Unterstützung für Kulturschaffende: Durch den Dschungel der Entschädigungen

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Auch nach elf Monaten Pandemie sind viele Kulturschaffende mit der Bürokratie bei Entschädigungsansprüchen überfordert. Nun gehen Zürich und Basel-Stadt voran und garantieren ihnen eine Existenzsicherung. Eine solche bräuchten jedoch eigentlich auch andere Berufsgruppen.

Noch immer erreicht die Coronahilfe nicht alle. Anruf bei einer Lichtdesignerin am Dienstag: «Letzten März kam ich gerade von einer wegen der Pandemie abgebrochenen Tour zurück», erzählt sie. «Ich hatte keine Ersparnisse und geriet so sehr in Panik, dass ich mir sofort einen Job suchte.» Innert einer Woche fand sie eine Anstellung im Lager eines Onlineversandriesen. Seit einem halben Jahr bleibt ihr aber wieder bloss ein Minijob in einem Kulturbetrieb.

Von der Nothilfe für Kulturschaffende, die der Verein Suisseculture Sociale koordiniert, weiss sie nichts. Die Wegleitung, wie Selbstständige die Coronaentschädigung über die Erwerbsersatzordnung (EO) beantragen, ist in ihrem Kanton weniger gut zugänglich als etwa in Zürich. Die Lichtdesignerin glaubte, sie habe keinen Anspruch, will es nun aber nochmals versuchen: «Man kann mich dumm nennen, oder man kann anerkennen, dass die Bürokratie viele überfordert, die sie nicht selbst ausgestalten.»

Beschämende Zahlenschieberei

Es ist also wahr, wenn die Zürcher Regierungsrätin Jacqueline Fehr sagt, dass die bisherigen Entschädigungsmodelle Kulturschaffende überfordern. Gegenwärtig planen die Kantone die Wiedereinführung der Härtefallgelder für selbstständige Kulturschaffende, die das Parlament im Dezember beschlossen hat. 26 Kantone richten eigene Formulare, Anträge, Gesuchsplattformen ein. Geht es nach dem Bundesamt für Kultur, das die Hälfte der Kosten tragen soll, müssen Kulturschaffende einen Ausfall nachweisen. Die AntragstellerInnen müssen dazu die Monatseinkünfte aus den zwei letzten Jahren vor der Pandemie auflisten. Damit führen diese Ausfallentschädigungen zu noch mehr Bürokratie und erreichen trotzdem nicht alle.

Ein Musiker ächzt, wenn man ihn fragt, wie er zu seinem Geld kommt. Seit Herbst muss er, um EO-Entschädigungen zu erhalten, jeden Monat nachweisen, dass sein Umsatz sehr viel tiefer ist als im Schnitt der letzten fünf Jahre. Vor fünf Jahren startete der junge Musiker aber erst in die Selbstständigkeit. Heute ist er Vater einer Tochter. Sein Umsatz und seine Lebensverhältnisse haben sich gewandelt. Damit er in so vielen Monaten wie möglich Anrecht auf EO-Entschädigungen hat, schaut er, dass sich das verbliebene Einkommen auf möglichst wenige Monate konzentriert. Es ist eine beschämende Zahlenschieberei. Will er Ausfallentschädigungen, verdoppelt sich sein Aufwand nochmals.

Die Regierungen von Basel-Stadt und Zürich roden diesen Entschädigungsdschungel. Das von Jacqueline Fehr im Januar vorgestellte Ersatzeinkommen von 3840 Franken für selbstständige Kulturschaffende kommt. Zwar befinde sich die Zürcher Kulturdirektorin gegenwärtig noch in Verhandlungen mit dem Bundesamt für Kultur, teilt Fehrs Sprecher mit. Doch an der Finanzierung soll es nicht scheitern. «Die Zürcher Kulturschaffenden werden nicht leer ausgehen», sagt er. «Bewilligtes, bisher nicht benutztes Geld steht zur Verfügung.»

Auch Basel-Stadt hat diese Woche ein Taggeld für Kulturschaffende beschlossen. «Die Abwicklung der Bundeshilfen dauert zu lange, und viele Kulturschaffende sind von diesen Hilfen ausgeschlossen», so der Basler Regierungspräsident Beat Jans. Sechs Millionen Franken reserviert Basel-Stadt für ein neues Taggeld, das – anders als in Zürich – auch Kulturschaffende beantragen können, die nicht selbstständig abrechnen, sondern die wie viele TechnikerInnen auf Abruf angestellt sind oder für jedes Theaterprojekt einen neuen Arbeitsvertrag erhalten.

Damit erreicht das Basler Modell wohl noch mehr Menschen als das Zürcher Konzept. Basel zahlt ein Taggeld von 98 Franken an diejenigen, die darauf angewiesen sind; Eltern profitieren von Freibeträgen. Wer beispielsweise zwei Kinder hat, hat Anrecht auf das volle Taggeld – selbst wenn aus verbliebenen Einkünften, Nothilfe oder EO bis zu 2500 Franken im Monat zusammenkommen.

Und die anderen?

Zürich und Basel zeigen, was möglich ist. Allerdings besteht dabei die Gefahr, dass eine Berufsgruppe gegen die andere ausgespielt wird. Die Linke fordert daher auch generelle Lösungen: «Die Entschädigungen sind für viele Selbstständige ungenügend, und der bürokratische Aufwand ist auf beiden Seiten gewaltig, sowohl für die Betroffenen wie die Behörden», sagt etwa SP-Kopräsidentin und Nationalrätin Mattea Meyer.

Das Covid-19-Gesetz wird in der Frühjahrssession nochmals diskutiert, Änderungen wären möglich – auch zugunsten von Bundesgeldern für eine Existenzsicherung à la Fehr. «Seit Beginn fordern wir als unbürokratische und zielgerichtete Unterstützung einen EO-Mindestsatz, wie er bei Militär- und Zivildienst üblich ist – für alle Selbstständigen aller Branchen und in allen Kantonen», so Meyer.

Hätte der Bundesrat oder das Parlament bei der EO bereits im letzten Frühjahr die Schwellen gesenkt und existenzsichernde Mindestsätze beschlossen, gäbe es schon lange rasche und unbürokratische Hilfe – ohne dass Kulturschaffende und andere Selbstständige gegeneinander ausgespielt werden. Meyer reichte im Mai 2020 einen Vorstoss für EO-Mindestsätze ein, der abgelehnt wurde. Eventuell wird sie nun nochmals einen Anlauf wagen.