Covid-Zertifikat: Eine App wird Teil der sozialen Realität

Nr. 23 –

Das Impfzertifikat soll mehr Lockerungen und internationale Reisen ermöglichen. Dafür müssen organisatorische Fragen geklärt und vor allem ein diskriminierungsfreier Umgang sichergestellt werden.

Ein Volkslauf im Appenzellischen, ein Konzert im Hallenstadion, eine Konferenz im Kongresszentrum, eine Reise ans Mittelmeer: All das wird bald jenen vorbehalten sein, die erwiesenermassen geimpft oder genesen sind beziehungsweise kürzlich negativ getestet wurden: Mit dem Covid-Zertifikat sollen Menschen Freiheiten zurückerhalten, die sie in den letzten Monaten nicht ausüben konnten.

Am Freitag stellte der Bundesrat die Schweizer Lösung vor. Ein fälschungssicheres Dokument zeigt nebst Namen und Geburtsdatum zum Beispiel, wann jemand geimpft oder getestet wurde und wie lange das Zertifikat gültig ist. Wer will, kann einen Ausdruck im Portemonnaie mit sich tragen – die meisten werden es wohl mit einer App auf das Smartphone laden. Geht alles nach Plan, wird die technische Infrastruktur inklusive Apps bis Ende Juni in der ganzen Schweiz ausgerollt sein – rechtzeitig für die Sommerferien. Der Kanton Bern hat als Pilotkanton bereits versuchsweise erste Zertifikate über die Impfplattform vacme.ch ausgestellt. Der Knackpunkt für den ambitionierten Fahrplan werden jedoch die Tausenden Arztpraxen und Apotheken sein, die ins System integriert werden müssen; denn diese wissen zum Beispiel, wer bereits Covid-19 durchgemacht hat. Und dort werden sich auch in Zukunft Menschen testen und sich ein Zertifikat ausstellen lassen.

Offene Fragen trotz Transparenz

Die organisatorischen Themen dominieren, dabei sind auch andere Fragen wichtig: Ist das Zertifikat sicher, und wird es dem Datenschutz gerecht? Und wie verhindern wir, dass Menschen durch das Covid-Zertifikat diskriminiert werden (siehe WOZ Nr. 10/2021 )?

Was die Sicherheit anbelangt, hat der Bund in den vergangenen Monaten dazugelernt: Die technische Infrastruktur wird komplett quelloffen betrieben und seit Ende Mai öffentlich von SicherheitsexpertInnen geprüft. Zudem wissen wir auch, wer im Auftrag des Bundesamts für Informatik und Telekommunikation (BIT) die Infrastruktur entwickelt: 1,6 Millionen Franken gehen an die HIN AG, die Gesundheitsfachpersonen verschlüsselte Kommunikation anbietet. Sie soll für das medizinische Personal den Zugang zur Infrastruktur programmieren, damit dieses Impfzertifikate ausstellen kann. Das Start-up Ubique, das bereits bei der Entwicklung der Swiss-Covid-App involviert war, erhält 1,3 Millionen Franken, um die App-Lösungen zu programmieren, die IT-Firma TI& M 1,6 Millionen, um die technische Infrastruktur im Hintergrund zu entwickeln.

Manche Datenschutzfragen gingen jedoch in der Euphorie unter. So werden die Personendaten im elektronischen Impfzertifikat unverschlüsselt abgelegt. Bei einer Kontrolle erscheinen diese Daten dann, nebst einem Hinweis, ob das Zertifikat gültig ist oder nicht. Das ist nötig, weil Veranstalter und GrenzwächterInnen überprüfen müssen, ob das Zertifikat tatsächlich der fraglichen Person gehört. Veranstalter könnten dann jedoch auch die Personendaten speichern und für sich brauchen. Hätte es sicherere Alternativen gegeben?

Diskriminierung verhindern

Auch der gesellschaftliche Umgang mit dem Covid-Zertifikat ist noch unklar. Der Bundesrat hat gewisse Bereiche – zum Beispiel ÖV und Detailhandel – ausgeschlossen. Bei Grossveranstaltungen und internationalen Reisen ist es vorgesehen. Dazwischen gibt es eine grosse Bandbreite – vom Restaurant bis zu einer Veranstaltung mit weniger als tausend Menschen – wo das Zertifikat «zur Verhinderung von Schliessungen oder Kapazitätsbeschränkungen» eingesetzt werden dürfe. Was das im Endeffekt bedeutet und wie lange das Zertifikat unser Leben bestimmen wird, bleibt offen.

Der Ständerat vertritt den Standpunkt, dass sich Einschränkungen, ob mit oder ohne Zertifikat, nicht mehr rechtfertigen lassen, wenn sich alle impfen lassen konnten, die das wünschen. Wir könnten dann selber entscheiden, ob wir das Risiko einer Infektion eingehen wollen oder nicht. Auch sollen Menschen mit Zertifikat keinen Zugangsbeschränkungen mehr unterworfen sein. Doch wie lässt sich der Zeitpunkt eruieren, an dem alle geimpft sind, die das wollen? Und wie verändert sich die Lage, wenn Auffrischungsimpfungen nötig oder neue Mutanten im Umlauf sind?

Sicher ist: Auch in Zukunft wird man nicht einfach alles auf die Eigenverantwortung abschieben können. Das Covid-Zertifikat könnte sehr lange Teil der sozialen Realität bleiben, gerade auch als Beweismittel für einen kürzlich gemachten Covid-Test. Denn bestimmte Bevölkerungsteile können sich nicht impfen lassen und wollen sich trotzdem keinem Risiko aussetzen. Und eine Impfung schützt nicht vollständig vor einer Infektion, wie ein lokaler Ausbruch in einem finnischen Spital zeigte. Umso wichtiger ist es, dass Tests weiterhin unkompliziert und kostenlos möglich sind.