Antiterrorgesetz PMT: Eine Gefährderin namens Schweiz

Nr. 18 –

Bei der Bekämpfung von Terrorismus will die Schweiz so weit gehen wie kaum ein anderes Land. Wie nur konnte das passieren? Die Politikwissenschaftlerinnen Nora Naji und Darja Schildknecht klären auf.

Besonders umstrittener Paragraf im neuen Gesetz: Zwangsmassnahmen gegen Personen, die nichts getan haben.

Der Schweizer Bundesrat hat sechs Mitglieder und eine Abstimmungskämpferin. Welches Thema auch anstand in den letzten Monaten, ob Personenfreizügigkeit, Konzernverantwortung, elektronische Identität oder aktuell das Antiterrorgesetz, das am 13. Juni zur Abstimmung kommt: Justizministerin Karin Keller-Sutter will ihre Meinung durchsetzen. Ihre Lieblingswaffe: ganzseitige Interviews, in denen sie mehr oder weniger kritische Fragen abbügeln kann, auch wenn sie dabei die Wahrheit ritzt. Die Interviews sind von Keller-Sutter und ihrem Stab stets gut getaktet, auch jetzt wieder beim Bundesgesetz über polizeiliche Massnahmen zur Bekämpfung von Terrorismus, kurz PMT genannt. Zum Auftakt der Kampagne Mitte April zielte KKS in die Fläche. Wie das geht, muss man der St. Gallerin nicht erklären: mit einem Gespräch im Regionalzeitungsverbund CH Media, der vom Aargau über Luzern in die Ostschweiz reicht. Stammlande, Heimspiel.

Auf die Bemerkung, dass sechzig renommierte RechtsprofessorInnen das PMT als Gefahr für den Rechtsstaat sehen, antwortet die Justizministerin unbeirrt: «Bei Rechtsfragen gibt es immer verschiedene Meinungen. Das heisst noch lange nicht, dass dieses Gesetz rechtsstaatlich ‹nicht verhebt›. In einem umfassenden Gutachten wurde es als verfassungs- und völkerrechtskonform beurteilt.» Nun hielt der Gutachter, der emeritierte Rechtsprofessor Andreas Donatsch, zwar im Gegenteil fest, dass der vorgesehene Hausarrest für potenzielle «Gefährder» in Konflikt mit der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) stehe. Doch eine Behauptung klingt halt auch wahrer, wenn man sie dauernd wiederholen kann. Oder wie Keller-Sutter im nächsten ganzseitigen Interview, diesmal in den Tamedia-Blättern zuhanden des urbanen Publikums, pünktlich zu den ersten Umfrageergebnissen meinte: «Wir sind zum Schluss gekommen, dass das vorgeschlagene Gesetz keinen Verstoss gegen die EMRK darstellt.»

Gemäss der ersten Umfrage wollen 68 Prozent der Befragten für das PMT stimmen, bloss 24 Prozent sind dagegen. Wie ist da die KKS-Kampagne in den nächsten Wochen noch zu stoppen? Die üblichen ganzseitigen Interviews für den «Blick» und die NZZ stehen ja noch aus. Vielleicht, indem man nicht nur im Detail über die Risiken der Sicherheitsprodukte aufklärt, die Keller-Sutter den Stimmberechtigten verkaufen will, die elektronische Fussfessel, den Hausarrest, die Meldepflicht, die Kontaktsperre und andere (vgl. «Das Willkürgesetz» im Anschluss an diesen Text), sondern auch einen Schritt zurücktritt und die Frage stellt: Wo genau steht die Schweiz mit ihrem Antiterrorgesetz in einer internationalen Entwicklung? Und was bedeutet das für ihre Glaubwürdigkeit als demokratischer Rechtsstaat, der auch zwischen autoritären Regimes vermittelt?

Die eifrige Musterschülerin

Zwei Frauen, die weiterhelfen können, sind Nora Naji und Darja Schildknecht. Die beiden doktorieren in Politikwissenschaften an der Universität Basel, sind Mitglieder der Forschungsgruppe «Gender, War and Security». Für den aussenpolitischen Thinktank Foraus haben Naji und Schildknecht eine lesenswerte Analyse verfasst: «Das PMT im globalen Kontext». Darin ordnen sie das Gesetz in die weltweite Sicherheitsordnung ein, die sich in den vergangenen zwei Jahrzehnten entwickelt hat, nach den Anschlägen vom 11. September 2001 in New York. Im «Krieg gegen den Terror», auch bekannt als «Counter Terrorism», folgten zunächst die militärischen Interventionen in Afghanistan und im Irak. Die zahlreichen Menschenrechtsverletzungen, insbesondere die Internierung und Folter im US-Gefangenenlager Guantánamo, führten zur Kritik an der Strategie.

«Darauf passierte eine entscheidende Verschiebung: Zu den harten Massnahmen kamen weiche, präventive hinzu, um Anschläge zu verhindern», erklärt Schildknecht. Als Beispiel nennt sie Bildungsprogramme. Das Konzept des «Counter Terrorism» wurde mehrheitlich abgelöst von jenem des «Preventing and Countering Violent Extremism», das sich ausgehend von den USA in weiteren Staaten verbreitete. «Bemerkenswert ist dabei schon die Begriffswahl», sagt Naji. «Es ist nicht mehr von Terrorismus die Rede, sondern von gewalttätigem Extremismus.» Das habe automatisch zu einer Ausdehnung der Prävention geführt: Extremismus ist schliesslich ein viel weiter gefasster Begriff als Terrorismus.

Zum globalen Standard wurde das Konzept, als 2015 der damalige Uno-Generalsekretär Ban Ki-moon die «Uno-Strategie zur Prävention und Bekämpfung von gewalttätigem Extremismus» veröffentlichte. Darin wurden die Mitgliedstaaten aufgerufen, einen nationalen Aktionsplan (NAP) zu entwickeln, was die Schweiz sogleich tat: mit 26 Massnahmen, von der Früherkennung von Radikalisierung bis zum sogenannten Bedrohungsmanagement unter polizeilicher Führung. «Überhaupt spielte die Schweiz eine zentrale Rolle als internationale Verfechterin der Strategie», sagt Schildknecht. So organisierte sie 2016 unter Aussenminister Didier Burkhalter mit der Uno in Genf die erste internationale Konferenz zum Thema. Ergänzend zum nationalen Aktionsplan soll nun noch das PMT erlassen werden.

Das absehbare Risiko

Prävention gegen Terrorismus sei unbestritten wichtig, betonen Naji und Schildknecht – wenn damit beispielsweise die Bekämpfung von Armut und Ausgrenzung gemeint sei. Und wenn Schulen oder Sozialdienste dabei als eigenständige Akteure und nicht als verlängerter Arm der Polizei handeln könnten. «Problematisch wird es, wenn der Sicherheitsbereich immer stärker ausgeweitet wird und zunehmend die Prävention durchdringt», sagt Naji. Genau das macht das PMT: Zum einen setzt es den schwammigen Begriff «Gefährder» in die Welt. Zum anderen stellt es polizeiliche Instrumente zur Verfügung, um solche GefährderInnen dingfest zu machen. Prävention wird so zur VerbrecherInnenjagd vor einer Tat.

«Die Schweiz geht damit weiter als andere Länder», sagt Schildknecht. So würde Grossbritannien, ein weiterer Vorreiter in der Terrorbekämpfung, keine vergleichbare Möglichkeit des Freiheitsentzugs ausserhalb eines Strafverfahrens kennen, wie das beim Hausarrest der Fall wäre. Eine Annahme des PMT hätte eine internationale Signalwirkung, halten die Autorinnen in ihrer Studie fest: Das Gesetz könnte autoritären Staaten als Grundlage dienen, um gegen DissidentInnen vorzugehen. Die Schweiz wiederum könnte solche Länder weniger glaubwürdig für Menschenrechtsverletzungen kritisieren.

Warum geht die so friedfertige, neutrale Schweiz dieses Risiko ein? «Im PMT spiegelt sich ein Wunsch nach absoluter Sicherheit, die es so nie geben wird», meint Naji als Erklärung. Und vermutlich fühle sich die stimmberechtigte Mehrheitsgesellschaft vom Gesetz nicht betroffen. «In der Diskussion über das PMT wird ständig der Islam mit dem Terrorismus vermischt. Fast alle Fallbeispiele in der Gesetzesbotschaft handeln von Muslimen», kritisiert Schildknecht. Das PMT dürfte so zu einem verstärkten Racial Profiling führen – und zu einem eingeschränkten Blick: «Wir schauen derzeit nur in eine Richtung», sagt Naji. Sicherheitsrisiken wie der Rechtsextremismus, die in den letzten Jahren verstärkt aufgekommen seien, würden weniger wahrgenommen. Die beiden Politikwissenschaftlerinnen fordern abschliessend, dass die Schweiz weiterhin Vorreiterin bleibt – allerdings in einem Umdenkprozess, was die bisherige Terrorbekämpfung betrifft, indem sie auf die Menschenrechte pocht.

Vor dem PMT haben schon viele ExpertInnen gewarnt: neben den sechzig RechtsprofessorInnen sogar die Hohe Kommissarin für Menschenrechte der Uno. Und doch wirkt die Zustimmung wie betoniert. Die beiden Forscherinnen sind allerdings zuversichtlich, dass die Unterstützung mit mehr Aufklärung bröckeln wird. «Ich habe unsere Studie meinen Verwandten und Bekannten geschickt», sagt Schildknecht. «Die meisten stimmen jetzt Nein.»

Das Willkürgesetz

Mit einem neuen Bundesgesetz, kurz PMT genannt, soll die Polizei weitreichende Kompetenzen im Bereich der Terrorprävention erhalten. Besonders umstritten sind die Artikel 23 k–q: Damit werden Zwangsmassnahmen gegen potenzielle «Gefährderinnen und Gefährder» geschaffen, etwa Kontaktverbote zu bestimmten Personen, Ausreisesperren oder ein Hausarrest von bis zu neun Monaten. Die meisten Massnahmen gelten dabei schon für Kinder ab zwölf Jahren. Die GegnerInnen äussern scharfe Kritik am Gesetz: Angesichts der schwammigen Begrifflichkeiten könne jede kritische Person ins Visier der Polizei geraten, und die Massnahmen würden ohne Tatverdacht erteilt. Die GegnerInnenschaft reicht von linken Parteien bis zu den Jungfreisinnigen, von Amnesty Schweiz bis zur Operation Libero.