Schweiz–China: Devot im ewigen Dialog
Die Unterdrückung der uigurischen Minderheit in der chinesischen Provinz Xinjiang ist so gut dokumentiert, dass in den Niederlanden, Kanada und den USA offizielle Stellen inzwischen von Genozid sprechen.
Im November 2019 offenbarten die «China Cables», geleakte Dokumente der chinesischen Regierung, ein umfassendes Unterdrückungs- und Überwachungssystem. In Xinjiang sollen rund 380 Umerziehungs- und Internierungslager bestehen, wie Auswertungen von Satellitenbildern, Bauausschreibungen und Augenzeugenberichte ergeben haben. Nach der «Umerziehung» werden Hunderttausende UigurInnen zur Arbeit in der Landwirtschaft, im Textilgewerbe oder in Fabriken gezwungen.
Der US-amerikanische Anthropologe Darren Byler beschreibt dieses brutale Unterdrückungsregime treffend als «Terrorkapitalismus»: Die UigurInnen werden unter dem Vorwand des Terrorverdachts unterdrückt, zur Zwangsarbeit gezwungen, zu «Billigarbeitskräften» gemacht. So sichert China seine Rolle als Niedriglohnstandort für die globale Konsumgüterproduktion.
Und wie reagiert die Schweiz? Aussenminister Ignazio Cassis präsentierte Ende letzter Woche die «China-Strategie 2021–2024». Diese bildet nun den «Orientierungsrahmen für die Schweizer China-Politik» und ist ein sehr schweizerisches Dokument. Einerseits besteht es aus einer nüchternen Analyse, die etwa die zunehmende militärische Aufrüstung thematisiert und offen Kritik an der Menschenrechtslage in Tibet sowie in Xinjiang formuliert. Andererseits enthält sie kein daran angepasstes Handlungskonzept. Die bilateralen Beziehungen sollen vielmehr so weitergeführt werden wie bisher. Bezüglich Menschenrechten will der Bundesrat auf einen «konstruktiv-kritischen» Dialog setzen – wie er das bereits seit 1991 ohne erkennbare Fortschritte tut.
Zumindest hätte der Bundesrat die über tausend Schweizer Firmen, die in China aktiv sind, in die Verantwortung nehmen müssen. Sie profitieren von den Rahmenbedingungen, einige weisen gar direkte Verbindungen zur Textilindustrie in Xinjiang auf: Rieter (Textilmaschinenhersteller), Uster Technologies (Messinstrumente) oder Saurer (Spinnmaschinenmontage) beispielsweise.
Hebel lägen vor: Vor einem Jahr verabschiedete der Bundesrat den Nationalen Aktionsplan zur Umsetzung der Uno-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte. Der Bundesrat will die Unternehmen damit für ihre menschenrechtliche Verantwortung sensibilisieren und Sorgfaltsprüfungen «fördern». In der «China-Strategie» fehlt jeder Hinweis auf den Aktionsplan. Bestenfalls erhöht der demnächst in Kraft tretende Gegenvorschlag zur Konzernverantwortungsinitiative den Druck. Bisher sind darin Sorgfaltspflichten und Transparenz bezüglich Mineralien und Metallen aus Konfliktgebieten und Kinderarbeit vorgesehen. Nun hat GLP-Nationalrätin Corina Gredig eine parlamentarische Initiative eingereicht, die verlangt, dass der Geltungsbereich auf Zwangsarbeit erweitert wird.
Die letztlich devote Haltung des Bundesrats – namentlich von Aussenminister Ignazio Cassis – gegenüber China erklärt sich aus der grossen wirtschaftlichen Abhängigkeit: Das Land ist nach der EU und den USA der drittwichtigste Handelspartner. Und der Bund hat die wirtschaftlichen Verbindungen in letzter Zeit kräftig ausgebaut, etwa mit dem Freihandelsabkommen, das seit 2014 existiert, oder der vor zwei Jahren per Absichtserklärung beschlossenen vertieften Zusammenarbeit beim gigantischen chinesischen Infrastrukturprojekt «Neue Seidenstrasse».
Aussenpolitisch gefährdet der Bundesrat mit diesem Kurs zunehmend die Reputation der Schweiz. Auch innenpolitisch ist er nicht mehr mehrheitsfähig, wie die Abstimmung zur Konzernverantwortungsinitiative zeigte. Eine sinnvolle Strategie kann angesichts der zunehmend totalitären und aggressiven (Aussen-)Politik Chinas nur im Abbau der derzeit grossen wirtschaftlichen Abhängigkeit bestehen.
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