100 Jahre Beuys: Ein ganzes Leben als öffentliche Aktion

Nr. 16 –

Schamane des «social turn»: Joseph Beuys wollte mit der Kunst die Gesellschaft demokratisieren. Mit seinem Motto «Jeder Mensch ist ein Künstler» hat er dem Neoliberalismus den Weg bereitet.

Ein Edelstahlbehälter, gefüllt mit 150 Kilogramm Honig. Von dem Gefäss transportierte eine Lebensmittelpumpe die Flüssigkeit durch eine verzinkte Steigleitung 18 Meter in die Höhen des Kasseler Museums Fridericianum. Von dort gelangte die Flüssigkeit durch 174 Meter Schläuche und Röhren wieder zurück in den Kessel am Boden. Neben diesem stand ein Elektromotor, dessen Kurbelwellen in 100 Kilo Margarine rotierten. Die BesucherInnen konnten die Arbeit nicht betreten, sondern nur von oben einsehen.

Wer 1977 die «Documenta 6» in Kassel besuchte, schwärmt noch heute vom bizarren Anblick. Joseph Beuys hat viele herausragende Installationen geschaffen, doch wie keine andere ist die «Honigpumpe am Arbeitsplatz», die er vor 44 Jahren in der Rotunde des einst ersten öffentlichen Kunstmuseums in Europa installierte, zu einer Ikone der Kunstgeschichte avanciert, die ihren Rang neben Leonardos «Mona Lisa» oder Tatlins Turm für die Dritte Internationale behauptet.

Wie in einem Brennglas zeigt die Arbeit, die heute im Louisiana Museum im dänischen Humlebaek aufgebaut ist, die Licht- und Schattenseiten der Kunst des Mannes, dessen 100. Geburtstag am 12. Mai ins Haus steht: die Idee einer neuen Gesellschaftsordnung, symbolisiert im geschlossenen Kreislauf der Flüssigkeiten; die seltsame Mischung aus organisch und konzeptuell, archaisch und technisch; die Fixierung auf seine Person.

Als vor zehn Jahren der 90. Geburtstag des 1986 verstorbenen grossen Magiers der Gegenwartskunst begangen wurde, verfielen viele Museen auf die absurde Idee, den Mann, dessen ganzes Leben öffentliche Aktion war, plötzlich als grossen Formalisten zu würdigen. Unter dem Titel «Parallelprozesse» bahrte die Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen in Düsseldorf, dem jahrzehntelangen Zentrum seines Wirkens, Hunderte seiner filigranen Zeichnungen genauso auf wie etwa «The Pack» von 1969 – 24 aus der Hecktür eines VW-Busses ausschwärmende Schlitten, auf denen ein Fettklumpen, eine Stablampe und eine Filzdecke befestigt waren: Symbole für Energie, Orientierung und Wärme.

So huldigte sie Beuys’ Mythomanie und seinem Materialfetischismus. Dabei war das vom Künstler wieder und wieder beschworene Trauma, die Tataren hätten ihn nach seinem Absturz als deutscher Militärpilot über der Krim im Zweiten Weltkrieg in Filz und Fett einbalsamiert, auf Schlitten transportiert und ihm so das Leben gerettet, längst als Legende entlarvt. Das soziale (Diskurs-)Ereignis Beuys vernahm man im erhabenen «White Cube» am Rhein dagegen wie unter Schalldämpfer.

Suchbild der Stunde

Zehn Jahre nach diesem Begräbnis erster Klasse soll nun wieder das Gesellschaftskraftwerk angeworfen werden, das dieser Mann, der sich nach eigenem Bekunden durch «Kraftvergeudung» ernährte, ungefähr so verkörpert wie sein Kollege Christoph Schlingensief. «Wie viel von der lebendigen Energie von Beuys können wir da hinüberretten?», grübelte Susanne Gaensheimer, die jetzige Direktorin der Kunstsammlung, schon im Vorfeld.

Die Politikone Beuys wieder zu polieren, liegt auf der Hand. Unter dem Druck der globalen Pandemie ist die Frage nach der «Sozialen Skulptur» in den Gemeinwesen am Rande des Zusammenbruchs wieder besonders drängend. Der legendäre Begriff, den Beuys erstmals auf dem Aachener Festival für Neue Kunst und 1964 auf der «Documenta III» in Kassel lancierte, steht im Zentrum seiner Idee einer gesellschaftsverändernden Kunst. Kunst ist darin mehr als ein Artefakt. Sie will Gesellschaft formen.

Weltweit grassiert der Autoritarismus, toben «Volksaufstände» gegen die Demokratie; Ökozid und neue Armut schreiten voran. Kein Wunder, dass der Begründer der «Organisation für direkte Demokratie durch Volksabstimmung» und Erfinder der Aktion «7000 Eichen» wie Phönix aus der Asche des Museums und des Archivs seiner streng den Nachlass hütenden Witwe Eva Beuys ersteht.

«Richtkräfte einer neuen Gesellschaft», die einhundert kreidebeschrifteten Tafeln, die Beuys nach seiner Lecture «Art into Society – Society into Art» 1974 am Londoner Institute of Contemporary Arts hinterliess und die heute in einem Seitenflügel des Berliner Museums der Gegenwart im Hamburger Bahnhof vor sich hin stauben, wirken da plötzlich wie das Suchbild der Stunde.

2013 war es ein Jahrhundertunternehmen, die Tafeln zu restaurieren, auf die er Diagramme und Kürzel wie «I am Searching for Field Character», «A Social Organism as a Work of Art» oder «Show Your Wound» gekritzelt hatte. Und wie sehr wünschte man sich heute eine Figur, die mit derselben charismatischen Energie wie der Mann mit dem Hut den rechtspopulistischen BauernfängerInnen den Slogan «Demokratie ist lustig» entgegenschmettert. Statt ihnen nach dem xenophoben Mund zu reden.

Eine Schwundform seiner politischen Relektüre demonstriert jedoch der Zürcher Kunsthistoriker Philip Ursprung in seiner gerade erschienenen Schrift «Beuys. Kunst Kapital Revolution». Ursprung will keine klassische Biografie abliefern. Stattdessen will er explizit den «Verbindungen» von Beuys’ Werken «mit den gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und politischen Themen ihrer Zeit» nachspüren.

Also sucht er jene 24 Werke an ihren derzeitigen Standorten auf, die die Kuratorin Caroline Tisdall 1979 in ihrer grossen Beuys-Retrospektive im New Yorker Guggenheim-Museum gezeigt hatte. Als ob der verhinderte Reiseschriftsteller sich aber selbst kein zeithistorisches Urteil zutraute, liest er die Arbeiten vor der Folie des 2009 erschienenen Wälzers «Die Geschichte Europas von 1945 bis zur Gegenwart» des angelsächsischen Historikers Tony Judt.

Bei dieser Mischung aus nostalgischer Melancholie und schmaler Quellenlage ist es kein Wunder, dass er dann zu so seltsamen Einsichten wie jener kommt, Beuys’ Energiespeichersymbol «Fond IV/4» von 1970 (zehn Stapel mit neunzig rechteckigen Filzlagen, die von einer Eisenplatte beschwert sind) als Beweis dafür zu werten, dass in Deutschland der «Zug des Fortschritts nie angehalten hatte».

Universität neben der Pumpe

Beuys’ Aktualität lässt sich auch ohne geborgte Schablonen freilegen. Heute fordert die «Zoopolitik» die Rechte von Tieren und Pflanzen ein. Da lesen sich Beuys’ berühmte Aktionen «Wie man dem toten Hasen die Bilder erklärt» von 1965 oder «I like America and America likes me» von 1974 wie die Vorahnung jener artenübergreifenden Kommunikation und Koexistenz, die spätestens seit Donna Haraways «Manifest für Gefährten» zum moralischen Gebot avanciert ist.

In der Düsseldorfer Galerie Schmela ging Beuys damals, den Kopf vollständig mit Blattgold und Honig bedeckt, durch die Ausstellung und erklärte einem toten Hasen in seinem Arm die Kunstwerke. In New York liess er sich mit einem Kojoten vier Tage lang in der Galerie seines Freundes René Block am Broadway einsperren. Das Tier verkörperte für ihn die elementaren Energien der amerikanischen UreinwohnerInnen. Das Video der atemberaubenden Performance der beiden jagt einem noch heute kalte Schauer über den Rücken.

Die Gefahren einer Renaissance der Beuys-Idolatrie liegen freilich ebenso auf der Hand. Indiz dafür ist, dass die Kunstsammlung NRW ihre Jubiläumsschau diesmal mit «Jeder Mensch ist ein Künstler» betitelt hat. Sein berühmtestes Diktum hatte Beuys beim Frühromantiker Novalis geklaut, der in seinen Fragmenten «Glaube und Liebe» von 1798 geschrieben hatte: «Jeder Mensch kann ein Künstler sein. Alles kann zur schönen Kunst werden.»

Die Kunstkritikerin Caroline Tisdall ortete es erstmals in einer Beuys-Schrift von 1973 – in Grossbuchstaben. So oft, wie er es seitdem öffentlich wiederholte, ist es zu einem geflügelten Wort geworden. Wer nichts von Beuys weiss, kennt zumindest diesen Spruch. Nicht nur, wie diese Sentenz inzwischen in die Power-Point-Präsentationen und Sonntagsreden von VertreterInnen von Management und Establishment, die Beuys einst wegen dessen egalitärer Thesen bekämpften, diffundiert ist, macht misstrauisch, ob es mit dem revolutionären Effekt des Appells wirklich noch so weit her ist.

In den siebziger Jahren mag der Satz als Kampfruf gegen die «Malerfürsten» getaugt haben, die in den Kunstakademien das Sagen hatten. Und der nächtliche Sitzstreik im Sekretariat der Düsseldorfer Kunstakademie, mit dem der Professor für «Monumentalbildhauerei», Joseph Beuys, am 10. Oktober 1972 die Immatrikulation von 54 wegen des Numerus clausus abgewiesenen StudentInnen erzwingen wollte, belegt, dass Beuys das Recht auf Bildung, das seit 1968 ganz oben auf der politischen Agenda stand, sehr ernst nahm. Am Ende wurde er ausgerechnet durch den SPD-Wissenschaftsminister und späteren Bundespräsidenten Johannes Rau fristlos gekündigt.

Nicht umsonst war die Kasseler Honigpumpe gleichsam nur das Installation gewordene Logo für die «Freie Internationale Universität» (FIU), die Beuys 1973 in seinem Düsseldorfer Atelier als Reaktion auf diesen Eklat gegründet hatte. Während der «Documenta 6» tagte sie in Permanenz neben der Pumpe.

Heute klingt der mythische Slogan vom Menschen als KünstlerIn eher wie das Glaubensbekenntnis der postindustriellen Informationsgesellschaft. Natürlich hatte es Beuys damals eher metaphorisch gemeint: «Damit sage ich nichts über die Qualität. Ich sage nur etwas über die prinzipielle Möglichkeit, die in jedem Menschen vorliegt … Das Schöpferische erkläre ich als das Künstlerische, und das ist mein Kunstbegriff», hatte er den Satz zu rechtfertigen gesucht.

Natürlich liesse sich das Diktum auch als eine Metapher für die von den Zwängen der materiellen (Re-)Produktion befreite, allseits entwickelte Gesellschaft der Zukunft lesen, in der – frei nach Karl Marx – alle morgens jagen, nachmittags fischen, abends Viehzucht treiben und nach dem Essen kritisieren.

Trotzdem: Was, um Himmels willen, macht eineN KünstlerIn noch aus, wenn es am Ende alle sind? Und wo verläuft die Grenze zwischen Politik und Kunst, wenn sich beide mit dem Heiligenschein der «Sozialen Skulptur» schmücken?

Verweigerter Bundestagssitz

Vielleicht sollte die Kunst den Grünen dankbar sein, dass sie ihrem Wahlkämpfer Joseph Beuys 1983 einen Bundestagssitz verweigerten. So kam er nie in die Verlegenheit, sein Ideal vom «Bildner Sozialer Plastik» mit der Rolle des zum Kompromiss gezwungenen Parlamentariers abzugleichen.

Spätestens seit der Biografie des Publizisten Hans-Peter Riegel 2013 ist die Nähe des einstigen Hitlerjungen und Kampfbomberpiloten Beuys zu nationalsozialistisch belasteten Personen aktenkundig. Und ausgerechnet ins Büro seiner «Organisation für Direkte Demokratie» setzte er beispielsweise den ehemaligen NSDAP- und SS-Mann Karl Fastabend als stillen Sekretär. Schwer vorstellbar, dass er von dessen Vergangenheit nichts gewusst haben könnte.

Auch die Übernahme der meist auf Schiefer gemalten «Denkbilder» und der sozialen «Dreigliederungslehre» des Anthroposophen Rudolf Steiner, dessen Rassenlehre Hitlers Stellvertreter Rudolf Hess anhing sowie die Übernahme des Begriffs «Wirtschaftswert» von dessen Kollegen Wilhelm Schmundt, dem Beuys beim 1. Jahreskongress «Dritter Weg» im internationalen Konferenzzentrum Achberg begegnet war, gelten Beuys-KritikerInnen als Beleg für seine Nähe zum Völkischen.

Doch selbst wenn man Probleme mit den religiösen Assoziationen hatte, die Beuys zu allem Überfluss auch noch liebte – «Kreuzigung» nannte er etwa 1962 ein Objekt aus Holz und Draht, das mit Nägeln und blutfarbenen Kreuzen auf die Leidensgeschichte Christi anspielte; selbst wenn einem mystisch-morbide Accessoires wie der spiralförmig gebogene «Eurasienstab» (mit dem er in New York mit dem Kojoten kommunizierte), wenn einer die Tierkadaver, Fettecken und Totenbahren in seinen Werken zuwider waren; wenn jemand mit seinen seltsamen Begriffen «Ostmensch» oder «Westmensch» Probleme hatte; so sehr man sich auch am Messianischen, Kultartigen, Christusgleichen stört – «We don’t need a leader», beschied ihm die afroamerikanische Künstlerin und Bürgerrechtlerin Faith Ringgold, als Beuys bei seinem USA-Besuch 1974 US-Feministinnen zum Frühstück traf –: Ein anthroposophisch vermummter Nazi war Beuys nicht.

Immer standen bei ihm «direkte Demokratie», der Einsatz gegen Nationalismus, für Europa und eine «neue soziale Bewegung» im Zentrum. 1972, auf der «Documenta 5», plakatierte Beuys’ «Organisation Direkte Demokratie» ihren Stand mit Slogans wie «Lohn für Hausfrauen» oder «Echte Freiheit für Frauen».

«Kunst ist die einzige Kraft, die die Menschheit von jeglicher Unterdrückung befreit» ist auch ein Satz, den Beuys (Jahrgang 1921) von Werner Haftmann (Jahrgang 1912) unterscheidet, einer Komplementärfigur der westdeutschen Kunstgeschichte der Nachkriegszeit. Haftmann, der Mitbegründer der Documenta, dessen NSDAP- und SA-Zugehörigkeit (siehe WOZ Nr. 7/2020 ) vor zwei Jahren aufgedeckt worden war, rettete sich nach dem Krieg ins pathetische Ungefähr der malerischen Abstraktion. Beuys dagegen agierte immer offensiv linksliberal.

Problematischer als der Schatten der Vergangenheit ist aber womöglich die Grenzverwischung zwischen Kunst und kreativem Handeln, die Beuys mit seinem Slogan «Jeder Mensch ist ein Künstler» propagierte. Bis heute ringt es einem Anerkennung ab, wie er ihn bis zur eigenen Selbsterschöpfung körperlich vorlebte. Heute zeigt sich aber auch seine Kehrseite.

Reichlich naiv

Beuys suchte bekanntlich nach einem dritten Weg zwischen Kapitalismus und Sozialismus. Sein «Aufruf zur Alternative», den er im Dezember 1978 in der «Frankfurter Rundschau» veröffentlichte, spielte mit der Rhetorik der ReformkommunistInnen des Prager Frühlings.

Das Dokument liest sich an manchen Stellen radikaler als jedes Programm grüner Parteien heute. Beuys geisselte die «Macht einer Clique multinationaler Grosskonzerne, die über unser Schicksal entscheiden». Für ihn sollte Politik dem Impuls folgen, «als Mensch nicht mehr eingespannt zu sein in ein Verhältnis von Befehl und Unterwerfung, Macht und Privileg». Zugleich formulierte er in dem Pamphlet aber auch eine Art «lean government» avant la lettre. «Der Staat wird erheblich schrumpfen. Was übrig bleibt, wird man sehen», heisst es am Ende eines Kapitels, in dem er reichlich naive Methoden einer sozialpartnerschaftlichen Selbstregulierung der Wirtschaft skizzierte.

Dem Einzelnen jene Kreativität zuzuschreiben, die bislang dem Künstlergenius vorbehalten war, war emanzipatorisch gedacht und folgte dem «Kultur für alle»-Credo der siebziger Jahre. Letztlich ebnete Beuys’ Motto vom «Menschen als Künstler» freilich dem kognitiven Kapitalismus den Weg. Dessen Leitbild ist der experimentierfreudige, freisinnige Künstler, wie ihn Luc Boltanski und Ève Chiapello 1999 in «Der neue Geist des Kapitalismus» beschrieben, mitsamt seinem Rollenwandel vom subversiven Aussenseiter zum Motor des Systems. Der künstlerische Treibstoff heisst Kreativität. Arbeit und Freizeit gehen ineinander über. Sarkastisch gesprochen, kommt Beuys’ ikonische, meist mit Kreide an die Wand gekritzelte Gleichung «Kunst = Kapital» erst in der neoliberalen Ökonomie richtig zu sich selbst.

Nicht zufällig nannte Beuys eines seiner Auflagenobjekte «Ich kenne kein Weekend» – mit diesem Slogan hatte er ein gelbes Reclam-Bändchen von Immanuel Kants «Kritik der reinen Vernunft» bestempelt, flankiert von einer Maggi-Flasche. «Als kreative Menschen brauchen wir kein Wochenende. Man kann ja nicht Kreativität am Freitag abstellen; und am Montag früh fange ich wieder mit irgendetwas an. Das ist ja ein durchlaufender Prozess», erklärt Beuys’ Galerist René Block in einem Video noch heute entspannt dessen Motivation.

Auf der anderen Seite wird zumindest «Ich trete aus der Kunst aus», Beuys’ vom umtriebigen Bündnispartner Klaus Staeck sogleich als Postkartenedition aufgelegtes Donnerwort gegen das Exklusive des Kunstsystems, in einem Moment wieder aktuell, in dem Macht und Geld es neuerlich bis zur Obszönität entstellt haben. Der, der den Satz verkündete, war freilich ein privilegierter Star. StudentInnen fragte der Anhänger der Basisdemokratie bekanntlich nicht, als er 1967 mit der «Deutschen Studentenpartei» den Nukleus seiner späteren Bewegung gründete. Beuys’ Ruf «Die Revolution sind wir» klang immer wie: Die Revolution bin ich! Bevorzugten die SituationistInnen, die in ihrem Manifest von 1960 auch schon «Jeder Mensch ist ein Künstler» gerufen hatten, die kollektive Aktion, setzte Beuys auf den hegemonialen, männlichen Autor und das Spektakel. Beuys’ Bewegung zielte auf Egalität, strukturiert war sie autoritär.

Das ändert nichts an seinem Verdienst. Wie Marcel Duchamp und Andy Warhol war Joseph Beuys einer der grossen Künstler des 20. Jahrhunderts, die einen Paradigmenwechsel bewirkten. Duchamp steht für das Konzept, Warhol für den Pop. Beuys hat Kunst und Gesellschaft unauflöslich verknüpft. Ob man es goutiert oder nicht: Mit seinem «social turn» der Kunst wurde er zu einem von Michel Foucaults «Diskursbegründern», die unsere Wahrnehmung unwiderruflich verschoben haben.

So wie er seine Kunst als Vehikel zu einer universalen gesellschaftlichen Umgestaltung verstand, führt ein Weg vom Schamanen der «Direkten Demokratie» zum «Artivismus» unserer Tage. Zu Recht sehen dessen ProtagonistInnen in Beuys ihren Ahnherrn. Auch wenn dieser meist als «unbewaffneter Einzelkämpfer» auftrat und jene heute meist im wehrbereiten Kollektiv.

Den Untoten Beuys nun wieder zum ewigen Vorbild zu erheben, wäre aber genauso widersinnig, wie der Kunst eine Rückkehr zu Leonardo da Vinci zu empfehlen. Im 21. Jahrhundert sollte eine ästhetisch inspirierte Gesellschaftsalternative nicht umstandslos als Katalysator der Ökonomie gekapert werden können. Und sie sollte ohne einen erratischen Schamanen im Pelz an ihrer Spitze funktionieren.