Demokratiekrise in den USA: Was auf dem Spiel steht
Bedeutet das jüngste Impeachmentverfahren den Anfang der Post-Trump-Ära? Oder gibt es denjenigen Kräften Auftrieb, die um jeden Preis siegen wollen?
Das Präsidialsystem der USA sei praktisch eine Einladung zum Putsch, schrieb das linke Magazin «The Nation» nach dem Sturm aufs Kapitol und dem Impeachmentverfahren gegen den obersten Putschisten. Die USA müssten angesichts der jüngsten Ereignisse von der politisch instabilen präsidentiellen Demokratie abkommen und eine parlamentarische Demokratie werden. Das ist an sich ein vernünftiger Vorschlag. Allerdings ziemlich unrealistisch für ein Land, das seine Präsidenten verherrlicht wie Popstars.
Dabei ist das politische System der USA nicht erst seit Donald Trump dysfunktional. Das US-amerikanische Wahlrecht – Majorz statt Proporz – gibt kleineren Parteien kaum eine Chance. Es begünstigt ein starres Zweiparteiensystem und polarisiert die beiden Lager bis zur Unversöhnlichkeit. Die meisten republikanischen Kongressmitglieder sind zurzeit nicht daran interessiert, den neu gewählten Joe Biden beim Regieren zu unterstützen. Denn jeder Erfolg des demokratischen Präsidenten wird als Erfolg «seiner» Partei gewertet und schwächt somit die Position des eigenen Blocks. Und wenn ein US-Regierungschef – zum Beispiel Donald Trump – über die Stränge schlägt, können unzufriedene GesetzgeberInnen in einer präsidentiellen Demokratie kein Misstrauensvotum gegen die Regierung aussprechen. Es bleibt ihnen einzig das umständliche Instrument des Amtsenthebungsverfahrens.
Ein politischer Prozess
Fünf Impeachments sind seit der Unabhängigkeitserklärung der amerikanischen Kolonien im Jahr 1776 angestrebt worden, die letzten zwei im 21. Jahrhundert gegen Donald Trump. Keines der Verfahren hat bisher zur Absetzung eines Präsidenten geführt. Richard Nixon ist einer möglichen Verurteilung 1974 mit seinem Rücktritt zuvorgekommen. Bill Clinton (Lewinsky-Affäre, 1998) und Donald Trump (Machtmissbrauch in der Ukraine, 2019) entgingen der Verurteilung im Senat dank der Loyalität ihrer Hauspartei. Und wegen der für das Urteil erforderlichen Zweidrittelmehrheit.
Nach dem von Donald Trump angeheizten Sturm aufs Kapitol am 6. Januar versuchten die DemokratInnen das Unmögliche ein weiteres Mal. Wenn diese Anstiftung zum Umsturz kein Grund für ein Impeachment sei, könne man den Artikel auch ganz aus der US-Verfassung streichen, meinten die KlägerInnen. Nach der Präsentation der Sachlage wollten 57 SenatorInnen (50 DemokratInnen, 7 RepublikanerInnen) den abgewählten Präsidenten zur Verantwortung ziehen. 43 RepublikanerInnen bestanden weiterhin auf seiner Unschuld. Kein Wunder, schliesslich sind sie selber MittäterInnen und verbreiten immer noch die grosse Lüge von Trumps «Erdrutschsieg».
Da das Impeachment trotz des Auftritts von AnwältInnen, trotz Beweisaufnahme und Plädoyers kein juristischer, sondern ein politischer Prozess ist, deuten nun beide Seiten das vergleichsweise klare und parteiübergreifende Ergebnis als Sieg für ihre eigene Sache.
Die DemokratInnen – zusammen mit einer Handvoll moderater RepublikanerInnen – sehen das Impeachment als ersten Schritt zur Schwächung von Trumps politischem Einfluss. Bereits sind im Kongress weitere Untersuchungen zum Aufstand vom 6. Januar und zu Donald Trumps illegalen Nachwahlmanövern angesagt. Auch gibt es in verschiedenen US-Bundesstaaten, zum Beispiel in Georgia, Strafuntersuchungen, weil Trump versucht hat, Staatsbeamte zu erpressen. Eine solide Mehrheit der US-AmerikanerInnen ist heute der Meinung, der abgewählte Präsident habe den Sturm aufs Kapitol angeheizt und die Gewalt und die Bedrohung der gewählten PolitikerInnen stundenlang geduldet. Diese Mehrheit will nicht, dass Donald Trump je wieder ein politisches Amt ausübt.
Auf der anderen Seite feiern drei Viertel aller RepublikanerInnen Donald Trump weiterhin als Superstar. «Die Trump-Bewegung ist gesund und munter», prahlte der langjährige Senator Lindsey Graham aus South Carolina am Sonntagabend im Gespräch mit Fox News. «Donald Trump ist die stärkste Figur in der Republikanischen Partei. Wir brauchen Trump.» Graham hatte Trump unmittelbar nach dem Aufstand scharf kritisiert. Nun ist er umgeschwenkt. Seine Begründung für den Sinneswandel: «Ich gewinne halt gern.»
Privilegien und Plutokratie
Doch wie kann eine Partei noch gewinnen, die zunehmend eine Minderheitspartei ist? Eine Partei, die gegen den Strom der demografischen Entwicklung – immer mehr jüngere WählerInnen, immer mehr People of Color – schwimmt? Wie kann eine Partei überleben, die den gesellschaftlichen Wandel der USA hin zu einer multiethnischen Demokratie ablehnt und überholte Partikularinteressen und Privilegien – vorab White Supremacy und Plutokratie – bewahren oder wiederherstellen will?
Wer Trump braucht, um die Oberhand zu behalten, hat sich längst von der Demokratie verabschiedet. Die Unterdrückung von Stimmen, insbesondere von Schwarzen Stimmen, und die Manipulation von Wahlkreisgrenzen (sogenanntes Gerrymandering) gehören seit langem zum Repertoire der Republikanischen Partei. In den letzten Jahren sind rechtspopulistische Versatzstücke wie die Verteufelung der «anderen», die Überhöhung der eigenen Führerfigur und eine allgemeine Panikmache hinzugekommen.
Nach dem jüngsten Impeachment sagte Adam Kinzinger, ein wegen seiner Kritik an Trump geächteter republikanischer Abgeordneter aus Illinois, über seine Partei: «Wir fürchten die Demokraten. Wir fürchten die Zukunft. Wir fürchten alles und jedes. Das mag für einen Wahlzyklus oder zwei funktionieren. Doch es fügt unserer Demokratie echten Schaden zu.» Genau das will aber der Trumpismus. Doch ist er vorläufig noch in der Minderheit.