Kost und Logis: Gepflanztes Erbshuhn
Karin Hoffsten über den Dschungel der Fleischersatzproduktion
Man hört immer mal wieder die Frage: Wieso essen Veganerinnen und Vegetarier eigentlich keine Fleischprodukte und wünschen sich aber, dass das, was sie essen, wie Fleisch oder Wurst schmeckt? Für mich klingt das wie: Warum guckst du gerne Krimis und findest es trotzdem degoutant, selbst jemanden zu meucheln?
Ich lebe weder vegan noch vegetarisch, sondern bin das, was ein Grossverteiler modisch-konsumorientiert «Flexitarier» getauft hat. Ich esse selten Fleisch oder Wurst und wenn, dann bio. Aber das esse ich gern – sehr gern sogar. Wie solls auch anders sein? Meine geschmackliche Unterweisung fand zwischen saarländischer Lyoner-, Blut- und Leberwurst statt – Leckereien, die ich seit Jahrzehnten nur noch vom Hörensagen kenne.
Aber die Nahrungsmittelindustrie lässt sich nicht lumpen: Seit Jahren wirft sie eine Neuentwicklung nach der anderen auf den Markt, die alle irgendwie versuchen, ein fleischähnliches Geschmackserlebnis zu verschaffen – mit unterschiedlichem Erfolg. Das weiss ich, weil ich fast alles probekoste.
Es begann vor Jahrzehnten mit Tofu, der unsereins – als Alternative zum traditionellen Gemüseteller – im Restaurant manch einschläferndes Vegierlebnis bescherte. Die Grossverteiler zogen nach mit Quorn, laut Wikipedia «ein industriell hergestelltes Nahrungsmittel aus dem fermentierten Myzel des Schlauchpilzes», was nicht appetitfördernd klingt. Vermarktet wird es unter den Namen Cornatur und Delicorn.
Seit rund einem Jahr boomt der vegane Sektor, und der fantasievollen Namensgebung sind keine Grenzen gesetzt: Ob Incredible Burger (Unglaublicher Bratklops), Beyond Meat (Jenseits von Fleisch), Planted Chicken (Gepflanztes Huhn) oder Delicious Pieces (Köstliche Stücke) – das Geschäft läuft wie geschmiert.
Zielgruppe sind nicht nur Veganerinnen und Vegetarier, sondern auch Menschen mit allen möglichen Unverträglichkeiten. Ende März musste die Migros eine Serie der «‹Delicious Pieces› der Marke V-Love» zurückrufen, weil die Deklaration eines möglichen Allergens vergessen worden war.
Eine gemischte Auswahl der diversen Inhaltsstoffe liest sich wie ein Rezept aus Gundel Gaukeleys Hexenküche: Eiklar, Molke- und Weizenprotein, Johannisbrotkernmehl, Xanthan, Glucose, Eisenoxide und -hydroxide, Wachsmaisstärke, Streuwürze, Speiseessigpulver, Kochsalz, Zucker, Säureregulator, Erbsenprotein, Zitronensaft, Senf, Gemüse, Erbsenfasern, Rapsöl, Soja, Vitamin B 12. Inzwischen mischen nicht nur Giganten wie Nestlé auf diesem Markt mit, sondern auch ein aufblühendes Start-up der ETH Zürich.
Weil ich all das ausprobiere, aber hin und wieder auch Fleisch zubereite, fragte ich kürzlich beim Essen von Hacktätschli: Na, echt oder fake? Fake, befand mein Gefährte nach sorgfältigem Kauen. Doch es war das sogenannte Bio-Weide-Beef. Die Fakefleischbranche hätte beglückt aufgejauchzt.
Karin Hoffsten weiss noch nicht, wie sie sich zu In-vitro-Frikadellen aus dem Labor stellen wird.