Hochschulpolitik in der Türkei: Erdogans neuer Rektor

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Seit Wochen protestieren Studierende und Angestellte der Istanbuler Bogazici-Universität gegen den neuen Rektor, den Präsident Erdogan eingesetzt hat. Es geht um die Freiheit der Lehre, die seit 2016 unter Druck steht.

«Erdogan will uns als Universität zerstören»: StudentInnen demonstrieren am 7. Januar mitten in Istanbul gegen den neuen Rektor. Foto: Alamy

Von den ProfessorInnen hat bisher niemand mit dem neuen Rektor sprechen wollen, und auch die Begrüssung für Melih Bulu hätte unfreundlicher nicht sein können. Dutzende AkademikerInnen stellten sich schweigend auf dem Rasen auf, mit dem Rücken zum Rektoratsgebäude. Und seit Anfang Januar protestieren auch Studierende auf dem Campus der Istanbuler Bogazici-Universität gegen Bulu. «Wir wollen keinen Treuhänder-Rektor» lautet das Motto, unter dem auf Social Media sein Rücktritt gefordert wird.

Gestürmte Burg

Melih Bulu ist seit dem Neujahrstag Leiter der englischsprachigen staatlichen Uni, die zu den angesehensten des Landes gehört. Sie gilt als links, ist international, LGBTQI*- und diskursfreundlich. Bulu hingegen, Wirtschaftswissenschaftler und Gründungsmitglied der Regierungspartei AKP, ist konservativer Muslim. Er hat einst seine Doktorarbeit an der Bogazici-Universität geschrieben, sie steht heute aber unter Plagiatsverdacht. Dass er dennoch Rektor wurde, hat er Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan zu verdanken. «Erdogan will uns als Universität zerstören – unseren wissenschaftlichen Geist, unsere Vielfalt, unsere Offenheit gegenüber der Welt», sagt der emeritierte Soziologieprofessor Faruk Birtek, der vierzig Jahre lang an der Bogazici tätig gewesen ist. «Wir stehen für alles, was er hasst.»

Auch sein Kollege Bülent Kücük sorgt sich um die liberale Atmosphäre. «Um zu lehren, brauchen wir Freiheit», sagt der Professor. «Wenn es diese Freiheit nicht mehr gibt, wir nicht über Marx, Weber und politisch tabuisierte Themen reden können, dann ergibt unsere Arbeit doch keinen Sinn mehr.» Es besteht die Sorge, dass Bulu demnächst Parteimitglieder als Lehrkräfte einstellen und missliebige Forschungsprojekte verhindern könnte. «Für AKP-Anhänger sind wir einerseits die intellektuelle Burg, die sie hassen», so Kücük, «aber andererseits beneiden sie uns auch wegen unseres Ansehens.» Aus diesem Grund wollten sie die Bogazici jetzt einnehmen.

Schon 2016 hat Erdogan einen Rektor an der Bogazici ernannt. Auch die seit 2012 amtierende Rektorin Gülay Barbarosoglu hatte sich erneut für das Amt beworben, Erdogan aber lehnte die Wirtschaftsingenieurin ab. Stattdessen schlug er Mehmed Özkan vor. Der Professor für Elektrotechnik gilt als konservativ, seine Schwester ist AKP-Politikerin. Özkan ist aber auch ein international anerkannter Wissenschaftler, der einst an der Bogazici seinen Abschluss machte und dort auch als Professor unterrichtete.

Widerstandslos akzeptierten die MitarbeiterInnen die Neubesetzung, denn sonst, so die Befürchtung, würde ihnen jemand von aussen vor die Nase gesetzt. «Es war ein Fehler, dass wir nicht schon damals protestierten», sagt Kücük. «So haben wir die Regierung hineingelassen.» Özkan bewarb sich auch diesmal wieder – aber Erdogan wählte Bulu. Gerüchte über dessen Ernennung hatten schon zuvor kursiert, wegen Bulus mangelnder Qualifikation aber als unglaubwürdig gegolten. Nun behauptete Erdogan das Gegenteil: Gerade Bulus akademischer Leistungsausweis habe den Ausschlag gegeben. «Ich bin sicher, dass er sehr erfolgreich sein wird», so Erdogan.

Soundtrack von Metallica

Kontrolliert werden die staatlichen Universitäten in der Türkei vom Hochschulrat (YÖK), der 1981 von der damaligen Militärregierung gegründet wurde. Der Rat war parteipolitisch unabhängig, er gestaltete die Hochschulpolitik nach eigenen, kemalistischen Prinzipien. Nach Verordnung des YÖK wurden RektorInnen von den Uniangestellten selbst ausgewählt und dem Präsidenten vorgeschlagen. Dieser konnte die Empfehlung annehmen oder eine andere Person wählen. Nach dem Putschversuch 2016 wurde das System geändert: Auf Basis der bis heute gültigen Notstandsdekrete wurde die Autonomie der staatlichen Hochschulen endgültig ausgehebelt, wichtige Positionen innerhalb des YÖK wurden mit AKP-AnhängerInnen besetzt. Bewerbungen auf RektorInnenstellen werden seither vom YÖK direkt an den Präsidenten weitergeleitet, der dann entscheidet.

Einige türkische Universitäten haben sich seither mit der Bogazici solidarisiert, und Studierende im ganzen Land protestieren gegen Bulus Ernennung. Soundtrack des Widerstands sind Songs von Metallica, etwa «Master of Puppets» und «Sad But True», denn Bulu hat in einem Interview gesagt, er höre gern Metallica. Die Demonstrationen wurden von der Polizei teils gewaltsam aufgelöst, es gab Dutzende Festnahmen und Hausdurchsuchungen, und Erdogan bezeichnete die Demonstrierenden als TerroristInnen.

Die Bogazici-WissenschaftlerInnen treffen sich währenddessen weiterhin regelmässig vor dem Rektorat und stellen sich schweigend mit dem Rücken zum Gebäude auf. «Wir werden so lange durchhalten, wie es nur geht», sagt Soziologieprofessor Bülent Kücük. Er sagt aber auch: «Solange die AKP mit Unterstützung der ultranationalistischen MHP an der Macht ist, können wir wenig verhindern.»