Politischer Roman: Feltrinelli und die Folgen
In seinem neu aufgelegten Roman «Der Verleger» verarbeitet Nanni Balestrini (1935–2019) ein düsteres Kapitel linker Politik in Italien.
Als Hommage an einen seiner produktivsten Autoren hat der kleine, in Hamburg und Berlin ansässige Verlag Assoziation A einen erstmals 1992 auf Deutsch erschienenen Roman neu herausgebracht: Nanni Balestrinis «Der Verleger», ein politisch wie formal radikales Werk, geschrieben von einem Künstler, der zugleich revolutionärer Aktivist war.
1968 Mitbegründer der linksradikalen Gruppe Potere Operaio (Arbeitermacht), geriet Balestrini später als Unterstützer der Autonomia Operaia und der militanten 1977er Bewegung ins Visier des Staatsschutzes. Gerade noch rechtzeitig konnte er im April 1979 auf Skiern über die Alpen fliehen und sich nach Paris absetzen. Erst 1984 wurde die Anklage gegen ihn fallen gelassen, und er konnte nach Italien zurückkehren.
Der Gang in den Untergrund
Wieder gelesen nach fast drei Jahrzehnten, verblüfft «Der Verleger» durch seine noch immer aktuellen Fragen an linke Politik – obwohl die darin verarbeitete Geschichte fast fünfzig Jahre zurückliegt. Es geht um den nie aufgeklärten Tod von Giangiacomo Feltrinelli, dem reichen Gründer des Verlags und der Buchhandlungen, die bis heute seinen Namen tragen. Feltrinelli – in Balestrinis Roman konsequent «der Verleger» genannt – starb im März 1972 durch die Explosion einer Bombe, angebracht an einen Strommast bei Segrate, am Stadtrand von Mailand. «Weshalb zieht ein reicher Mann ein Millionär wie der Verleger alleine los um eine Dynamitladung an einem Strommast anzubringen», lautet eine der Fragen, die 1989 eine Gruppe linker Intellektueller in einem Film über den Verleger klären will.
Das ist die Rahmenhandlung, die Balestrini – wie immer konsequent auf jede Art von Satzzeichen verzichtend – seinem Roman zugrunde legt. Erzählt wird sie in den geraden der insgesamt zwölf Kapitel. Zu den ProtagonistInnen, die mit einiger Sicherheit real existierenden Personen nachempfunden sind, gehören: sie und er (ein Paar in der Krise), der Blonde, die Journalistin, der Buchhändler, der Comandante (ein ehemaliger Partisan). In den ungeraden Kapiteln finden sich weltpolitische Nachrichten, Ermittlungsergebnisse und zynische Kommentare zur Person des verstorbenen «Abenteurers», «gigantisch BESEssENEN» und «Playboys der Revolution». So sehen ihn grosse Teile der Medien und ein seitenlang psychologisierender Grossbürger. Für ihn wurde der reiche Mann, der seine Klasse verriet, Opfer einer «Geistesverwirrung» und seines Hangs zu den «Helden der proletarischen Revolte und der Anarchie».
In den Diskussionen der letztlich scheiternden Filmcrew wird dagegen deutlich, dass der reale Feltrinelli sehr ernsthafte Gründe hatte, in den Untergrund zu gehen und sich – in der Tradition des antifaschistischen Widerstands der Resistenza – auf die militärische Konfrontation mit der subversiven Rechten vorzubereiten. Nach dem «Staatsmassaker» von Mailand im Dezember 1969 (siehe WOZ Nr. 49/2019 ) und dem abgebrochenen Putschversuch des Fürsten Valerio Borghese ein Jahr später war es keineswegs paranoid, das Schlimmste zu befürchten. Balestrini macht in seinem Roman die damals weitverbreitete Anspannung fühlbar, die nicht nur die radikale Linke erfasste. Im vorletzten Kapitel schildert er das Begräbnis des Verlegers in Mailand, einer von der Polizei besetzten Stadt. Junge Linke schwören Rache, weil sie an Mord glauben – eine These, die bis heute weiterlebt. Wahrscheinlicher ist, dass Feltrinelli durch einen Unfall zu Tode kam. Nach der fatalen Explosion floh ein mitbeteiligter Genosse in Panik, statt wie geplant einen zweiten Strommast zu sprengen. Ziel der Aktion war gewesen, grosse Teile Mailands zu verdunkeln, um Aktionen militanter Gruppen zu erleichtern. So steht es im letzten Kapitel und auch in der letzten von dreizehn Anmerkungen, die dem Text hinzugefügt sind.
Ein unschuldiges Opfer?
Balestrini allerdings geht es mit seinem Roman weniger um die Aufklärung eines «Falles» als um dessen Wirkungen auf eine Generation junger Linker. Dabei war Feltrinellis Tod nicht die alleinige historische Zäsur, als die sie an einigen Stellen erscheint. Hinzu kam die gescheiterte Revolte des Jahres 1977, ein Jahr später die Entführung und Ermordung des ehemaligen Ministerpräsidenten Aldo Moro durch die Roten Brigaden. Am Ende der siebziger Jahre sassen Hunderte militante AktivistInnen für viele Jahre im Gefängnis wegen der ihnen unterstellten oder tatsächlichen Beteiligung am bewaffneten Kampf, der nicht zu gewinnen war.
Weit davon entfernt, über die gescheiterten Revolten zu urteilen, richtet Balestrini den Blick auch auf die linksliberalen SympathisantInnen, die sich eine moralisch saubere Bewegung wünschten. Für sie kam die Gewalt stets von rechts – entsprechend bereitwillig übernahmen sie die Mordthese, die aus dem Guerillero ein unschuldiges Opfer machte. Während sich viele von ihnen von den militanten Revolutionsversuchen abwandten, radikalisierte sich eine «neue rebellische Generation», so Balestrinis Verleger Theo Bruns in seinem Vorwort. Das überschwängliche Lob für den «Autor und Compagno Nanni» mag befremdlich – weil vom Geschäftsinteresse geleitet – klingen, berechtigt ist es dennoch: Balestrini «ist und bleibt der grosse, unübertroffene Romancier der italienischen Revolte».
Nanni Balestrini: Der Verleger. Roman. Aus dem Italienischen von Christel Fröhlich und Andreas Löhrer. Assoziation A. Berlin und Hamburg 2020. 160 Seiten. 28 Franken