian Wulff das Publikum – nicht nur das deutsche. Ausgegangen war die Affäre von der «Bild»-Zeitung. Wolfgang Storz, ehemaliger Chefredaktor der «Frankfurter Rundschau» und Mitarbeiter der WOZ, sowie der Medienwissenschaftler Hans-Jürgen Arlt haben in der Publikationsreihe der Otto-Brenner-Stiftung unter dem Titel «‹Bild› und Wulff – ziemlich beste Partner. Fallstudie über eine einseitig aufgelöste Geschäftsbeziehung» eine Broschüre vorgelegt, die den Fall nun minutiös analysiert (zugänglich unter: www.otto-brenner-stiftung.de).

Die Studie beruht auf 1528 Meldungen, Berichten und Kommentaren, die die Springer-Blätter «Bild» und «Bild am Sonntag» von 2006 bis zu Wulffs Rücktritt veröffentlichten. Leserinnen und Leser können jede Behauptung und jede Interpretation im «Bild»-Archiv selbst überprüfen. Allein dies ist eine medienpublizistische Pionierleistung der beiden Autoren.

Die Studie besticht durch die Präzision ihrer Analyse. «Bild», wie auch andere Boulevardzeitungen, produziert journalistische Arbeiten, die sich durch klare Information und kritisches Urteil auszeichnen, nur nebenher und gelegentlich. «Bild» betreibt Journalismus vielmehr als ein integriertes Geschäftsmodell aus Unterhaltung, Kampagne, Meinungsbildung, Public Relations, Auflagensteigerung und Imagepflege. Dieses Geschäftsmodell beruht – wie jedes Geschäft – auf einer partnerschaftlichen Beziehung zwischen dem Blatt und seinen KundInnen (meist prominente Figuren aus Business, Politik, Showgeschäft und Sport). Springer ist der Pionier mit diesem Modell. Aber fast alles, was im Pressewesen momentan als «Reform» läuft, strebt dasselbe an. Und das ist eine Gefahr für die Demokratie und eine qualifizierte Öffentlichkeit jenseits von Klamauk.

Springers Modell funktioniert durch die wechselseitige Instrumentalisierung von Anbieter und Kunde: Der Kunde (im vorliegenden Fall Christian Wulff) informiert das Blatt exklusiv, das sich damit profiliert und so die Imagepflege für sich selbst und den Kunden befeuert. Bei Wulff hat das fast sechs Jahre lang funktioniert: «Bild» versorgte das Publikum mit positiven Wulff-Meldungen und beförderte dessen Aufstieg.

Zwischen den beiden Geschäftspartnern besteht jedoch eine Asymmetrie, denn «Bild» sass am längeren Hebel und konnte die Geschäftsbeziehung von einem Tag auf den andern beenden – also von «Jubel» auf «Wirbel» und dann auf «Jagdhetze» umstellen. Der Moment für die Umschaltung von «Jubel» auf «Wirbel» kam, als «Bild» die Gefahr witterte, dass «Stern» und «Spiegel» eine wirkliche Wulff-Affäre aufdeckten: Am 12. Dezember 2011 lobte «Bild» Wulff tagsüber noch, aber um 22.02 Uhr war Schluss damit. «Bild» machte online als erste Zeitung öffentlich, dass Wulff das Landesparlament über seine finanziellen Verhältnisse belogen hatte. Wulff meldete sich danach telefonisch beim Chefredaktor und beklagte sich über die Aufkündigung der Geschäftsgrundlage. «Bild» agierte geschickt und lancierte Wulffs Protest als «Angriff auf die Pressefreiheit» in den Medien. Die seriösen Zeitungen tappten in die Falle und schrieben «Bild» zur Kämpferin für die Pressefreiheit hoch.

So sehr ging die Rechnung auf, dass «Bild» letzten Freitag mit dem Henri-Nannen-Preis 2012 ausgezeichnet wurde. Fazit: «Wulff hat mitgespielt, bis ihm mitgespielt wurde.»

Rudolf Walther ist Journalist 
in Frankfurt am Main.