«Atlas»: Die Last der Welt

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Allegra heisst die Protagonistin von «Atlas», doch auf dem Filmplakat blickt die junge Frau nicht als Frohnatur, sondern in äusserster Konzentration verharrend nach oben, vor ihrem Gesicht ein gespanntes blaues Seil. Die italienische Schauspielerin Matilda De Angelis war zuletzt in der HBO-Serie «The Undoing» neben Nicole Kidman zu sehen, im Eröffnungsfilm der Solothurner Filmtage verkörpert sie nun eine begeisterte Bergsteigerin, die zusammen mit ihrem Partner und einem befreundeten Paar halsbrecherische Wände im Tessin und in Marokko hochklettert. Da strotzt Allegra noch vor Energie und Lebensfreude – doch dann werden ihre drei BegleiterInnen bei einem Terroranschlag in Marrakesch getötet. Sie selber überlebt verletzt und kehrt ins heimische Lugano zurück.

Regisseur Niccolò Castelli («Tutti giù») zeigt in seinem zweiten Spielfilm, wie eine Frau nach einem Schicksalsschlag versucht, sich im Leben wieder zurechtzufinden. Dass dabei ausgerechnet die Begegnung mit einem Migranten aus einem arabischen Land eine wichtige Rolle spielt, wirkt in dem elliptisch erzählten Drama zwar etwas bemüht, doch der stupenden Präsenz der 25-jährigen Hauptdarstellerin tut das keinen Abbruch. Als Matilda De Angelis vor fünf Jahren im Kino debütierte, tat sie das gleich in einer Hauptrolle: Im Rennfahrerfilm «Veloce come il vento» spielte sie die draufgängerische Tochter eines Rennstallbesitzers, der sie zum neuen Star seiner Dynastie aufbaut.

Adrenalinkicks und sportliche Höchstleistungen zeigt De Angelis auch in «Atlas». Der Titel verweist auf den Riesen aus der griechischen Mythologie, der das Gewicht der Welt auf seinen Schultern trägt – er steht aber auch für das Gebirge in Marokko, das in der Antike das westliche Ende der bekannten Welt markierte. Und wie Allegra in ihrem Schmerz eine untragbare Last trägt, das macht sie zu einer Titanin.

Streaming: Mi, 20. Januar 2021, ab 20 Uhr für 72 Stunden auf www.solothurnerfilmtage.ch.

Atlas. Regie: Niccolò Castelli. Schweiz 2021