Zum 1. Mai: Die Arbeit der anderen

Nr. 17 –

«Heraus zum 1. Mai!»: Die verlässliche Parole zum Tag der Arbeit versagt auch dieses Jahr ihren Dienst. Zwar finden in der Coronazeit zahlreiche Kundgebungen statt, zwar gibt es online Reden zu hören – doch mit Mindestabstand und Versammlungsbeschränkungen macht das Feiern nur wenig Spass. Gewiss, am 1. Mai geht es um den Wert der Arbeit, um die Rechte der Beschäftigten, um den Klassenkampf. Zum Feiertag gehört aber auch sein unnachahmlicher Geruch nach Schaschlikspiessen und ZapatistInnenkaffee.

«Hinein zum 1. Mai!»: Vielleicht lohnt es sich, die Parole umzudrehen. In welche Zukunft der Arbeit geraten wir hinein, wenn wir aus dieser Pandemie endlich herausgefunden haben? Und ist das die Zukunft, die wir wollen?

Der Schweizerische Gewerkschaftsbund (SGB) hat kürzlich bedenkenswerte Zahlen zusammengetragen. Dass während der Pandemie in zwinglianischer Selbstvergessenheit alles der Wirtschaft untergeordnet wurde, mag sich für viele AktionärInnen rentiert haben. Nicht aber für die Beschäftigten: 400 000 Menschen sind in der Schweiz weiterhin auf Kurzarbeit angewiesen, die Selbstständigen sind dabei nicht erfasst. Rund 50 000 Menschen sind seit Beginn der Pandemie zusätzlich arbeitslos geworden. Besonders alarmierend ist die stark sinkende Erwerbsquote bei den jungen Erwachsenen zwischen 15 und 24 Jahren. Der SGB fordert deshalb eine Offensive, damit alle nach dem Sommer einen Schulplatz, eine Lehrstelle oder eine erste Anstellung finden. Es ist das Mindeste, nachdem die Jugendlichen während Corona schlicht vergessen wurden.

Die Zahlen zeigen auch, wer bisher für die Krise bezahlt. Kurzarbeit und Arbeitslosigkeit haben dazu geführt, dass in der Schweiz während der Pandemie die untersten Einkommensklassen bis 4000 Franken im Monat 300 Franken weniger Lohn haben. Bei den oberen Klassen ab 10 000 Franken sind es 300 bis 400 Franken mehr. Besonders betroffen von den Einkommenseinbussen sind wenig überraschend Beschäftigte in der Gastronomie, der Kultur, dem Dienstleistungssektor. Es wird in den nächsten Monaten Widerstand brauchen, damit Bund und Kantone ihre Defizite nicht mit Sparprogrammen nach unten abwälzen, sondern mit Steuererhöhungen von oben her ausgleichen.

Die Pandemie bringt aber auch einen Einblick in die Arbeitsverhältnisse der Zukunft. Kurierdienste und der Onlineversandhandel haben sich während der Schliessung von Restaurants und Geschäften ausgebreitet und mit ihnen auch prekäre Arbeitsbedingungen. Die Tätigkeit als Ich-AG im Plattformkapitalismus mag verlockend einfach sein. Doch die Routen der Auslieferer und Zudienerinnen, die über Apps angewiesen werden, führen in eine Scheinselbstständigkeit. Je atomisierter die Anstellungsverhältnisse, desto austauschbarer werden die Beschäftigten. Auch das Homeoffice, gerne als bequem gepriesen, stellt eine Entwicklung in dieselbe Richtung dar: Die Arbeit wird zunehmend in den privaten Raum verschoben, vergleichbar mit der früheren Heimarbeit in der Industrialisierung.

Führt die Pandemie also zwangsläufig in eine digitale Dystopie? Bisweilen blitzte auch immer wieder Hoffnung auf. Nach langen Jahren, in denen Banker, CEOs und Superreiche medial blind verehrt wurden, wird endlich wieder sichtbar, wer die Arbeit in unserer Gesellschaft leistet: Pflegefachkräfte, Zugbegleiter oder Verkäuferinnen. In guten Momenten ist mehr Respekt für die Arbeit der anderen spürbar. Nur muss sich dieser Respekt auch rechnen. Bloss wie?

Indem die Arbeit nicht nur als individualisierte Abmachung, sondern als kollektive Streitsache verstanden wird. Die Mittel, wie der Reichtum von den wenigen zu den vielen umverteilt werden kann, sind bekannt: mit Mindestlöhnen, Gesamtarbeitsverträgen, Streiks. Und mit Steuererhöhungen. Es ist die Herausforderung für die Gewerkschaften, diese Mittel ins digitale Zeitalter zu übersetzen. Aber es ist auch die Aufgabe der neuen Dienstbotinnen und Heimwerker, die Ich-AG im Kopf zu schliessen. «Heraus zum ersten Mai!» heisst in diesem Sinn nicht nur, sich zu versammeln. Sondern auch, sich zu verbünden.