Kost & Logis: Fleischliche Gedanken

Nr. 40 –

Karin Hoffsten begegnet im Herbst inneren Widersprüchen

Als eine Bekannte der Familie einst mit grosser Entschiedenheit äusserte: «Ich esse nichts vom toten Tier!», verstand ich es nicht. Mit fünf Jahren brachte ich den Satz nicht in Zusammenhang damit, was bei uns normalerweise auf den Tisch kam. Lyoner-, Blut- und Leberwurst ass ich gern, und Fleischküchelchen – in der Schweiz als Hacktätschli bekannt – liebte ich.

Ich komme nicht vom Land, sondern aus der Kleinstadt; also sah ich – ungefähr im gleichen Alter –, erstmals auf dem Hunsrück in den Ferien, wie unter einem verschlossenen Hoftor hervor rot gefärbtes Wasser durch eine Rinne plätscherte. Als mir mein älterer Bruder erklärte, das sei Blut, weil hinterm Tor Tiere geschlachtet würden, ergriff mich ein existenzieller Schauder.

Später erlebte ich den Verzicht auf Fleisch als etwas ganz Besonderes, weil meine Eltern auf Reisen in Hamburg jedes Mal mit einer gewissen Ehrerbietung auch das 1892 gegründete «Vegetarische Restaurant» an den Alsterarkaden besuchten, das 1989 leider durch Brandstiftung zerstört wurde. Heute sind die vegetarischen und veganen Verpflegungsmöglichkeiten fast nicht mehr zu zählen, und doch nimmt der Fleischkonsum der Bevölkerung kaum ab. Die weltweit schwerwiegenden Folgen für Nutztiere und Umwelt sind bekannt.

Zurzeit beginnt wieder die Saison für Wildgerichte und Metzgeten und damit für mich eine Zeit des inneren Widerspruchs. Ich esse selten Fleisch, bin aber auch keine konsequente Vegetarierin. Wird mir demnächst in einem Restaurant wieder die Wildkarte vorgelegt, werde ich wahrscheinlich auch wieder etwas davon bestellen.

Doch nie im Leben würde ich selbst ein Tier schiessen, und die Jäger:innensitte, dem erlegten Wild zwecks Ehrerweisung ein Tannenzweiglein ins Maul zu stecken, scheint mir grotesk. Inwiefern die Jagd für die Hege und Pflege des Waldes notwendig ist, weil der sonst kahl gefressen würde, kann ich nicht wirklich beurteilen. Doch gäbe es kein Wild mehr auf dem Teller, würde ich es nicht vermissen. Genau wie die Metzgete: Die fettreiche Kombination von Blut- und Leberwurst, Speck und Sauerkraut fehlt mir schon seit Jahren nicht mehr.

Ob es eigentlich schon vegane Metzgeten gebe, fragte kürzlich ein Kollege. Vermutlich nicht, obwohl der Clean-Meat-Markt ja inzwischen fast alles herstellt. Aber Metzgeteliebhaber:innen dürften sich von einer pflanzlichen Variante naserümpfend abwenden, während jene, die Fakefleischprodukte schätzen, die Metzgete nicht vermissen werden.

Was ein echter Metzgetehardcorefan ist, wird jedoch auch in diesem Jahr wieder in zahlreichen Beizen fündig, bloss nicht im Bergrestaurant Alp Egg, auf dessen Website sich der Hinweis findet: «#Allesindwillkommen – Aufgrund des (sic!) Zertifikatspflicht und gegen die Diskriminierung von Personen haben wir die diesjährige Metzgete abgesagt.» Was in diesem Fall nicht so ein grosser Verlust sein dürfte.

Karin Hoffsten kann sich durchaus vorstellen, Planted Deer Pepper zu essen, sollte er mal auf den Markt kommen.