Zollgesetzrevision: Überwachung, Profiling und verdeckte Ermittler

Nr. 3 –

Der geplante Umbau der Eidgenössischen Zollverwaltung hat es in sich: Ein Gesetzesentwurf schafft die Voraussetzungen für eine Bundespolizei im Stil des FBI. Das Urteil von Verfassungsrechtlern und Mitte-links-PolitikerInnen ist vernichtend.

Alle sollen alles machen: Grenzwächter (im Bild) und Zollbeamtinnen sollen künftig gemeinsam eine bewaffnete Zollpolizei bilden. Foto: Patrick Hürlimann, Keystone

Seit seinem Amtsantritt vor vier Jahren treibt Oberzolldirektor Christian Bock eine umfassende Reform der Eidgenössischen Zollverwaltung voran. Eine Stossrichtung ist dabei unbestritten: die Digitalisierung der Zollabwicklung. Das Parlament hat dafür 2017 einen Kredit von 400 Millionen Franken bereitgestellt. Zwar steckt der Teufel im Detail. ZollmitarbeiterInnen an der Front zweifeln, ob sich die Prozesse umfassend digitalisieren lassen, und verweisen auf bereits installierte Programme und Apps, die mitunter absurde Resultate liefern. Aber das ist lösbar.

Anders sieht es mit dem personellen Umbau aus. Grenzwachtkorps und Zollbereich sollen zum Bundesamt für Zoll und Grenzsicherheit fusionieren. Das Leitmotiv: Alle sollen im Prinzip alles machen, im Schichtbetrieb, 24 Stunden am Tag, sieben Tage die Woche. Hier beginnen die Schwierigkeiten. Wer beim Zoll anheuerte, dachte nicht im Traum daran, eines Tages in Uniform, Kampfstiefeln und mit einer Waffe am Gürtel ins Büro zu gehen, an der Grenze zu stehen oder Leibesvisitationen durchzuführen; wer sich zur Grenzwächterin ausbilden liess, rechnete nicht damit, sich eines Tages mit Zolltarifen herumzuschlagen. Es sind zwei völlig unterschiedliche Berufsbilder. Das verunsichert die Belegschaft, wie eine MitarbeiterInnenbefragung der Zollgewerkschaft Garanto ergeben hat.

Die laufende Reform soll nun auch gesetzgeberisch geregelt werden. Gänzlich unter dem Radar der Öffentlichkeit blieb dabei bisher der Entwurf für ein «Vollzugsaufgabengesetz» für das neue Bundesamt, ebenfalls Teil der Monsterreform der mit über 4000 MitarbeiterInnen sehr grossen Bundesbehörde. Dieser läuft auf die Schaffung einer Zollpolizei hinaus. Sie könnte – im Gegensatz zum heutigen Grenzwachtkorps – mit dem Plazet des Finanzdepartements überall in der Schweiz aktiv werden. Was wäre das anderes als eine Bundespolizei, kaschiert als Zollpolizei?

Die Palette der vorgesehenen polizeilichen Mittel ist umfassend und geht weit über die Zuständigkeit des Zolls hinaus. So könnte die neue Polizei bei grenzüberschreitender Kriminalität, Geldwäscherei und «illegaler Migration» aktiv werden und hätte prinzipiell weitreichende Überwachungs- und Zwangsmassnahmenkompetenzen. Und sie erhielte dank einer Generalklausel im Gesetz praktisch unbeschränkte Kompetenzen zur Bearbeitung von besonders schützenswerten Personendaten – etwa zu Religionszugehörigkeit, politischer Gesinnung und selbst dem Gesundheitszustand.

Die Polizei könnte aber auch Profilings und DNA-Profile erstellen. In einer Form, die gegen das geltende DNA-Gesetz verstosse, moniert der Kanton Zürich in seiner Antwort zur Ende Dezember abgeschlossenen Vernehmlassung. Kantone wie Zürich oder Solothurn lehnen die neuen Zwangsmittel für den Zoll radikal ab: Es wäre ein beispielloser Übergriff auf die polizeiliche Hoheit der Kantone.

«Handwerklich miserabel»

Kritisch sieht den Entwurf entsprechend auch Fredy Fässler, Präsident der kantonalen Justiz- und PolizeidirektorInnenkonferenz. «Oberzolldirektor Christian Bock hat mir im Gespräch zwar versichert, dass sich der Zoll nicht in die Arbeit der Polizei einmischen wolle.» Aber für die Kantone, so Fässler, sei dieser Entwurf rechtsstaatlich dennoch äusserst bedenklich. «Augenscheinlich möchte die Oberzolldirektion damit Sicherheitskompetenzen an sich ziehen.»

Negativ fällt das Urteil des ehemaligen Polizeikommandanten und Verfassungsrechtlers Markus Mohler aus. «Zurück an den Absender», so sein Fazit. Verfassungsrechtlich sei der Fall klar: Die öffentliche Sicherheit im Sinne der Gefahrenabwehr sei Sache der Kantone, der Bund sei hier nur punktuell zuständig. Es gebe leider eine Tendenz zur «Amerikanisierung», sprich: jeder Behörde eine eigene Polizei. Bereits die Regelung im geltenden Zollgesetz – nämlich die Übernahme kantonaler Sicherheitskompetenzen durch das Grenzwachtkorps – sei verfassungsrechtlich nicht abgedeckt. Die Bundesverfassung scheine bestenfalls noch als unverbindliche Empfehlung betrachtet zu werden. Und selbst im Ausländergesetz steht betreffend Zuständigkeit für die Grenzkontrolle: «Die Kantone üben auf ihrem Hoheitsgebiet die Personenkontrolle aus.» Will man das ändern, «wären dafür zunächst die verfassungsrechtlichen Grundlagen zu schaffen».

Der Gesetzesentwurf ist für Mohler aber auch «handwerklich miserabel konzipiert». Mit zahlreichen Generalklauseln schanze sich die Zollbehörde unklar definierte polizeiliche Zwangsmittel zu. «Schwere Eingriffe in die Grundrechte – und darum handelt es sich hier – sind im Gesetz aber bestimmt und konkret auszuführen.» Das gelte insbesondere für die datenrechtlichen Belange. Nur so könne die Rechtsstaatlichkeit solcher Massnahmen geprüft werden. Ihn erstaune, dass dieser Gesetzesentwurf das «juristische Gewissen des Bundesrats», das Bundesamt für Justiz, passieren konnte.

Die Frage drängt sich auf: Was beabsichtigen Oberzolldirektor Christian Bock und sein Chef Ueli Maurer? Wollen sie eine landesweit operierende Migrationspolizei installieren – heute eine Angelegenheit der Kantone? Oder eben eine Art FBI mit nahezu unbeschränkten Möglichkeiten auf die Bevölkerung loslassen? War es ein Versuchsballon? Oder schlicht gesetzgeberische Unfähigkeit? Dass die Kantone empfindlich auf die Verletzung ihrer Hoheitsrechte reagieren würden, war absehbar.

Die WOZ hätte diese Fragen gerne mit Christian Bock erörtert – oder sich die Motive der Gesetzesarchitekten erklären lassen. Die Zollbehörde aber blockte eine Anfrage ab und griff zu einer Ausrede: «Wie bereits angetönt, kommentieren wir die im Zuge der Vernehmlassung eingegangenen Reaktionen zurzeit nicht. Wir sind dabei, die zahlreichen und zum Teil umfangreichen Stellungnahmen auszuwerten, und bereiten einen Ergebnisbericht zuhanden des Bundesrats vor.»

Die Reaktionen von Parteien oder des eidgenössischen Datenschützers verheissen für eine Bundespolizei, die sich Christian Bock und Ueli Maurer offenbar wünschen, nichts Gutes. Der oberste Datenschützer Adrian Lobsiger kritisiert: Er habe die Eidgenössische Zollverwaltung in der Ämterkonsultation vergeblich darauf hingewiesen, dass die vorgesehenen Bestimmungen zur Personendatenbearbeitung aus seiner Sicht gewichtige Mängel aufwiesen. «Diese lassen insbesondere die vom Datenschutzgesetz verlangte Bestimmtheit vermissen, die es der Bevölkerung ermöglichen würde, die in deren Privatsphäre und Selbstbestimmung eingreifenden staatlichen Datenbearbeitungen sowie die ihr dagegen zur Verfügung stehenden Schutzrechte einzuschätzen.»

Zurück auf Feld eins

SP, Grüne und CVP beurteilen die vorgesehene Datensammlerei und die polizeiliche Neuausrichtung des Zolls ebenfalls kritisch bis ablehnend. Die grüne Nationalrätin Regula Rytz sagt: «Was geht hier vor sich? Was bezweckt das Finanzdepartement mit diesem Gesetz? Eine neue, bundespolizeiähnliche Behörde? Das geht gar nicht. Die Schweizerinnen und Schweizer haben solche Versuche bereits zweimal an der Urne abgelehnt. Wir Grüne werden das jedenfalls entschieden bekämpfen.»

Aufgeschreckt ist auch der Verein grundrechte.ch. Dessen Präsident, Anwalt Viktor Györffy, sagt auf Anfrage: «Das ist ein schönes Beispiel für eine Vorlage, in der sich hinter einem unverfänglichen Titel ein Monstrum verbirgt.» Der Zoll würde zu einer Art Superpolizei. «Die Zollbehörde könnte exzessiv Daten sammeln – und wenn dann die Daten schon mal da sind, dann soll darin auch ausgiebig geschnüffelt werden können, unter anderem in Form einer sogenannt computergestützten Risikoanalyse», glaubt Györffy.

Die Kantone gegen sich, zumindest Mitte-Links gegen sich: So wie es aussieht, müssen Maurer und Bock ihre Träume von einer Bundespolizei begraben. Die teure Reform scheint gerade monstermässig zu scheitern.