Freihandel: «Indonesien ist ein Grenzfall»

Nr. 4 –

Ein Vertrag für die Konzerne oder doch ein Paradigmenwechsel für mehr Nachhaltigkeit im Welthandel? SP-Nationalrat Fabian Molina rechtfertigt seine Unterstützung für das Abkommen mit dem Inselstaat.

WOZ: Herr Molina, Sie unterstützen das Freihandelsabkommen mit Indonesien, über das am 7. März abgestimmt wird. Dabei ist klar, wer das Land dominiert: eine Oligarchie, die in den letzten Jahrzehnten über Hunderttausende von Leichen gegangen ist. Stört Sie das nicht?
Fabian Molina: Doch, natürlich. Und die Frage, die sich in dieser Abstimmung stellt, ist auch nicht ganz einfach zu beantworten: Wie schaffen wir es, über die Handelsbeziehungen eine nachhaltigere Entwicklung in Indonesien anzustossen? Es ist ja nicht so, dass wir heute keine Handelsbeziehungen pflegen, heute gilt dabei einfach WTO-Recht. Mit dem Abkommen haben wir es zum allerersten Mal in der Geschichte des Schweizer Aussenhandels geschafft, strenge Nachhaltigkeitskriterien zu etablieren – für das wichtige indonesische Exportgut Palmöl. Heute importiert die Schweiz im Schnitt etwa 30 000 Tonnen Palmöl, mit dem Abkommen würde ein grösserer Teil davon unter strengen Kriterien nachhaltig produziert.

Moment, das müssen wir jetzt näher anschauen: Sie sprechen vom Palmöl, das physisch aus Indonesien in die Schweiz kommt. Das sind rund 800 Tonnen jährlich, also 0,003 Prozent der indonesischen Palmölexporte. Zudem wird die Nachhaltigkeitszertifizierung RSPO, die Sie ansprechen, massiv kritisiert. Stichwort Greenwashing: Es wird etwas als nachhaltig gelabelt, das alles andere als nachhaltig ist. Wir stimmen also über ein umfassendes Abkommen ab – und Sie unterstützen es alleine deshalb, weil auf eine absurd kleine Menge Palmöl eine schwache Zertifizierung draufkommt?
Der Ansatz ist ein Paradigmenwechsel: Erstmals wird die Art und Weise, wie ein Handelsgut entstanden ist, zur Bedingung dafür, dass Zollerleichterungen gewährt werden. Kommt dieser Wechsel, hat das auch eine Hebelwirkung auf das Abkommen zwischen Indonesien und der EU, das derzeit verhandelt wird – und dort geht es dann um viel grössere Mengen Palmöl. Die Frage ist einfach: Was verbessern wir, wenn wir Nein sagen? Ich sage: leider überhaupt nichts, weil der Handel nach wie vor stattfinden wird – aber in Bezug auf das Palmöl weniger fair sein wird.

Natürlich kann man über diese Nachhaltigkeitslabels diskutieren. Auch bei Produkten, die von Max Havelaar zertifiziert sind, gibt es immer wieder Kritik … Aber es ist das erste Mal, dass wir in einem solchen Abkommen nicht nur strengere Kriterien verankert, sondern auch eine innerstaatliche Umsetzung beschlossen haben: Es gibt Strafen, wenn man sich als Importeur nicht daran hält, und das ist ein Stück Konzernverantwortung, die wir in der schweizerischen Aussenwirtschaftspolitik bisher noch nicht kannten.

Zu den «strengen Richtlinien» gibt es eine neue Studie über Sumatra und Kalimantan, also die Gegenden, wo das meiste Palmöl produziert wird: Auf 75 Prozent der heute RSPO-zertifizierten Palmölanbaufläche stand 1990 noch Dschungel – und ein bedeutender Teil davon war damals Lebensraum gefährdeter Tierarten wie des Orang-Utans.
Nach der Revision des RSPO 2018 kann nur noch Palmöl zertifiziert werden, das nicht auf Boden wächst, der nach 2005 abgeholzt wurde. Man kann kritisieren, dass das nicht weit genug geht, ich sage nicht, dass der Standard perfekt ist. Aber über die Zeit schafft das natürlich einen Anreiz, nicht weiter Regenwald abzuholzen.

Der eigentliche Kern des Abkommens ist die Erleichterung von Direktinvestitionen vor Ort. Indonesien war bisher ein relativ protektionistisches Land mit grossen Hindernissen für ausländische Investoren. Das Abkommen ändert das in einer ganzen Reihe von Sektoren, in denen Schweizer Konzerne künftig wie inländische Firmen behandelt würden. Indonesien exportiert etwa sehr viel Kohle nach China, die Credit Suisse ist in dieses Geschäft stark involviert. Auch Glencore würde künftig einfacher an Konzessionen gelangen. Und Nestlé kann seinen riesigen globalen Palmölbedarf einfacher decken. Kurz: Das Abkommen ist ein Abkommen für die Multis, und es steigert den Kapitaldruck auf die indonesischen Ressourcen.
Schauen Sie: Ich habe die Welthandelsordnung nicht gemacht, die ist ungerecht, und deshalb hat sich die Linke immer dafür eingesetzt, den Globalen Süden im Welthandel auf Augenhöhe zu heben. In Bezug auf die natürlichen Ressourcen gibt es leider bereits heute die Möglichkeit, massiv in umweltzerstörerische Produkte zu investieren. Sie haben das auch in Ihrem Artikel in der letzten WOZ erwähnt: Gold beispielsweise ist bereits heute zollbefreit. Und bei Waffen gelten weiterhin die WTO-Tarife. Im Ergebnis überwiegen meiner Meinung nach die Vorteile: Es setzt die Benchmark für alle zukünftigen Abkommen, die die Schweiz aushandeln wird. Denken Sie an den Mercosur-Raum in Südamerika oder an das anstehende Abkommen mit Malaysia, von wo heute fünfzig Prozent des Schweizer Palmöls kommen.

Die indonesische Regierung hat im Schutz der Pandemie die sogenannte Omnibus Bill durchs Parlament gepeitscht: ein umfassendes Gesetz mit dem alleinigen Ziel, ausländische Investitionen anzulocken. Es schränkt die Rechte von Arbeiterinnen und Arbeitern massiv ein, Umweltauflagen werden stark verwässert, die Macht der Zentralregierung gestärkt. Gewerkschaften, Menschenrechts- und Umweltorganisationen haben trotz Pandemie Hunderttausende gegen die neue Investitionspolitik der Regierung mobilisiert und sind auf heftige Repression gestossen – und jetzt kommen Sie und fallen den Genossinnen und Genossen in den Rücken.
Immerhin verstärkt das Abkommen die Verpflichtungen zum Arbeitsschutz. Aber es kann die neoliberale Politik der indonesischen Regierung nicht korrigieren. Und grundsätzlich kann man sagen, dass das Abkommen auch in der indonesischen Zivilgesellschaft umstritten ist. Es gibt sowohl Organisationen, die das Abkommen befürworten, als auch solche, die dagegen sind.

Geben Sie mir ein Beispiel für eine Organisation, die dafür ist.
Also zum Beispiel sagt Walhi – die grösste Umweltorganisation Indonesiens –, dass der neue Ansatz beim Palmöl sehr positiv sei, gerade im Hinblick auf die EU-Verhandlungen. Andere Punkte kritisiert die NGO. Eine Parole hat sie nicht gefasst, da haben Sie recht.

Das Gesetz ist ein Beispiel für eines der Kernprobleme der schweizerischen Aussenpolitik: Was machen Sie, wenn ein Land, mit dem die Schweiz einen völkerrechtlichen Vertrag eingegangen ist, sich nicht an die Verpflichtungen hält? Einerseits kann man diese Verpflichtungen weiterhin einfordern. Andererseits gibt es eine Grenze, etwa im Fall von China oder der Türkei: Hier noch Verträge abzuschliessen, ist blanker Hohn. Bei Indonesien ist es ein Grenzfall: In Sachen Korruption verbessert sich das Land langsam, aber stetig. Auch bei der Demokratisierung steht Indonesien noch immer relativ gut da, besser als Ungarn etwa. Die Frage ist: Wollen wir mit einem Land, das eine eigene politische Kultur hat, überhaupt nichts mehr zu tun haben, oder wollen wir versuchen, Einfluss zu nehmen? In Bezug auf Indonesien ist das keine triviale Frage.

Fabian Molina, SP-Nationalrat

Es ist das erste Mal, dass wir über ein Freihandelsabkommen abstimmen. Das wäre doch auch eine Gelegenheit, gegen das herrschende System als solches zu mobilisieren.
Ich habe mich stark dafür eingesetzt, dass wir das Abkommen mit China kündigen, solange wir keine verbindlichen Kriterien darin haben. Ich habe mich dagegen gewehrt, dass man das Abkommen mit der Türkei revidiert, indem man allgemeine schöne Sätze zu Menschenrechten und Nachhaltigkeit reinschreibt, obwohl seitens der türkischen Regierung überhaupt kein Wille besteht, diese auch einzuhalten. Ich werde mich mit Händen und Füssen dafür einsetzen, dass es beim Abkommen mit den Mercosur-Staaten in Bezug auf Soja mindestens die gleichen Regeln gibt wie jetzt beim Palmöl mit Indonesien. Ich halte es aber für falsch, ausgerechnet das Indonesien-Abkommen abzuschiessen, wo man doch für künftige Verhandlungen darauf aufbauen könnte. Und wenn wir merken, dass beim nächsten Abkommen diese Standards nicht mehr eingehalten werden, gehen wir auf tutti und bekämpfen es mit allem, was wir haben.