Das Eichwäldli in Luzern: Tief in der Sackgasse
In Luzern spitzt sich die Situation rund um die Eichwäldli-Belebung zu: Die Baudirektion will das Haus abreissen lassen, die BewohnerInnen fühlen sich übergangen. Einmal mehr macht die Stadtregierung in der Freiraumdebatte einen unbeholfenen Eindruck.
Bereits seit einem Monat ist es nun eingepfercht, das kleine Haus am Murmattweg im Süden der Stadt Luzern. Hinter den Absperrgittern ist es eng geworden für die Familie Eichwäldli: Die Stadtregierung hat vor drei Wochen eine Strafanzeige eingereicht. Diese wurde von der Staatsanwaltschaft zwar zurückgewiesen, wie das Kollektiv am Mittwoch erfuhr. Das verschafft für den Moment wohl etwas Luft, eine Räumung droht mittelfristig dennoch.
Die Baudirektion will die einstige Soldatenstube, Baujahr 1935, möglichst rasch abreissen. Nicht etwa, weil unmittelbarer Nutzungsbedarf bestünde: Auf dem Areal gilt wegen eines potenziell darauf geplanten Autobahnzubringers ein Baustopp, der noch Jahrzehnte anhalten könnte. Die Stadt als Eigentümerin führt hingegen statische Gründe an: Die Mängel seien zu gravierend, eine Sanierung nicht verhältnismässig, das Personenrisiko nicht tragbar.
Es werde ein simpler Abriss auf Vorrat erzwungen, argumentieren hingegen die BewohnerInnen. Der Zustand des Gebäudes sei weit weniger dramatisch als dargestellt, ein Erhalt nie ernsthaft in Erwägung gezogen worden. Die Kosten für eine Instandsetzung würden sie nötigenfalls auch selber tragen. Nach vielen Monaten gescheiterter Gespräche, verstrichener Ultimaten und juristischer Befreiungsversuche ist die Situation verfahren.
Gespräche als Infoveranstaltungen
Was mit dem Eichwäldli verschwinden würde, sei eine Art solidarischer Knotenpunkt in Luzern, sagen die BewohnerInnen Olivia und Savino, deren Nachnamen hier nicht stehen sollen. Ihre Wohngemeinschaft übernahm das Haus im Sommer 2018, als es noch einen Mietvertrag gab. Mal wohnten mehr, mal weniger Leute hier, teils auch in den Bauwagen, die hinten im Garten vor dem kleinen Waldstück stehen.
Zwar gibt es im Raum Luzern derzeit noch einige weitere alternative Wohnprojekte, aber etwas speziell sei das Eichwäldli schon: wegen seiner zentralen Lage in der Stadt und weil es zu einem wichtigen Bezugspunkt und Begegnungsort geworden sei. «Wir haben eine Werkstatt im Keller und viel elektronische Infrastruktur hier gelagert, auf die befreundete Kollektive immer wieder zurückgreifen können», sagt Olivia. Man verstehe sich nicht nur als Wohn- und Freiraum, sondern sehr stark auch als Teil anderer politischer Projekte.
«Aufgrund unserer Organisationsstruktur können wir bei Bedarf kurzfristig und flexibel Ressourcen freimachen», sagt Savino. Nicht nur wenn Demowagen gebaut oder Aktionen geplant werden müssten, sondern etwa auch, wenn Menschen eine temporäre Bleibe suchten oder eine Familie, der die Ausschaffung drohe, Unterstützung bei der Kinderbetreuung brauche.
Entsprechend ist das Haus für die BewohnerInnen keine Verhandlungssache. Ihren finalen Beschluss zum Abriss eröffnete die Stadtregierung den BewohnerInnen im vergangenen August, kurz bevor der Gebrauchsleihvertrag auslief – und sie erkundigte sich gleichzeitig, ob das Kollektiv an einer Zwischennutzung der künftigen Brache interessiert sei. Die Antwort aus dem Eichwäldli folgte in Form eines dadaistischen Gedichts.
«Das hat das Fass wohl etwas zum Überlaufen gebracht», sagt Savino. In seinen Augen hat die Stadtregierung nie einen echten Austausch auf Augenhöhe gesucht, auch wenn Treffen mit Baudirektorin Manuela Jost (GLP) und Stadtpräsident Beat Züsli (SP) stattgefunden hätten. «Das war eher wie an einer Infoveranstaltung», sagt Savino. «Sie sagten einfach: Das hier ist die Sachlage, ihr könnt dazu noch Ja oder Nein sagen.»
Stadträtin Jost sieht das anders, wie sie auf Anfrage schreibt. Die Stadt habe immer nach gemeinsamen Lösungen gesucht. «Nachdem während zwei Jahren auf allen Stufen Gespräche stattfanden, ist es bedauerlich, wenn die Familie Eichwäldli den Eindruck hat, nicht ernst genommen zu werden», so Jost.
Anfangs hätten auch sie sich um den Zustand der Soldatenstube Sorgen gemacht, sagen Olivia und Savino. «Vertrauenswürdige Fachpersonen versicherten jedoch: Das ist ein Holzbau, der stürzt nicht von heute auf morgen ein», so Savino. Diese Woche war mit einer ExpertInnengruppe eigentlich eine Besichtigung vereinbart, um eine Beurteilung erstellen zu lassen. Seit das Grundstück eingezäunt ist, würden sich die Fachpersonen beim Betreten aber strafbar machen.
Die Stadt hat vergangene Woche bereits einen «partizipativen Prozess» für die Nutzung der Brache nach dem Abriss gestartet, zusammen mit der Hochschule Luzern und betreut von einer Basler Agentur. Beteiligt ist unter anderem der örtliche Quartierverein Obergrund, dessen Kopräsident Andreas Gervasi, selber Architekt, sich für den Erhalt des Eichwäldli-Gebäudes einsetzt. Gervasi sagt: Er kenne die Vorgeschichte zwischen Stadtrat und BewohnerInnen zwar nicht genau, «aber die Familie Eichwäldli ist eigentlich ein Player, der die Vorstellungen der Stadt für diesen Ort jetzt schon am besten erfüllt». Auch er hat den Eindruck, dass der Stadtrat nicht wirklich mit sich habe reden lassen, «für den Erhalt der Soldatenstube gab es kaum Spielraum».
Die Stadt gab sich zuletzt betont unbeirrt in ihrem Vorgehen. Dabei erhielt das Eichwäldli viel Unterstützung: vom Innerschweizer Heimatschutz etwa sowie von einer Architektengruppe, die der Soldatenstube eine «kulturhistorische, städtebauliche, freiräumliche und architektonische Bedeutung» beimisst. Und das Stadtparlament überwies ein Postulat, in dem ein Verzicht auf den Abriss gefordert wird.
Zeichen der Unterstützung
Überhaupt geniesst das Eichwäldli in der kleinen Stadt grosse Sympathien, davon zeugen die weissen Fahnen mit «Eichwäldli bleibt!»-Aufdruck, die vielerorts von Balkonen wehen, und das Piktogramm mit Eichenblatt, Herz und Faust, das auf so manche Wand gemalt ist. Hunderte kamen Ende Januar, um bei garstigem Regen gegen den Abriss zu demonstrieren. Der Umzug mit Liveband führte an neuralgischen Punkten der Luzerner Freiraumdebatte vorbei, die in den vergangenen Jahren einiges an Fahrt aufgenommen hat.
Die Stadtregierung bekundet Mühe, damit einen Umgang zu finden; sie engagiert sich einerseits tatkräftig für Zwischennutzungsprojekte, tut dies andererseits aber mit dem erklärten Ziel, Besetzungen zu verhindern. Demgegenüber steht im Eichwäldli-Manifest: «Wir sind kein städtisches Soziokulturprogramm», und: «Wir sind ein Beweis dafür, dass nicht alles geplant oder konzeptualisiert werden muss, damit es funktioniert.»
Es dürfte genau diese Haltung sein, die in der Stadtregierung ein Unbehagen ausgelöst hat. Sie reagierte mit sehr formalistischen Argumenten – und fand sich in einer Sackgasse wieder. Offensichtlich sah sie als einzig möglichen Ausweg eine Strafanzeige. Damit hat sie die Familie Eichwäldli öffentlich kriminalisiert. Seit der jüngsten Wende ist klar: Darüber muss zuerst ein Gericht entscheiden.