Antiterror-Razzia in Frankreich: Macrons Sinneswandel
Ende April wurden in Paris mehrere ehemalige Mitglieder der Roten Brigaden festgenommen. Bisher hatte Frankreich eine Auslieferung nach Italien immer abgelehnt – nun könnte sich das ändern.
Die Hoffnung währte nur kurz. In ihren ersten Erklärungen hatte Marta Cartabia, die seit Februar amtierende italienische Justizministerin, den erzieherischen Wert des Strafrechts betont. Die parteilose Politikerin forderte einen häufigeren Täter-Opfer-Ausgleich sowie Alternativen zum Gefängnis; das Prinzip einer rächenden Justiz müsse verworfen werden. Natürlich lobte Sergio Segio, Exmitglied der italienischen linksradikalen Gruppe Prima Linea, den neuen Kurs in Rom. Doch nur wenig später sah er sich dennoch zu einer «profunden Selbstkritik» veranlasst. Denn Cartabias schöne Worte wurden alsbald durch das Vorgehen der italienischen Regierung dementiert.
Auf Ersuchen Roms wurden Ende April in Paris sieben italienische StaatsbürgerInnen festgenommen, die dort wegen ihrer Mitgliedschaften in linksradikalen Gruppen und diverser Verurteilungen seit vielen Jahren politisches Asyl hatten. So wurden sechs ehemalige AnhängerInnen der Roten Brigaden inhaftiert sowie Giorgio Pietrostefani, Mitbegründer von Lotta Continua; zwei weitere Personen stellten sich der französischen Polizei, ein Mann wird noch gesucht. Zwar sind inzwischen alle wieder auf freiem Fuss, sie stehen aber unter behördlicher Aufsicht. Ihnen droht eine Auslieferung nach Italien, wo sie zum Teil mit langen Haftstrafen rechnen müssen.
Flucht ins Ausland
So wie Sergio Segio haben weitere ehemalige Linksradikale längst Frieden mit dem einstmals bekämpften Staat geschlossen. Der prominenteste von ihnen ist Adriano Sofri, Gründungsmitglied und ehemaliger Vorsitzender von Lotta Continua. Zusammen mit dem nun festgenommenen Giorgio Pietrostefani wurde er 1988 als Auftraggeber eines Mordes an einem Polizisten angeklagt. Obwohl beide stets jede Tatbeteiligung bestritten und das Verfahren nur auf der Aussage eines Kronzeugen beruhte, wurden sie zu je 22 Jahren Haft verurteilt. Während Sofri einen Grossteil davon absass, flüchtete sein Genosse Pietrostefani im Jahr 2000 nach Frankreich. Dort galt seit 1985 die nach dem sozialistischen Staatspräsidenten François Mitterrand benannte «Doctrine Mitterrand»: Der umstrittene Erlass besagt, dass trotz internationaler Haftbefehle keine Strafverfolgung von verurteilten italienischen Linksradikalen erfolgen dürfe, wenn sie sich von der Gewalt als politisches Mittel distanzierten.
Dass sie jetzt von der italienischen Presse als «die schmutzigen Zehn» bezeichnet werden, findet Sofri grotesk. Er solidarisiert sich mit den Betroffenen, auch wenn er nur den mittlerweile 77-jährigen Pietrostefani persönlich kennt: «Er hat in Frankreich gearbeitet und Steuern bezahlt, das diskrete Leben eines alten Mannes und Grossvaters geführt. Seine Adresse war allen bekannt, die ihn aufsuchen wollten», kritisiert er.
Auch die anderen kurzzeitig Festgenommenen sind in ihrem Gastland nicht behördlich aufgefallen – und wurden von der französischen Justiz in Ruhe gelassen. An die unter Mitterrand gegebene Zusage hielten sich alle ihm folgenden Präsidenten. Anders jetzt Emmanuel Macron. Neben dessen Bestreben, sich angesichts einer an Stärke zulegenden Rechten als starker Mann zu profilieren, dürfte dabei auch eine persönliche Intervention von Italiens neuem Premier Mario Draghi eine Rolle gespielt haben. Vor einigen Wochen habe dieser in einem Telefonat mit Macron mögliche Auslieferungen thematisiert und mit seinem Gesprächspartner schnell eine Einigung erzielt, wurde aus dem Élysée-Palast verlautbart.
Draghi ist zufrieden
Offenbar verspricht sich auch Draghi einen Imagegewinn, wenn er sich als Rächer inszeniert. Dabei war eine gnadenlose Härte gegen Linke bisher die Spezialität der Rechten, namentlich des Lega-Chefs Matteo Salvini. Im Januar 2019, als dieser noch Innenminister war, machte er sich an der Seite von Justizminister Alfonso Bonafede von der EU-skeptischen Fünf-Sterne-Bewegung zum Hauptdarsteller einer makabren Inszenierung. In Polizeiuniform begab er sich zum römischen Flughafen Ciampino, um den von Bolivien ausgelieferten Cesare Battisti in Empfang zu nehmen. Battisti war in den siebziger Jahren Mitglied der linksradikalen Proletari Armati per il Comunismo gewesen. Wegen Mitgliedschaft in einer bewaffneten Gruppe wurde er zu zwölf Jahren Haft verurteilt, woraufhin er aus dem Gefängnis ins Ausland floh.
Die beiden Politiker filmten ihren Auftritt und verbreiteten das Video mit dem in Handschellen abgeführten Battisti. Salvini feierte das Ereignis als einen «historischen Tag für Italien» und gratulierte den beteiligten PolizistInnen «im Namen von sechzig Millionen Italienern». Nun gelte es, weitere «Dutzende Delinquenten, die irgendwo in der Welt ein lustiges Leben führen», nach Italien zu schaffen. Eine Agenda, die sich nun die Draghi-Regierung zu eigen gemacht hat.
Vom Autor ist kürzlich im Mandelbaum-Verlag (Wien und Berlin) das Buch «Die Linke in Italien. Eine Einführung» erschienen.