Nein zur E-ID: Verstehen Sie nur Bahnhof?
In der Debatte rund um die E-ID laufen die Nerds zur Hochform auf. Sie streiten, ob die elektronische Identität, mit der sich UserInnen im digitalen Raum zweifelsfrei ausweisen können, nun ein Pass sei oder ein Login. Ob es Identity-Provider brauche oder was die Kontrollbehörde EIDCOM bringe. Wer ob alldem nur Bahnhof versteht, ist hier an der richtigen Stelle.
Am 7. März geht es nicht um technische Details, sondern um eine fundamentale Frage. Wie soll der Service public im 21. Jahrhundert ausgestaltet werden? Um die weitreichenden Folgen zu verstehen, blättert man am besten zurück in die Vergangenheit, und zwar fast genau 170 Jahre. Damals stellte der noch junge Bundesstaat die Weichen für den Eisenbahnbau.
Am 28. Juli 1852 obsiegten im Nationalrat die Anhänger von Privatbahnen über diejenigen einer Staatsbahn. Der Bund musste sich heraushalten, die Konzessionen erteilten die Kantone. Die Linien bauen und betreiben durften Private. Damit setzte sich der Grosskapitalist Alfred Escher durch und prägte die Geografie der Schweiz neu: Zürich, damals weniger bedeutend als Bern, Basel oder Genf, stieg mit der Nord-Süd-Verbindung durch den Gotthard zur Wirtschaftsmetropole der Schweiz auf.
Beim Vorschlag zur E-ID ist das Vorgehen vergleichbar. Der Bund will sich vornehm zurückhalten, die E-ID nur kontrollieren. Herausgeben sollen sie private Konsortien. Wie beim Eisenbahnbau, der ungeahnte Spekulationsmöglichkeiten eröffnete, stehen Banken, Versicherungen und staatsnahe Unternehmen bereits Schlange: Vereint in der Swiss Sign Group warten sie auf den grossen Gewinn.
Die E-ID ist in dreierlei Hinsicht auf ihre reine Kommerzialisierung angelegt: Zum Ersten können die privaten Konsortien mit der Herausgabe der E-ID an die UserInnen ein Geschäft machen. Zum Zweiten soll eine möglichst hohe Marktdurchdringung erreicht, die E-ID also nicht nur für Behördengänge, sondern selbst fürs Onlineshopping verwendet werden. Und drittens wird sich das System für den Betrieb der E-ID im Eigentum von Privaten befinden, auch wenn es nur aus Bits und Bytes besteht.
Die BefürworterInnen behaupten, der Staat sei zur Herausgabe der E-ID nicht fähig. Doch das täuscht nur darüber hinweg, dass hier vorauseilend eine Infrastruktur privatisiert wird, bevor sie überhaupt erstellt ist.
Wie böse das enden kann, zeigt die Geschichte des Eisenbahnbaus. Nach dem Beschluss von 1852 brach das Eisenbahnfieber aus, nur zwanzig Jahre später waren mehr als tausend Kilometer Schienen verlegt. Doch, schreibt der Industriehistoriker Hans-Peter Bärtschi in seinem neusten Buch «Schweizer Bahnen»: «Das im ersten Eisenbahngesetz verankerte Laisser-faire sollte zum ruinösen Kampf zwischen privat geführten Unternehmen ausarten.» Doppelspurigkeiten im Wortsinn entstanden, Regionalmonopole blockierten Verbindungen, Unternehmen trieben sich in den Ruin. Am Ende musste der Bund die Bahnen verstaatlichen, 1902 entstand die SBB, der heutige Inbegriff für den Service public.
Auch eine E-ID sollte sich am Gedanken einer öffentlichen Dienstleistung orientieren. Wird die jetzige Vorlage am 7. März abgelehnt, liegen die Fragen dafür wieder auf dem Tisch: Wie kann die elektronische Identität sicher, datensparsam und kostengünstig gestaltet werden, im Interesse von BürgerInnen, nicht von KundInnen? Daraus könnte eine Vision für einen Service public im 21. Jahrhundert erwachsen, bei dem es neben der E-ID noch um viele weitere Fragen der digitalen Demokratie gehen würde.
So betrachtet wird auch klar, welche Identität bei der E-ID eigentlich verhandelt wird: eine kollektive Identität fern nationalistischer Anklänge. Auf den Service public, der allen gehört, können ja auch alle ein bisschen stolz sein. Schliesslich wollen wir doch auch in Zukunft auf die Infrastruktur zeigen und den alten, märchenhaften Satz aussprechen können: Nein, diese Besitztümer gehören nicht dem König, nicht den Superreichen und nicht den AktionärInnen der Swiss Sign Group. Diese E-ID gehört uns allen!